II. Die Steuern


Wilhelm Wolff


IV. Das Schutzgeld


Wilhelm Wolff

Die schlesische Milliarde

III. Die Ablösung der Feudallasten

Unter dem Titel »Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse« wußte sich die preußische Ritterschaft nicht lange nach den sogenannten Freiheitskriegen ein Gesetz zurechtzumachen, das alle ihre Herzenswünsche befriedigte und in der praktischen Ausführung noch übertraf. Die Gesetzesmacher, den König, die Prinzen, die Minister und den ganzen Staatsrat einbegriffen, waren als Besitzer einer größeren oder kleineren Zahl Rittergüter ganz direkt bei jener Regulierung interessiert, waren Partei gegen die Bauern. Von blödsinnigen und bezahlten Publizisten des In- und Auslandes als unendlich freisinnig gepriesen, war jenes Gesetz über Ablösung der Feudallasten eine unversiegliche Quelle namenlosen Elends und unverschämtester Plünderei für das Landvolk, eine unerschöpfliche Goldgrube für die schwelgende Ritterschaft und denjenigen Teil der preußischen Bürokratie, der mit Ausführung dieser schlau ersonnenen Ablösung beauftragt war.

Hätten Tausende von Räuberbanden das Land durchzogen und in allnächtlichen Einbrüchen Hab und Gut des Landvolks hinweggeschleppt: des Unglücks hätte man sich getrösten, den Schaden verschmerzen und ersetzen können, während vor dieser ägyptischen Landplage der »Ablösung« und ihren Folgen keine Rettung, kein Verschmerzen und Getrösten übrigblieb. Mit unsichtbarer Tinte hatte die gesetzgebende Kaste die Dantesche Inschrift über dem Höllentor an den Eingang jener »Ablösungs«ordnung hingestellt. Erst in der Praxis wurde sie den Bauern leserlich, sie buchstabierten und lasen, daß ihnen die Augen vor stechendem Schmerz, den Rittern dagegen vor tiefinnerlichster Wonne übergingen, und wenn jetzt der Bauer abermals von »Ablösung«, von »Entschädigung« der hohen Herren usw. reden hört, so rieselt ihm die Bedeutung der Inschrift »Lasciate ogni speranza voi che entrate« (Eintretend hier laßt jede Hoffnung fahren!) kalt über den Rücken.

Wieviel allein die schlesische Ritterschaft mittelst jenes königlich preußischen Ablösungsgesetzes in zirka dreißig Jahren aus dem nun »abgelösten« Teil der ländlichen Bevölkerung herausgelöst hat, ist in einer früheren Nummer des Blattes berechnet worden. Erinnern wir uns daran, daß durch jenes Gesetz wegen »Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse« den Gutsherren eine enorme Entschädigung für Feudallasten zugewandt wurde, die schon längst unentgeltlich hätten abgeschafft sein müssen. Den Raubrittern wurde der zwanzig- bis fünfundzwanzigfache Betrag für die bisherigen Leistungen der Bauern zugesprochen und bar oder in Renten oder Äckern entrichtet. Statt daß die Bauern für den Raub, den die Ritterschaft so lange an ihnen begangen, entschädigt worden wären, verlangte und erhielt durch jenes Gesetz die noble Ritterschaft noch eine Entschädigung, die den feudalen Raub unter einer bürgerlichen legalen Form verewigte.

Aber die Scheußlichkeit des Gesetzes wurde durch die Art seiner Ausführung noch erhöht.

Werfen wir jetzt einen Rückblick auf das dabei beobachtete Verfahren, auf die praktische Anwendung des Gesetzes.

