Gruß zum neuen Jahr!

An unsere Brüder, die deutschen Proletarier.
Geschrieben in der ersten Stunde des Jahres.

Ihr Männer der Arbeit!

Die letzten Glockenschläge des alten Jahres sind verhallt. Es war wieder ein Jahr vergeblicher Hoffnung. Der Ruf des Wächters trifft unser Ohr:

"Zwölf Stund' hat ein jeder Tag;
Mensch bedenk', daß sterben magst!"...

Ja, es ist wahr: schnell verfliegt die Zeit; und wir sollen schon sterben, die wir noch nicht gelebt. - Im Jahre 1525, wo das arme Volk der Bauern gegen die Aristokratie auf den Schlössern und in den Städten aufstand, da hat einer der Tyrannen, deren heillose Brut noch jetzt von unserem Werke lebt, unter vielen andern Opfern einen jungen Bauern hinrichten lassen. Der hat laut geschrien, daß sich die Steine von Würzburg hätten erbarmen mögen: "Ich soll schon sterben, und hab mich noch nicht ein einzigmal an Brot satt gegessen!" So können auch wir nach 300 Jahren rufen: soll mancher von uns schon sterben, und hat noch nicht gelebt!

Oder ist das ein Leben, was Millionen unserer Brüder führen? Heißt Kummer, Hunger, Mißhandlung, Unterdrückung - Leben? Freilich, freilich. Es heißt auch Leben! "Leben im Jammertale", wie die Pfaffen uns sagen, auf das ein herrliches ewiges Leben folgen soll. O, hinweg mit dem höhnischen Troste, womit diese Pfaffen uns um den Genuß des Lebens bisher betrogen! Verflucht sei jene christliche Ergebung, mit der wir die lachenden Tyrannen auf uns treten ließen. Vermaledeit der Glaube, der dieses Höllenregiment für ein göttliches erklärt!

Mitternacht ist vorüber. Ein wilder Jubel dringt in unsre Gasse. Das ist der "rohe Pöbel"! bemerkt lauschend der reiche Herr Gesandte hinter den seidenen Vorhängen. Es ist die "Canaille"! lispelt beschämt das Fräulein. Und in dem sanft erleuchteten Gemach, auf den sammtnen elastischen Stühlen und Betten wird so still und anständig gefressen, gesoffen und gehurt, daß sich die Canaille draußen billig ein wenig genieren sollte.

Und dieser "rohe Pöbel"? - Das sind unsere Brüder, die in wildem Lärm von einem Jahr der Not und Sklaverei ins andere hineintaumeln wollen; die glauben, es sei besser, wenn sie nur ihre Schande und Knechtschaft auf eine Stunde vergessen. Ja, es sind unsre gedankenlosen Brüder, die nicht bedenken, daß Sittenrohheit und Unbildung der beste Kappzaum sind, an dem uns der lächelnde Diplomat gängelt und leitet. Doch selbst unter den Lärmenden ist mancher Denkende; viele sitzen auch zu Hause im einsamen Stübchen bei der bleichen kummervollen Frau, und sehen mit beklemmter Brust dem neuen Jahre entgegen.

Was hoffen sie vom neuen Jahre?

Die Volksbedrücker in ihrer Verblendung geben uns selbst das nächste Ziel an, nach dem wir arbeiten müssen. Jede freie Regung des Volksgeistes unterdrücken sie mit russischer Barbarei, jede Gesellschaft von freier Haltung jagen sie auseinander; jede Zeitung, die fürs Volk spricht, verbieten sie; den gemäßigsten Menschen weisen sie aus, kerkern sie ein; ein selbständiges Wort betrachten sie als Aufruhr, sie, die Hochverräter an der Verfassung, peinigen die gutmütigsten, verfassungsbewußten Männer als Hochverräter mit allen erdenklichen Qualen - sie brechen ihr eigenes, beschworenes Gesetz und üben Gewalt; sie geben dem Volke statt des Rechtes den Hohn der Willkür, statt Brot - Steine!

Der gesetzliche Kampf ist unmöglich!

