Volks-Programm
Das Vertrauen in die bisherigen Zustände ist vernichtet, mit ihm Ruhe
und Ordnung. Vertrauen, Ruhe und Ordnung können nur zurückkehren
durch rasche Wegräumung des Schuttes und unmittelbare Begründung
eines Neubaus. Dieser Neubau muß von dem Reichstage zu Frankfurt
gegründet werden, dessen Mitglieder jetzt vom Volke gewählt werden
sollen. Das Volk muß Männer wählen, welche folgendes
verlangen:
- Unterwerfung aller deutschen Stämme und Fürsten unter den
Ausspruch des Reichstages.
- Aufhebung der Zersplitterung und Vielherrschaft durch
naturgemäße Abgliederung in Volksstämme mit demokratischen
Verfassungen; sofortige Beseitigung aller entgegenstehenden Hoheitsrechte;
Einheit dieser Volksstämme mittelst eines Oberhauptes mit einer
Volkskammer ohne Zensus. Der Volkskammer darf höchstens eine vom Volk
gewählte Alterskammer ohne Zensus, nie aber eine Fürsten- oder
Adelskammer beigegeben werden.
- Zur Aufhebung von Hoheitsrechten ist der Frankfurter Reichstag ebensosehr,
ja noch mehr berechtigt als der Wiener Fürstenkongreß im Jahre 1815.
Wer die Aufhebung der Zersplitterung und Vielherrschaft jetzt im
günstigsten Augenblicke abermals in die Zukunft hinausschiebt,
untergräbt die Einheit, lähmt das Vertrauen, unterhält die
Unruhe und stiftet die Unordnung.
- Gänzliche Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, vollkommene
Freiheit in ihren Innern Angelegenheiten, freie Wahl ihrer Vorstände und
freies Assoziationsrecht.
- Vollständige Beseitigung des jetzigen Steuersystems durch
Einführung der progressiven Einkommensteuer.
- Alle politischen Rechte sind nicht das letzte Ziel unserer Bestrebungen,
sondern bloß Mittel zu dem höheren Zwecke, daß der Mensch
wirklicher Mensch werde. Die soziale Frage bleibt die Spitze der staatlichen
Entwicklung. Wir verlangen diese Erklärung vom Reichstage, fügen aber
hinzu, daß dieselbe nur auf dem friedlichen Wege des Geistes gelöst
werden kann, nicht auf dem gewaltsamen der Verletzungen von Personen und
Eigentum. Arbeitsamkeit und Mäßigkeit sind die Grundpfeiler jedes
möglichen sozialen Baues, dessen Hauptglieder die Verwirklichung der Ideen
des Guten, Schönen und Wahren darstellen müssen.
Um obige Grundsätze auf dem Reichstage aufrichtig vertreten und
durchgeführt zu sehen, dürft Ihr keine Männer wählen,
welche bisher der Zeit die Schleppe nachtragen, welche bei jedem kleinen
Zugeständnis angeblich im Interesse der Ruhe und Ordnung Halt! gerufen
haben, welche sich durch Umgebung und Verhältnisse als heimliche
Anhänger des alten Zustandes zu erkennen geben, und die erste Gelegenheit
benutzen werden, um die ihnen bereits zu weit vorgeschrittene Zeit in das Bett
der Reaktion zurückzulenken.
Trier, den 16. April 1848.
Aus Auftrag:
L. Simon, Dr. Wencelius, Otto Wallrath, P. Junk,
Dr. Bleser, Kleutgen, F. Müller, Schily.
Da wir die reifliche Überlegung des Volksprogramms durch
Überraschung nicht abschneiden mochten, so ist dasselbe vorläufig
ohne viele Unterschriften gedruckt worden. Die Beipflichtenden können bei
P. Junk unterschreiben.
Letzte Änderung: 28. May. 2001, Adresse: /deutsch/1848/flugblatt18.html