Diese war in unterster Instanz den königlichen Ökonomiekommissarien und ihren Gehilfen, den königlichen Vermessungskondukteurs und Aktuarien, übertragen. Über ihnen schalteten und walteten gleich Paschas die berüchtigten Generalkommissionen. War der Ablösungsantrag gestellt worden, so erschien der Herr Ökonomiekommissarius und Kompanie im Dorfe, um die erste Verhandlung aufzunehmen. Die Herren Ritter, die sich stets auf gute Geschäftchen verstanden, luden diese jetzt über alles wichtigen Beamten zu sich aufs Schloß, wo man sie aufs trefflichste bewirtete und bearbeitete. Oft hatte die Bearbeitung schon früher stattgefunden, und da die Herren Ritter den Champagner nicht sparen, wenn etwas dadurch erreicht werden kann, so waren die patrimonialvergnüglichen Bemühungen meist erfolgreich. Sicher gab's unter der fraglichen Klasse von königlichen Beamten auch solche, die sich den klingenden und schäumenden Beweisgründen für die »wohlerworbenen Rechte« und Ansprüche der Ritter unzugänglich zeigten, aber ebenso sicher bildeten gerade diese bei weitem nicht die Mehrzahl. In Fällen, wo der Ökonomiekommissarius seinerseits sich genau ans Gesetz hielt, nützte es den Bauern wenig, sobald zum Beispiel der Kondukteur vom Dominialherrn oder dessen Rentmeister, Oberamtmann, Wirtschaftsinspektor usw. gewonnen war. Fälle dieser Art kamen in großer Zahl vor. Noch schlimmer für die Bauern, wenn, wie in der Regel geschah, zwischen Ökonomiekommissarius, Kondukteur und Patrimonialherrn das herzlichste Einverständnis herrschte. Dann war das ritterliche Herz fröhlich und guter Dinge.

In seiner ganzen Machtfülle, womit namentlich das altpreußische Beamtentum seine Angehörigen zu umkleiden wußte, trat jetzt der königliche Kommissarius unter die im Gerichtskretscham (Schenke, worin alle öffentlichen Verhandlungen geführt werden) versammelten Bauern. Er verfehlte nicht, die Bauern zu erinnern, daß er »im Namen des Königs« hier sei und mit ihnen verhandle.

»Im Namen des Königs!« Bei dieser Phrase traten dem Bauer alle düstern Gestalten wie Gendarmen, Exekutoren, Patrimonialrichter, Landräte usw. gleichzeitig vor Augen. War er doch von ihnen allen stets in jenem Namen bedrückt oder ausgesaugt worden. »Im Namen des Königs!«, das klang ihm gleich »Stock« oder Zuchthaus; es klang wie Steuern, Zehnten, Fronden und Sportelgelder. Das alles mußte er ja auch »im Namen des Königs« zahlen. Schlug diese kommissarische Einleitung nicht vollständig an, zeigte sich die Gemeinde oder einzelne Wirte in ihr bei diesem oder jenem Punkt gegen die dominialkommissarischen Pläne widerspenstig, so verwandelte sich der Kommissarius in den olympischen Donnerer, der ein »heiliges Tausendsackerment« nach dem andern in die verdutzte Bauernschar hineinschleuderte und dann sanfter hinzusetzte: »Macht ihr noch ferner solche unnütze und dumme Weitläufigkeiten, so sage ich euch, daß ihr noch ganz gehörig dafür >blechen< sollt.«

Dieses symbolische Anfassen des bäuerlichen Geldbeutels gab dann meist den Ausschlag. Die Leistungen und Gegenleistungen und die Entschädigungsberechnungen konnten jetzt den gutsherrlichen Wünschen bequem angepaßt werden.

Der Kondukteur seinerseits vermaß die vorhandenen Rustikaläcker. War er vom Ritter gewonnen, so maß er den Bauern weniger Acker heraus, als sie besaßen. Zur Abschätzung von Nutznießungen, Bodenbeschaffenheit usw. wurden Kreisschulzen als Sachverständige zugezogen. Diese, in der Mitte zwischen der großen Masse der Bauern und den Herren Rittern, aber gewöhnlich auf Seite der letzteren, leisteten den Dominialherren noch weitere Dienste, indem sie die Äcker der Bauern nicht selten in eine niedrigere Klasse einreihten. Bei der endlichen Rückvermessung sah sich der Bauer abermals verkürzt, indem er weniger Acker erhielt, als im Rezeß stand. Dazu kamen noch Übervorteilungen bei Ausgleichung der einen Bodenklasse mit der andern. Zuweilen ereignete es sich, daß der Bauer das Sprichwort: »Wer gut schmiert, der fährt auch gut«, sich ebenfalls zu Gemüt führte. Dann mußte abermals irgendein anderer Bauer im Dorfe für das »Schmieren« herhalten. So übersandte ein Schmied, der bei seiner Stelle zirka 15 Morgen Acker hatte, dem Vermessungskondukteur 30 Quart Honig. Das trug ihm schließlich 1/2 Morgen Zuwachs ein.

