Der permanente Fünfziger-Ausschuß des Frankfurter Vorparlaments hat in seiner ersten Sitzung vom Donnerstag den 6. April im Kaisersaale des Römers in öffentlicher Verhandlung:
bezüglich der Ausübung des Stimmrechts zur bevorstehenden Parlamentswahl von seiten derjenigen gebornen Deutschen, welche ihren Wohnsitz und Aufenthalt auswärts, (d. h. nicht gerade in ihrer Heimat-Gemeinde und Geburtsort, wo sie das Gemeindebürgerrecht besitzen), vorübergehend oder bleibend genommen haben, somit nach bisheriger Übung und den einzelnen Landesgesetzen, an Ausübung ihrer gemeinde- und staatsbürgerlichen Wahlberechtigung verhindert, d. h. von dem aktiven Wahlrecht ausgeschlossen waren,
den engherzigen Beschluß gefaßt:
Diese Frage berührt aber wesentlich die Interessen von mehr als fünf Millionen Deutschen; sie betrifft nämlich:
Ihr lieben deutschen Mitbürger! sagt selbst: Soll der so wichtige Arbeiterstand Deutschlands ganz unvertreten, vom Stimmrecht ausgeschlossen, bleiben und seines Anteils an der Wahl beraubt sein? Sollen die bisher durch Ausweisung von Land zu Land gehetzten deutschen Schriftsteller, soll der Lehrstand kein Wahlrecht ausüben dürfen? Wer sind denn eigentlich die Träger der Intelligenz, wer die Gebildeten, die, welche durch Reisen und Wanderschaft in der Fremde sich Kenntnis von Menschen, Sitten, Gesetzen, Gebräuchen, Einrichtungen und Zuständen (praktische Lebensweisheit) sammeln, die draußen unter fremden Leuten sauer ihr Brot mit Händearbeit verdienen müssen und die mit Verfolgung, Mangel, Not und Entbehrung aller Art einen reichen Schatz von Erfahrungen sich teuer erkaufen, oder die so daheim in behaglicher Ruhe hinterm warmen Ofen sitzen bleiben und in lethargischem Phlegma ihre Zeitung lesen, die ohne nur zu wissen, daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen, in spießbürgerlichem Kirchturmpatriotismus hinter den Schießscharten ihrer Stadtmauern hervor in die Welt hinausgucken und gemütlich ihre Pfeife Tabak rauchen? Hat der Vaterlandsverteidiger, der seinen Arm, Gut und Blut dem Lande widmet, der Weib und Kind verlassen muß, um sein Leben aufs Spiel zu setzen, hat der schon durch seine Studien und Leistungen zur Mitsprechung eines Wortes berechtigte Gelehrte und Schriftsteller keine Stimme im Rat der Nation ?
Oder will man all diesen Millionen von deutschen Mitbürgern, die seither als Fremdlinge in Deutschland leben und sich soviele Polizeiplackerei und Schikanen (mit Heimweisung, Pässen, Wanderbüchern, Aufenthaltskarten etc.) gefallen lassen mußten - nun zumuten, daß sie ihre Stellen und Plätze, ihre Arbeit und Beschäftigung im Stiche lassen und in ihre Heimat zurückkehren, um der Ausübung ihres staatsbürgerlichen Wahlrechts nicht verlustig zu werden ?
Es handelt sich, deutsche Mitbürger und Freunde, um wenigstens ein Achtteil der Bevölkerung Deutschlands; es betrifft diese Frage den Kern der jüngeren Generation unseres Volkes. Dieses Geschlecht, das die Zukunft miterlebt und die guten wie schlimmen Folgen der neuen Einrichtung unserer Nationalverfassung tragen muß, hat ein größeres Recht darauf, bei ihrer Gründung mit zu Rate gezogen zu werden, als die zu Hause sitzende ältere Generation, welche die größere Hälfte ihres Lebens bereits hinter sich hat.
