An die Landsleute über das neue Ablösungsgesetz
der gutsherrlich-bäuerlichen Lasten.

An dem Tage, an welchem die bekannte Verfassung oktroyiert, d. h. geschenkt wurde: verhießen die Brandenburg-Manteuffel den baldigsten Erlaß mehrerer dringlichen Gesetze, namentlich über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Schlesien und Westfalen. Es war eine der konterrevolutionären Frechheit ganz angemessene Konsequenz, in die Eigentumsverhältnisse tief eingreifende Gesetze ohne Befragung wie ohne Zustimmung des Volkes, dies aus höchsteigener Machtfülle, zu erlassen. Das Volk hat wieder als gemütliche Herde den christlichen Schafstall bezogen und so versammelten sich dann schleunigst alle, die sonst zur Schur die Erlaubnis hatten, mit freudigem Hallo um die Hürden und schickten sich an, das profitable Geschäft da wieder aufzunehmen, wo es der März ganz oder zum Teil unterbrochen hatte.

Die erschienene "Verordnung wegen interimistischer Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in der Provinz Schlesien" ist eine Aufforderung an die Herren Fürsten, Standesherren, Grafen, Barone usw., sich zu sputen und "interimistisch" das Landvolk unter dem Anschein des Gesetzes noch so aufzusäckeln und auszuplündern, daß sie nach dem fetten Jahr die mageren desto leichter überdauern können.

Vor dem März war Schlesien das gelobte Land der gnädigen Gutsherren. Durch die Ablösungsgesetze seit dem Jahre 1821 hatte sich das Junkertum so warm gebettet als nur immer möglich. Seine Wut, als es sich im Jahre 1848 in seiner goldenen Ruhe gestört und seine teuersten Vorrechte, die Einkünfte seines Geldbeutels, bedroht sah, überstieg bald alle Grenzen. Infolge der Ablösungen, die stets und überall zum Vorteil der Dominien und zum Ruin des Landvolks betrieben und durchgeführt wurden, hatte das schlesische Junkertum nicht weniger als circa 80 Milliönchen an barem Gelde, an Ackerland und Renten aus den Händen des Landvolks erhalten. Und doch waren die Ablösungen noch lange nicht zu Ende.

Daher die Wut über die gottlose Revolution des Jahres 1848. Die Landleute weigerten sich, den gnädigen Herren fernerhin wie das liebe Vieh Hofdienste zu tun, und die bisherigen furchtbaren Lasten, Zinsen und Abgaben aller Art weiter zu entrichten.

In den Geldkästen der Gutsherren trat eine bedenkliche Schwindsucht ein. Der Zustand dauerte bereits mehrere Monate. Bald hatte ja auch die Nationalversammlung zu Berlin das Gesetz über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse vollendet und dann blieb dem schlesischen Junkertum nur das Lied übrig:

"O jerum, jerum, jerum" usw.

Es war Gefahr im Verzuge. Das begriff die Kamarilla zu Potsdam, deren Säckel sich ebenfalls aus dem Schweiß und Blut des Landvolks zu füllen versteht.

Also fort mit der Nationalversammlung! Machen wir selbst die Gesetze, wie sie uns am einträglichsten erscheinen!

Und so geschah's. Die für Schlesien erschienene Verordnung ist nichts als ein Verhau mit Wolfsgruben und allem Zubehör, in welchem das Landvolk, begibt es sich einmal hinein, unwiederbringlich verloren ist. Heuchelei und liberaler Schein spielen hier, wie bei allen Kunstwerken, die Hauptrolle.

Mit der Aufhebung gewisser Lasten und Leistungen sucht das Ministerium dem Publikum Sand in die Augen zu streuen. So werden u. a. aufgehoben: der Fleisch- oder Blutzehnt, der Bienenzehnt, Walpurgisschoß, Bedegeld, Schäfersteuer, Bienenzins, Wachspacht, Schutzgeld u. lauter Sachen, die von höchst untergeordneter Bedeutung sind, nur hie und da vorkommen und an den meisten Orten nicht einmal den Schimmer eines sogenannten Rechtstitelchens für sich aufweisen können.

Alle übrigen Lasten und Dienste, wenn auch eben so wenig begründet, unterliegen der Ablösung. Und welcher Ablösung! Sind dem schlesischen Landvolk über die Tendenzen der Regierung ja noch nicht die Augen aufgegangen: so werden sie ihm bei der praktischen Durchführung des neuen Ablösungsgesetzes sicherlich übergehen.