Den Hauptschnitt machten natürlich die Herren Ritter. Einesteils bestimmten sie den Ökonomiekommissarius, den Acker der kleinen Leute, wenn's irgend ging, auf die schlechteste Seite hin zu verlegen. Der gute Boden wurde zum herrschaftlichen geschlagen und dafür den Rustikalen (Bauern) herrschaftlicher Acker zugemessen, der in nassen Jahren regelmäßig ersäuft. Andernteils wurde den Bauern ein Teil ihres Ackers durch die Vermessung direkt eskamotiert. Unter den Tausenden von Fällen erinnern wir bloß an einen, wo der übervorteilte Rustikalbesitzer sich die an ihm begangene Spitzbüberei so zu Herzen nahm, daß er wahnsinnig wurde, ins Irrenhaus kam und darin starb. Seine Frau grämte sich über das Schicksal ihres Mannes zu Tode, und die zahlreichen Kinder gingen teils im Elend unter, teils wurden sie bei fremden Leuten untergebracht. In einem andern Dorfe gaunerte ein ganz für die Raubritterschaft gewonnener Kondukteur einem Müller durch falsche Vermessung 3/4 Morgen ab. Der Müller, ein ganz gescheiter Mann, der sich selber aufs Feldmessen verstand und auch zur Führung eines Prozesses die nötigen Mittel besaß, schrieb dem Kondukteur: Wenn er nicht binnen drei Tagen die Spitzbüberei wieder gutmache, so werde die Sache weiter verfolgt werden. Da freilich eilte der Kondukteur schon am zweiten Tage herbei und maß den fehlenden Acker sofort hinzu. Der Kondukteur war sich wohl bewußt, daß er im ganzen Kreise Ähnliches und noch Schlimmeres begangen; daher seine Eile, damit die Sache nicht erst in weiteren Kreisen ruchbar würde. Solche Fälle der Restitution waren indes unerhört. Was einmal zum Vorteil der Herren Ritter vermessen respektive gestohlen war, das verblieb ihnen. Der Landmann hatte nicht die Mittel zu weitläufigen und kostspieligen Prozessen, zur Bezahlung von Untersuchungskommissionen, von neuer Vermessung usw. Manche fingen Prozesse an, die jahrelang dauerten und gewöhnlich mit ihrem vollständigen Ruin endigten.

Den Schluß des raubritterlichen Geschäfts bildete die Ausfertigung und Unterzeichnung der von der Generalkommission zusammengestellten »Rezesse«, Urkunden, in denen die Äcker eines jeden Rustikalen vor und nach der Vermessung rücksichtlich ihrer Lage, Morgenzahl usw., ferner die abgelösten oder ausgeglichenen Leistungen an die Gutsherrschaft usw. verzeichnet standen. Dann kam die Generalkostennote, und mit ihr begann erst recht der Jammer des Landmanns. Zur Charakterisierung dieser Rechnungen gibt's keinen andern Ausdruck als: unverschämt. Der Bauer mochte protestieren, sich die Haare raufen: half alles nichts. Auf seinen Geldbeutel war's ja eben abgesehen; der Fiskus nahm seinen Teil Stempelsteuer vornweg, und das übrige diente zur Besoldung der Generalkommission, der Ökonomiekommissarien usw. Dieser ganze Beamtenschwarm lebte dafür herrlich und in Freuden. Pauvre Burschen haben sich in ihrer Stellung als Ökonomiekommissarien mit Hilfe des raubritterlichen Nefas sehr bald ebenfalls zu Rittergutsbesitzern herauf geschwungen. Daß die Entscheidung bei den Generalkommissionen in den Händen von Adligen lag, bedarf kaum der Bemerkung. Ohne sie wäre es um die Geschäftchen der Herren Ritter nicht so gut bestellt gewesen. Die Generalkommissionen haben bis jetzt aus leicht ersichtlichen Gründen noch keine Übersicht ihrer sämtlichen Kostenbeträge veröffentlicht. Wird diese Berechnung später ans Licht gezogen, so werden die schlesischen Bauern erstaunen, welch enorme Summen sie insgesamt für ihre »Rezesse« und was dazu gehörte, bezahlt haben. Die eizelnen Gemeinden und die Rustikalen darin werden ohnehin nie vergessen, was sie damals haben »blechen« müssen. Ein kleines Dorf zum Beispiel, dessen Wirte zusammen noch nicht 30 Morgen besaßen, mußte an Rezeßkosten zirka 137 Taler bezahlen; in einem andern kamen auf einen Stellenbesitzer mit 7 Morgen Acker nicht weniger als 29 Taler Kosten.