Wir protestieren daher hiermit feierlich gegen diesen unnatürlichen und vernunftwidrigen Wahlmodus, wonach überall nur der ortsanwesende Gemeindebürger stimmberechtigt sein soll, als gegen eine schreiende Ungerechtigkeit, und sprechen unsere öffentliche Mißbilligung darüber aus, daß weder die im Rat der Fünfhundert anwesenden Volksmänner und Adelsdeputierten noch deren permanenter Ausschuß in Frankfurt ein so wichtiges Moment durch Beschlußnahme befriedigend erledigen konnten.
Wir appellieren dagegen an den gesunden Sinn und gemeinen Menschenverstand, an den richtigen Takt der deutschen Nation, welche eine solche Unbill entschieden mißbilligen und verwerfen wird.
Die deutschen Arbeiter sind keine Kommunisten, sie wollen keinen Krieg gegen die Reichen und das Eigentum; sie verlangen nur Beschäftigung und einen für ihren Unterhalt ausreichenden Lohn für die Mühe und Arbeit; sie verlangen persönliche Freiheit, freie Presse und Gleichheit der Rechte; und darum wünschen sie den Frieden. Um aber Frieden zu erhalten, muß ihnen der Arbeitsverdienst gesichert werden, und zu diesem Behufe verlangen sie eine schleunige Regulierung der deutschen Staatsverhältnisse, und zwar in einen einzigen großen freien Staatskörper mit demokratischen Elementen (Volksherrschaft). - Denn nur durch baldige Wiederherstellung einer gesetzlichen Ordnung in Deutschland kann der gelähmte Handel, der darniederliegende Verkehr neu aufleben, das entschwundene Vertrauen, der fehlende Kredit zurückkehren, die stockende Fabrik-Industrie und gesunkene Manufakten-Produktion wiederhergestellt werden, die mangelnde Arbeit und Dienstnachfrage wiederum beschafft und Beschäftigung gefunden werden, nur so kann die Geldkrisis aufhören und die aus Furcht und Angst dem Umlauf entzogenen Bar-Summen wieder in Zirkulation kommen.
Und dies sind Lebens-Elemente (conditio sine qua non) für den Arbeiterstand, dafür muß also gesorgt werden.
Der deutsche Arbeiter will nicht länger als der Pariah (Auswurf) der bürgerlichen Gesellschaft behandelt sein; man schließt ihn von der Volksbewaffnung aus, weil er an seinem Wohnorte nicht Gemeindebürger ist, - er wird sich selbst auf seine Kosten waffnen und auf eigene Rechnung in den Waffen üben. Man verweigert dem Arbeiter, ihm dem deutschen Mitbürger, als einem Ausländer, das Stimmrecht bei der Parlamentswahl, und es wird daher (anderes bleibt ihm nicht übrig) der deutsche Arbeiterstand als Teil des Volkes aus eigener Machtvollkommenheit für sich selbst Deputierte erwählen. Da die Arbeiter die Zuerkennung des ihnen unbestreitbar zustehenden Wahlrechts nicht erst von der Gnade der Fürsten erbetteln, nicht von der Huld der Minister Exzellenzen abwarten wollen, so haben sie sich in jeder Stadt zusammengetan und in Arbeitervereine konstituiert, welche, um ihr Wahlrecht nicht unausgeübt ruhen zu lassen, eigene Deputierte zum konstituierenden Parlament wählen werden, und zwar durch direkte Wahlen in den einzelnen Vereinen, d. h. in jeder Stadt oder Fabrikbezirk, wo sich ein Arbeiter-Verein befindet, auf je zehntausend Arbeiter einen Abgeordneten (nach dem Vorparlaments-Beschluß kommt 1 Deputierter auf 50000 Seelen, und es wird auf 5 Seelen nächstens 1 Wähler gerechnet werden können); hiernach trifft es auf die Arbeiter in Offenbach, Hanau und Frankfurt zusammen 1 Deputierten. - So wird der deutsche Arbeiterstand seine Vertreter zur konstituierenden Reichs-Versammlung nach Frankfurt entsenden, um so mehr, als bei der Volkszählung von 1819 und der Bundes-Matrikel auf den ortsabwesenden Arbeiterstand gar keine Rücksicht genommen ist.
So beschlossen und angenommen in der General-Versammlung des deutschen Arbeiter-Vereins zu
Offenbach a. M., den 8. April 1848