Die Demokratie und die Kleinstaaterei.

Die revolutionären Schwingungen der vergangenen Jahre sind verklungen; wir sind wieder angelangt, wo wir 1848 ausgegangen waren, beim restaurierten Bundestag und den restaurierten Schein-Konstitutiönchen der kleinen Staaten.

Die Restauration des Bundestags, das ist das erbärmlichste Resultat so gewaltiger Anstrengungen, das ist zugleich der lebendige Beweis von der gänzlichen Ohnmacht der konterrevolutionären Mächte, etwas Neues, Großes, dem Volke Ersprießliches zu schaffen. Es geht ihnen mit dem Bundestag wie den parlamentarischen Parteien Frankreichs mit der Konstitution. Sie gefällt keiner, ein jeder möchte sie beseitigt wissen - in ihrem Interesse versteht sich, und eine jede sieht sich immer wieder genötigt, sich auf sie zu berufen, sie als Schild zu benutzen gegen die Anmaßungen der übrigen. - Zu furchtsam, mit den Waffen in der Hand die Schranken zu durchbrechen, welche die kleinliche Eifersucht des einen den Bestrebungen des anderen entgegensetzte, weil sie dadurch die Schrecken einer neuen Revolution über sich herauf zu beschwören wähnten, mußten die Mächte einzig wieder zu den Kunstgriffen der Diplomatie ihre Zuflucht nehmen, um sich gegenseitig Konzession und Konzessiönchen abzunötigen. Lug und Betrug stehen wieder höher in Ehren denn je. - In einem Punkte aber sind die Mächte einig untereinander trotz aller Zwistigkeiten und Differenzen; sobald es Forderungen des Volkes, auch nur den leisesten und bescheidensten entgegenzutreten gilt, stehen sie da wie ein Mann und leisten sich gegenseitig Unterstützung und Hilfe. Die kostspieligen theatralischen Aufführungen mit großen Heeresmassen, welche sie gegeneinander ins Feld schicken, dienen nur dazu, das Volk bis zum letzten Augenblick über ihre wahren Absichten zu täuschen.

Hessen-Kassel hat es erfahren, was es heißt, sich auf einen Rechtsboden gestützt der überflutenden Konterrevolution entgegenstemmen zu wollen; was es heißt, mit Reden und Kammerbeschlüssen den Willen und die Launen eines Fürsten bekämpfen zu wollen, der hinter sich die Bajonette des polizeilich einigen und rußifizierten Deutschlands hat. In Hessen-Kassel hat der passive Widerstand seinen einzigen Triumph gefeiert, man sollte glauben, das Volk habe auch anderwärts für immer die Sehnsucht nach einem zweiten verloren. Die Ohnmacht der konstitutionellen Opposition konnte nicht glänzender dokumentiert werden.

Und doch sind es gerade die sogenannten "Führer der Demokratie", welche das Volk von neuem in diese Opposition hineinzutreiben suchen. Unter dem Vorwande, seine Interessen zu vertreten und dafür den Kampfplatz bis zum letzten Atemzuge zu behaupten, lenken sie das Volk von dem einzigen Wege ab, auf dem es seine Rechte, seine Forderungen wirklich zur Geltung bringen kann und führen es zum politischen Indifferentismus, indem sie seinen Eifer in fruchtlosen und unnützen Bemühungen erkalten lassen. Ja, die Interessen des Volkes sind nur Vorwand, das eigene Interesse ist es allein, welches das Benehmen jener sogenannten "Führer" bestimmt, denn mehr als Blödsinn gehört in der Tat dazu, zu glauben, daß auf der Tribüne noch etwas für das Volk durchgesetzt werden könne.

Was wären aber die großen Männer der kleinen Staaten, wenn sie nicht mehr die Tribüne ihres speziellen Vaterländchens zu ihrer Verfügung hätten? Sie ist der alleinige Schauplatz ihrer Taten. Wo böte sich den Lehnes, Müller-Melchiors, Schoders, Mohls und ihren Genossen denn sonst noch eine Gelegenheit, sich dem Volke zu seinen künftigen Ministern zu empfehlen ?