»Das waren so selige Tage,
Bewimpeltes Schiffchen, ach trage
Noch einmal zu ihnen uns hin!«

So singen die Herren Ritter, so singen ihnen nach die Herren der Generalkommissionen und die übrigen, welche bei der bisherigen dreißigjährigen Ablösungs- und Entschädigungsfrage feist wurden. Das raubritterliche Entschädigungsgericht war so köstlich, daß es, mit einigen neuerfundenen christlich-germanischen Ingredienzen gewürzt, auch ferner auf den Tafeln der hohen und noblen Herren nicht fehlen soll. »Es schmeckt nach mehr!« spricht die schlesische Raubritterschaft, streicht sich schmunzelnd den Schnauzbart und schnalzt mit der Zunge, wie die Krautjunker pflegen.

Inzwischen hat sich aber auch bei dem schlesischen Landvolk, namentlich seit dem März vorigen Jahres, ein Appetit nach »Entschädigung« im entgegengesetzten Sinne entwickelt. Fahren die Herren Ritter fort, diesen durch ihr Beispiel noch mehr zu reizen und aufzustacheln, so dürfte er sehr bald unwiderstehlich werden.

Und die Bauern haben einen ganz gesunden Appetit: Das werden die Herren Ritter merken, wenn es einmal an ein Rückzahlen der schlesischen Milliarde geht!

Napoleon bearbeitete 1806 bis 1807 das übermütige Preußen mit gewaltigen Keulenschlägen. Er demütigte es so tief, daß der damalige preußische König sich gezwungen sah, an der verrosteten Staatsmaschinerie einige Reparaturen - Reformen genannt - vornehmen zu lassen. Infolge jener Keulenschläge verblichen unter anderm »Erbuntertänigkeit« und »Zunftzwang« eines gewaltsamen Todes. Für den Zunftzwang erhielten wir Gewerbefreiheit. Sehr bald wußte die preußische Raubritterschaft, ihr voran die schlesische, doppelten Vorteil zu ziehen, mit andern Worten einzelne Klassen des Landvolks auf zweifache Art, modern-bürgerlich und feudal-ritterlich, auszusaugen.

Zum Verständnis einige kurze Bemerkungen.

Die »Erbuntertänigkeit«, diese wenig gemilderte, in der Praxis oft noch härtere Form der eigentlichen »Leibeigenschaft«, fiel, von einem Nachhauch der Französischen Revolution angeblasen, zu Boden. Was aber nach wie vor aufrecht stehenblieb, das waren die Fronden oder »Hofetage« und die Geld- und Naturalleistungen an den »gnädigen« Patrimonialherrn. Durch Abschaffung der Erbuntertänigkeit erlangte der Landmann bloß folgendes: 1. Seine Kinder durften nicht mehr zwangsweise und für ein bestimmtes Hundegeld und ungemachten Fraß soundso viele Jahre dem Gutsherrn als Ochsen-, Pferde- und Schweinejungen oder als dito Knechte und Mägde dienen; 2. seine Kinder durften, ohne daß es der Erlaubnis des gnädigen Gutsherrn und der dafür zu entrichtenden Abgabe von 5 bis 15 und mehr Talern bedurfte, ein Handwerk oder eine freie Kunst lernen, sich überhaupt einen Lebensberuf wählen, ohne die gottbegnadeten Räuber von soundso viel Ahnen dafür zu bezahlen; 3. der Landmann durfte heiraten ohne vorgängige Erlaubnis und Bezahlung des Gutsherren; 4. er durfte ohne vorgängige Erlaubnis und ohne soundso viel Taler Abzugsgelder zu entrichten, sich aus einem Dorf ins andere, sogar in einen andern Kreis und noch weiter, wenn's ihm beliebte, übersiedeln. Dies waren die Haupt»errungenschaften«, die infolge des Einrückens der französischen Armee 1806 und ihrer glänzenden Siege über das preußische Krautjunkertum dem Landmann zuteil wurden.