Es ist also der heimliche, verdeckte Kampf das letzte Mittel, das uns geblieben ... In diesen heimlichen, verdeckten Kampf werfen wir uns mit aller Macht; seine Einrichtung und Verbreitung ist die Aufgabe dieses Jahres. Das ist nicht eine Verschwörung wie die polnische, wo etliche Häupter festgenommen und die ganze Vereinigung zersprengt werden konnte. Das ist vielmehr eine Verschwörung des ganzen Volkes, zu der selbst die gemäßigtsten Naturen getrieben werden müssen, weil uns allen der Rechtsboden unter den Füßen hinweggenommen ist. Denn heutigen Tags hat nur Recht, wer Gewalt und Besitz hat! Wo daher zwei von uns zusammensitzen, sie sprechen von Revolution. Wo fünfundzwanzig sich treffen, sie reden über Revolution. Jede Fabrik ist ein Herd der Revolution. Jeder wandernde Proletarier ist ein Emissär der Revolution. Ja, in die Kasernen ist schon der Geist der Revolution gedrungen; und die Herren werden sich wundern, wenn nicht manches wackere Regiment statt Feuer zu geben, "Gewehr bei Fuß" macht oder gar noch etwas Besseres. Der Kurfürst von Hessen, so roh und dumm er ist, weiß doch, wenn's heute einen Aufruhr zu dämpfen gäbe, daß er unter seinen Regimentern wählen müßte. Umsonst setzt er seine bravsten und tüchtigsten Offiziere nicht ab; und in einem Jahre soll ihm die Wahl unter seinen Regimentern noch schwerer werden. So muß durchs ganze Volk diese großartige Verständigung verbreitet werden! Die Häupter der Verschwörung sind die Tyrannen selbst; sie treiben den Gemäßigtsten wie den Heißesten dazu; und wollten sie diese Vereinigung zersprengen, so müßten sie wenigsten zwei Drittel des Volkes in die Gefängnisse stecken. Das hätte doch seine Schwierigkeit!

Überall nun für diesen großen Volksbund zu werben, überall die Notwendigkeit der Revolution zu predigen, auf allen Landstraßen, auf der Eisenbahn, in den Schenken, in den Kasernen: Das ist die Hauptaufgabe für dieses Jahr, ihr Proletarier, ihr Brüder! Wir sind so viele, wir können es so leicht; wir dürfen nur zusammenhalten. Die Flugschriften sind uns dabei von dem größten Wert; sie werden geschrieben und gedruckt, wohin die Arme der Tyrannen nicht wohl reichen, und daß ihr sie verbreitet, das kann kein Gott und kein Teufel wehren. Gegen Ende dieses Jahres muß ein Feuer im Volke glühn; und kommt eine schlimme Ernte hinzu, so soll es auflodern, daß es einen lustigen Brand gibt, an dem wir uns wärmen können. - Doch übereilen wir nichts. Wir haben uns so lange wie Hunde treten lassen; wir wollen nun den Tiger machen. Man wird uns noch einige Zeit mit Ruten hauen, das Maul aufreißen, das Fleisch aus den Zähnen zerren, man wird uns auf den Takt unserer Peiniger im Käfig tanzen, an den eisernen Stäben hinauf springen lassen; und wir werden diese Schmach mit funkelndem Auge dulden. Wenn es aber allüberall im Volke glüht und glimmt, wenn der zündende Funke fällt: - dann heraus ihr wilden Schmiedegesellen, ihr rußigen Gießer, ihr bleichen Weber! Dann reckt Brust und Arme, ihr gequälten Fabrikarbeiter! Dann ihr Setzer, gießt die Lettern in Kugeln.

Doch nicht umsonst hat unser neues Jahr eine doppelt geschlungene doppelte Acht:

1848

Doppelt schlingt vorher den Bund, doppelt habt acht! O, pocht nur noch ein Jahr, ihr Brüder in der Eisenhütte, und füllt noch mehr die Säcke eurer reichen Treiber! Webt noch ein Jährlein an dem Leichentuch Alt-Deutschlands, ihr armen Weber! Stehlt, treibt alles nur daß ihr bis dahin nicht verhungert! Flechtet, ihr Seiler, flechtet und dreht! Eure ersten Stricke gelten dem Otterngezücht der Diplomaten, besonders den Schuften am Bundestage. Sie sollen an dem Tore in der Eschenheimer Gasse aufgehängt werden, ohne daß sich was "wegplaudern" läßt. Für ihre Herren, die etliche und dreißig Landesväter, arbeiten unsere Brüder, die Grobschmiede; die machen solide Arbeit, gleich gut für kurze und lange Hälse.

Das ist doch eine erbarmungslose Sprache, nicht wahr? Aber muß nicht die sanfteste Natur durch fortgesetzte Quälereien zur Wut gereizt werden?

"In Gift und Drachenblut habt ihr die Milch der frommen Denkart uns verwandelt."

Ihr verfluchten Tyrannen, ihr Henker des Rechts, ihr schonungslosen Volksschinder, ihr Fürsten, Aristokraten, Pfaffen und Geldsäcke! Das Gericht komme über euch! - Die mißhandelten Männer des Volkes werden schwere Klagen wider euch richten; die halbverhungerten Weber strenge Rechenschaft über ihre niedergeschossenen Brüder verlangen; die eingekerkerten Söhne Deutschlands mit heißen Worten ihr gestohlenes Leben, ihre vernichtete Gesundheit zurückfordern!

So voran nun, du doppeltverschlungenes, doppelachtiges Jahr! Vielleicht zerhaut ein Ereignis in diesem Jahre die Fesseln, die uns ins Fleisch schneiden.

"Zwölf Stund' hat ein jeder Tag; Mensch bedenk', daß sterben magst!"
Und wir haben noch gar nicht gelebt! . . .
Deutschland.
Gedruckt bei Schlagdrauf und Hilfdirselbst.
1848

Letzte Änderung: 28. May. 2001, Adresse: /deutsch/1848/flugblatt4.html