Schon die einzige Bestimmung, daß die Generalkommission zu Breslau abermals die Ablösung in die Hände bekommt, ist das Verdammungsurteil des ganzen Gesetzes. In ihr verkörpert sich für den Landsmann ein großer Teil alles Schlimmen, alles Unheils, das ihn bei der stattgefundenen Ablösung betroffen oder bei der künftigen betreffen wird.

Wohin das schlesische Landvolk auch blicken, welchen Paragraphen der Verordnung es auch betrachten mag: überall ist es gefangen, verraten, verkauft.

Die gnädigen Herren werden in der Verordnung bestens aufgefordert, das jetzige Gesetz recht bald zu benutzen. Damit sie's können, ist bestimmt worden, daß der Berechtigte wie der Verpflichtete auf interimistische Auseinandersetzung antragen kann. Will der Verpflichtete nicht, so wird sofort (in contumaciam), d. h. auch wenn er abwesend ist, gegen ihn verfahren.

Das Schiedsgericht entscheidet. Eine Appellation ist nicht gestattet.

Wie ist das Schiedsgericht zusammengesetzt ?

Dieser Punkt ist eben, weil keine Appellation erlaubt ist, von höchster Wichtigkeit.

Nun wohl, § 4 und folgende der zitierten Verordnung geben uns darüber Aufschluß.

Das Schiedsgericht besteht in der Regel aus 3 Personen, kann aber auch 5 Personen enthalten.

Der gnädige Gutsherr wählt einen Schiedsrichter, der Bauer ebenfalls einen und den dritten ernennt - die Generalkommission zu Breslau.

Die Generalkommission ist ihrer ganzen bisherigen Wirksamkeit und ihrer Zusammensetzung nach nichts anderes als eine Behörde, in welcher nur die Interessen, Ansichten usw. der gnädigen Gutsbesitzer repräsentiert werden. Sie wählt natürlich nur Schiedsrichter, die ihres Sinnes sind.

Das Schiedsgericht faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Zwei ist die absolute Majorität. Der vom Gutsherrn und der von der Generalkommission erwählte Schiedsrichter halten zusammen und dann mag der bäuerliche Schiedsrichter sagen, was er will, er ist überstimmt und damit Basta! Wird das Schiedsgericht aus 5 Personen zusammengesetzt, so tritt das nämliche Verhältnis ein. Der Gutsherr und der Landmann wählen je zwei Schiedsrichter, die Generalkommission den fünften. Da letzterer auf Seiten des Gutsherrn sein wird, so bleibt der Bauer nach wie vor der Geprellte. Die Kosten - und welche Kosten! davon weiß das schlesische Landvolk ein herzzerreißendes Lied zu singen - werden zur Hälfte vom gnädigen Herrn, zur ändern Hälfte vom Landmann getragen. Um die gnädigen Herrn vor der Wut des Volkes sicherer zu stellen als bisher, müssen die vom Schiedsgericht festgesetzten Ablösungsrenten an die königliche Steuerkasse nicht mehr direkt an den Gutsherren abgeführt werden. Wer diese neue Steuer weigert, wird vom Staat mit Exekution belegt.

Wir haben nur wenige Paragraphen der Brandenburg-Manteuffelschen Verordnung berührt. Wir bemerken dies, daß in den übrigen Paragraphen nicht weniger Teufeleien und Fällstricke enthalten sind.

Allein was hilft's ? Die gnädigen Herrn brauchen Geld. Der Winter ist da mit seinen Bällen, Maskeraden, lockenden Spieltischen usw. Die Bauern, die bisher die Vergnügungsmittel geliefert, müssen sie auch ferner herbeischaffen. Das Junkertum will sich wenigstens noch einmal einen vergnügten Karneval bereiten und die November-Errungenschaften des Absolutismus ausbeuten, ehe die wirkliche Aufhebung der Lasten durch die nächste Kammer erfolgt.

N.Rh.Z.
Um Nachdruck wird gebeten.
Druck von Eduard Klein, Schweidnitzerstraße Nr. 32


Letzte Änderung: 27. May. 2001, Adresse: /deutsch/1848/flugblatt26.html