Im übrigen fuhr die edle Ritterschaft fort, unter dem Titel von Robotdiensten, Grundzinsen, Laudemien, Marktgroschen, Zehnten und der vielen andern feudalen Abgaben und Leistungen, das Landvolk nach Kräften auszusaugen und von dem Schweiß des sich von früh bis in die tiefe Nacht abplackenden kleinen Mannes herrlich und in Freuden zu leben.

Es blieb indes nicht einmal beim alten, sondern die Herren Ritter schnitten von nun ab sogar doppelte Riemen aus dem Leder des Bauern.

Die Gelegenheit dazu ergab sich aus der Einführung der Gewerbefreiheit.

Solange der Zunftzwang andauerte, zahlte der ländliche Handwerker und Gewerbetreibende für sein Handwerk oder Geschäft eine jährliche - der Regel nach ziemlich hohe - Abgabe an den gnädigen Gutsherrn. Dafür genoß er den Vorteil, daß ihn der Gutsherr gegen die Konkurrenz anderer durch Versagung der Betriebserlaubnis schützte und daß der Gutsherr außerdem bei ihm arbeiten lassen mußte. So verhielt sich's namentlich bei den Müllern, Brauern, Fleischern, Schmieden, Bäckern, Kretscham (Wirtshaus-)Besitzern, Krämern usw.

Zwar haben die Herren Ritter die Frechheit gehabt, bis auf die neueste Zeit herab, durch ihre eigenen und durch erkaufte Federn den Nachweis führen zu wollen, daß die von jenen Handwerkern und Gewerbetreibenden zu zahlenden Abgaben auf Grund und Boden hafteten und nichts weiter als ein Grund- oder Erbzins seien. Sie konnten aber höchstens nur denjenigen Leuten Sand in die Augen streuen, die von den ländlichen Verhältnissen in Schlesien soviel wußten wie der Blinde von der Farbe. Aus einigen wenigen Fällen, die zugunsten der raubritterlichen Ansicht sprachen, suchten die Herren schlauerweise einen allgemeinen Grundsatz zu fabrizieren, und da sie im innigsten Bunde standen mit jenem Scheusal, altpreußischer Richterstand genannt, einem Scheusal, das namentlich auf dem Landvolk schlimmer gelastet hat und noch lastet als alle ägyptischen Landplagen zusammengenommen, so gelang es ihnen, den profitreichen Grundsatz auf die ungeheure Mehrheit der Fälle, auf die er nicht paßte, fortwährend anzuwenden.

Während der »gnädige« Herr seit Einführung der Gewerbefreiheit sich immer mehr in industrielle Spekulationen einließ und zum Beispiel Wasser- und Windmühlen, später amerikanische Dampfmühlen, anlegte und nicht bloß sein eigenes Getreide, das sonst der Dorfmüller zum Vermahlen erhalten mußte, in die eigene Mühle schickte, sondern auch als übermächtiger Konkurrent seinen eigenen Dorfmüller und die Müller weit und breit mehr oder weniger ruinierte, schämte er sich gleichwohl nicht, von dem betreffenden Müller nach wie vor dieselben Abgaben zu erheben als zur Zeit, da der Zunftzwang bestand und das herrschaftliche Getreide dem zinsenden Müller Beschäftigung und Verdienst gewährte.