Die Regierungen sind des ewigen Vereinbarens längst satt geworden, sie haben sich der unbequemen Kammermajoritäten kurzweg entledigt, und ihren souveränen Willen wieder als das höchste und einzige Gesetz proklamiert. Die Volksvertretungen, welche sie noch bestehen ließen, sind nur auf den Volksbetrug berechnet; denn sie haben nur ihr "Ja" zu nicken zu den Dekreten der Herren Minister, ihr "Nein" wird nicht beachtet. - Die Regierungen haben sich wieder auf den Boden der Revolution gestellt; soll die Demokratie ihnen dahin nicht folgen, statt durch feige Beteiligung an den volksverräterischen Akten derselben diese zu sanktionieren ?

Den Darmstädter "Radikalen" war aber das noch nicht einmal genug; sie stießen auch noch ihren eigenen Beschluß der Steuerverweigerung wieder um, weil er ihnen den Weg zur Tribüne versperrte ; und um das Maß der Lächerlichkeit vollends vollzumachen, erklärt die auf den Bänken der Opposition wieder "glücklich situierte Minorität" die neue Kammer für "illegal" - um sich dann trotzdem an allen Akten in gewohnter Weise zu beteiligen. Dafür hat Herr Müller-Melchiors freilich die Genugtuung gehabt, den jämmerlichen Großherzog mit dem Beispiel Karls I. schrecken zu können, und sich von seinen Verehrern gebührend bewundern zu lassen wegen seines Heldenmutes, - wie einst Herr Welker bewundert wurde, wenn er in der badischen Kammer täglich mit Revolutionen donnerte, als handhabte er sie wie Kinder-Kanönchen; - von den Geldforderungen der Regierung ist aber kein Heller gestrichen, von ihren "inkonstitutionellen" Gewaltmaßregeln keine einzige zurückgenommen oder auch nur beschränkt worden.

Wie im Darmstädtischen war es auch im Württembergischen nur eine kleine Minorität, welche gegen die Beteiligung an den Wahlen protestierte. Wie lange wird sich das Volk noch von seinen parlamentarischen Wortführern an der Nase herumführen lassen? Es ist die höchste Zeit, daß es sich von ihnen lossagt, denn bis auf wenige, die sich vielleicht nur aus Schwäche der Majorität der übrigen gefügt haben, sind sie unverbesserlich.

Es ist Zeit, daß es einsehen lernt, daß man mit den Regierungen nur mit den Waffen in der Hand unterhandeln kann, daß es nur dann erst die Waffen aus der Hand legen darf, wenn es jene für immer beseitigt hat.

Es ist Zeit, daß es einsehen lernt, daß es in seiner Zersplitterung stets ohnmächtig bleiben wird gegenüber den unter russischem Banner vereinigten Kräften der Konterrevolution, daß es nur eine Staatsform gibt, in der seine Interessen gewahrt und gesichert werden können, für Deutschland:

die Eine unteilbare deutsche Republik!

Erst wenn Deutschland Ein Staat und Eine Republik, kann es in der Reihe der Völker den Platz einnehmen, der ihm gebührt; erst dann ist es mächtig nach außen und innen. Armut und Elend sind die notwendigen Begleiter der Monarchien und der Kleinstaaterei; erst in der einigen und unteilbaren demokratischen Republik kann ernstlich an ihre Beseitigung gedacht werden. Wer es aufrichtig meint mit den Interessen des Volkes, der muß sich zu dieser Fahne bekennen; wer sich dagegen erklärt ist ein Verräter! Das Volk möge jeden als seinen Feind behandeln, der es von der unablässigen Verfolgung dieses Zieles abwendig zu machen sucht.

Es ist Zeit, daß die kleinliche Kammer-Propaganda endlich der wirklich revolutionären Propaganda weiche.

Die Eine und unteilbare deutsche Republik sei
die Parole der nächsten Volkserhebung!


Letzte Änderung: 27. May. 2001, Adresse: /deutsch/1848/flugblatt31.html