Die neuen herrschaftlichen Mühlen hatten keinerlei feudale Abgaben zu entrichten, so daß die Herren Ritter schon um deswillen billiger produzieren und verkaufen und damit den zinsenden Müller ruinieren konnten und wirklich ruinierten. Bei Forterhebung dieser Geld- und Naturalleistungen beriefen sich die Dominialvergnügten einerseits auf ihre Gegenleistungen an die Müller, zum Beispiel auf die Verpflichtung, das Wehr und den Wasserlauf im Stande zu erhalten, die Mühlsteine und das nötige Bauholz unentgeltlich anzufahren, andererseits erklärten sie die Abgaben lediglich für einen Grundzins. Davon abgesehen, daß die Leistungen der Müller mit den Gegenleistungen der Gutsherren im schreiendsten Mißverhältnis stehen, daß sie nur unter dem Zunftzwange einen Sinn hatten und als damalige Gewerbesteuer an den Gutsherrn begreiflich sind, haben wir zum Glück an vielen Orten so schlagende Beweise von der gewerblichen Eigenschaft jener Mühlenabgaben vor Augen, daß die Herren Ritter es stets fürs klügste gehalten, solche kitzlige Dinge mit dem unverbrüchlichsten Stillschweigen zu behandeln.

Zum Beispiel: Es gibt eine große Zahl schlesischer Mühlen, die entweder gar keinen Acker besitzen oder so wenig, daß man noch schamloser sein müßte im Behaupten als die schlesische Ritterschaft im Rauben, wenn man die jährlichen Mühlzinsen in Geld, Getreide, Mehl und Hofediensten auch nur zu einem Teil für Grundzinsen ausgeben wollte. Uns ist eine Wassermühle von zwei Gängen bekannt, ohne allen Acker, die aber dennoch dem Gutsherrn jährlich zirka 40 Taler - Getreide und Mehl mit in Geld berechnet - zu entrichten hat. Vor 1810 konnte der Müller diese Abgabe sehr wohl aufbringen. Der Dominialherr durfte damals keinen Scheffel Getreide anderswo als in dieser ihm zinsenden Mühle vermahlen lassen, der gleiche Mahlzwang erstreckte sich auf das ganze Dorf und auf andere Dörfer bis dahin, wo das von den Gutsherren geschützte Monopol eines andern zinsenden Müllers anfing. Der Müller entschädigte sich für seine Abgaben ans Dominium schon an dem herrschaftlichen Getreide. Für das Hofgesinde wurde das Mehl möglichst schlecht geliefert und von herrschaftlichem wie bäuerlichem Mahlgut doppelt »gemetzt«.

Trotzdem daß dies alles aufgehört, daß der Dominialherr eine eigene Mühle gebaut und dem ihm Zinsenden durch wohlfeilere Produktion die Kunden entrissen hat, ist ihm seit 1810 alljährlich der frühere Geld- und Naturalzins von zirka 40 Talern fort und fort entrichtet und so ein Besitzer der Mühle nach dem andern bankerott gemacht worden. Das Zugrundegehen der verschiedenen Besitzer war stets eine neue Einnahmequelle für den gnädigen Herrn Baron. Wie bekannt, muß bei jedem Verkauf einer bäuerlichen Besitzung dem Gutsherrn unter dem Titel Laudemium eine Abgabe von 10 Prozent entrichtet werden. Je mehr Subhastationen und Verkäufe, desto mehr Laudemien, desto erfreulicher für den gutsherrlichen Geldsack.

Ferner: Ein Müller im Schweidnitzer Kreise, der seine Wehr und was zum Wasserlauf und zur Mühle gehört selbst zu bauen hat und dem die Gutsherrschaft zu keiner Gegenleistung verpflichtet ist, zahlt jährlich über 80 Taler Zins an den gnädigen Herrn, das heißt nämlich die Summe wie vor Einführung der Gewerbefreiheit. Daß es kein Grundzins ist, ergibt sich aus Vergleichung mit andern Besitzungen in jenem Dorf, die bei einer gleichen Morgenzahl an Grundzins 6 1/2 Taler jährlich zu zahlen haben. Bleiben 73 1/2 Taler, die bloß dieser eine Müller jährlich, oder seit 1810 insgesamt zirka 2940 Taler, für den Zunftzwang, der nicht mehr besteht, dem Gutsherrn, der freilich fort und fort und sehr wohl dabei besteht, in den Rachen geworfen hat und mit vollstem Recht auf Zurückzahlung des Raubes dringen wird, sobald der Tag der Abrechnung und einer modernen Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse angebrochen ist.

Ferner: Bei Windmühlen kommt die Raubrittergier, die ihre Beute gern aus einem Rechtstitel herleitet, am meisten ins Gedränge. Wehr- und Wasserbauten lassen sich hier doch nicht gut als Grund für den Mühlenzins anführen. Ist nun die Windmühle zugleich ohne Acker, so löst sich auch der angebliche Grundzins - der übrigens auch weiter nichts als eine raubritterliche Erpressung ist - in Rauch auf. Fragt man in solchen Fällen die Herren Ritter nach dem Grunde der Abgabe, so stehen die Ochsen am Berge und schweigen. Der gedachten Fälle sind nicht wenige. Wir erinnern uns einer Windmühle, bei der außer dem Fleck, auf welchem sie steht und herumgedreht wird, auch nicht eine Quadratrute Acker befindet. Dennoch muß sie dem Gutsherrn den enormen Zins von zirka 53 Talern entrichten wie unter dem Zunftzwang, der ihr das Monopol und damit das Wiederheraus des Zinses an den Gutsherrn sicherte.

Wie den Müllern, so ging's den übrigen Handwerkern und Gewerbetreibenden.

Der Schmied mußte unter dem Zunftzwang für einen festgesetzten Lohn alle sein Fach betreffenden Arbeiten fürs Dominium liefern. Bei ihm allein durfte der Gutsherr die Pferde und die Wagen- und Pflugräder beschlagen, die Pflugschare und Seche, die Eggen, Ketten usw. anfertigen lassen. Auch die Bauernschaft war an den monopolisierten Schmied gewiesen. Dafür zahlte er dem Gutsherrn jährlich soundso viel Zins und leistete ihm soundso viel Hofedienste.

Mit der Gewerbefreiheit mußte diese Abgabe sofort wegfallen. Sie ist aber durch die im preußischen Staat übermächtige Raubrittergewalt aufrechterhalten und forterhoben worden. Während die gnädigen Herren solchergestalt ihre Beutel mit Abgaben, die aus dem Zunftzwang herrührten, bis auf den heutigen Tag zu spicken wußten, benutzten sie die Gewerbefreiheit, um, wie dem Müller herrschaftliche Mühlen, so dem Schmiede herrschaftliche Schmieden zum eignen Bedarf wie zur Konkurrenz entgegenzustellen. So vereinigte sich das raubritterliche Talent mit dem bürgerlich-industriellen Genie, und die Krone »von Gottes Gnaden« sprach ihren Segen dazu.

Wäre das Gesetz »zur Regulierung der gutsherrlich bäuerlichen Verhältnisse« nicht durch und durch bloß auf den Vorteil der Raubritterschaft berechnet gewesen, so durfte es wenigstens das Aufhören des Zunftzwangs nicht ignorieren. Auf Grund dieses Gesetzes haben in den letzten dreißig Jahren die sogenannten Ablösungen stattgefunden. Vielleicht ein Drittel des schlesischen Landvolks hat sich »abgelöst«, mit andern Worten, hat seine Roboten und Zinsen an die gnädigen Gutsherren in die für letztere weit bequemere und einträglichere Form von Renten verwandeln lassen oder den Ablösungsbetrag sofort bar, zum Teil auch durch Abtretung von Äckern entrichtet. Die Schlußakte eines jeden Ablösungsverfahrens heißt »Rezeß«. Wie diese Rezesse zustande gekommen, haben wir in einer früheren Nummer auseinandergesetzt. Was speziell jene aus dem Zunftzwang herrührenden gewerblichen Abgaben an die Gutsherrschaft, wie die Zinsen der Müller, Schmiede, Bäcker, Kretschmer, Fleischer usw., anlangt, so sind diese, so laut auch das Unrecht zum Himmel aufschrie, mit abgelöst und in den »Rezessen« vermerkt worden. Zwar sind über diese Abgaben während der letzten dreißig Jahre eine Menge Prozesse, insbesondere wegen der Mühlenzinse, anhängig gemacht worden. Doch die Ritterschaft verlor selten und aus leicht begreiflichen Gründen, deren Wiederholung überflüssig. Genug, die meisten der sogenannten Verpflichteten zahlen diese Abgaben noch fort oder haben, wo die »Ablösung« vor sich gegangen, enorme Summen dafür aufbringen und die »Rezesse« nolens volens unterschreiben müssen.

Betrug und Gewalt auf der einen und teilweise Unwissenheit und Schafsgeduld des schlesischen Landvolks auf der andern Seite sind die Grundlagen, auf denen die Ablösungs»rezesse« beruhen. Nicht zufrieden, solche Sächelchen wie Mühlen-, Schmiede-, Kretscham- und andre Zinsen ablösen und in die »Rezesse« aufnehmen zu lassen, wußte die noble Ritterschaft noch andre Dinge für sich hineinzuschmuggeln und unter der Form des bürgerlichen Vertrages, des "Rezesses", durch die Unterschrift der Bauern und das Siegel der Generalkommission festzustellen. Von tausend Beispielen nur eins. In Pitschen, Striegauer Kreises, hatte der Herr Graf Matuschka, Besitzer dieser Herrschaft, kein Urbarium, also keine Urkunde, in der irgend etwas von der Verpflichtung der Bauern zur Zahlung von Laudemien gestanden hätte. Gleichwohl hatten die Bauern fortwährend Laudemien zahlen müssen. Als nun das Dorf die Ablösung beantragt hatte und die Sache bis zum Abschluß des »Rezesses« gediehen war, da weiß der Dominialherr oder sein Vertreter geschickt eine Stelle von den Laudemien anzubringen, durch welche die Bauern zur Zahlung verpflichtet werden. Der »Rezeß« ward unterschrieben wie gewöhnlich, und nun hatten die Bauern ihre Laudemienpflicht schwarz auf weiß und mit ihrer Unterschrift bekräftigt. Mehrere Jahre später klagte aber ein Bauer, dem der edle Graf Laudemien abforderte, vor Gericht. Der Graf berief sich auf den »Rezeß«. Doch das Oberlandesgericht zu Breslau fand diesmal die Sache doch zu arg. In seinem Erkenntnis erklärte es jene eingeschmuggelte Klausel für null und nichtig und sprach den Bauer von der Laudemienzahlung frei.

In Oelse bei Striegau kam auch ein »Rezeß« zustande. Die Bauern freuten sich anfangs; sie dachten, bei der Ablösung noch gut weggekommen zu sein. Bald wurden sie aber eines andern belehrt. Es waren in dem »Rezeß« die beiden Wörter »exklusive« und »inklusive« wiederholt vor gekommen. Das Aktenstück war den Leuten, ehe sie unterschrieben, vorgelesen worden. Was sie nach ihrem Verständnis für »exklusive« gehalten, das hatte der »Rezeß und der dominialvergnügte Amtsrat inklusive gemeint und umgekehrt. Als den Bauern die beiden Worte sehr bald tatsächlich durch die an sie ergehenden Forderungen aufgeklärt wurden, da kratzten sie sich hinter den Ohren und sagten mit trauriger Miene: »Hätta mer og die verflischta beda Wörtla verstanda, sie hätta uns nicht a su bscheißa sulln!« (Hätten wir nur jene verdammten beiden Wörter verstanden, sie hätten uns nicht so beschummeln sollen!)

Es genügt durchaus nicht, die bisher vorgekommnen Ablösungen oder die »Rezesse« einer Revision zu unterwerfen und sie, soweit sie auf Urbarien sich stützen, gelten zu lassen. Die Urbarien selbst sind im vorigen Jahrhundert mit noch größerer Gewalt und noch ärgerm Betrug teils aufgestellt, teils konfirmiert worden als die »Rezesse« in diesem.

Was das schlesische Landvolk mit allem Recht zu fordern hat, das ist: Rückgabe des ritterschaftlichen Raubes, insoweit er durch die »Rezesse« legalisiert worden, Rückgabe aller an die Gustherren seit 1810 entrichteten Zinsen und Naturalleistungen, die im Zunftzwang ihren Ursprung hatten, unentgeltliche Aufhebung sämtlicher Feudallasten und vollständige Entschädigung für die zirka 300 Millionen Taler, um welche der schlesische Landmann bloß in den letzten dreißig Jahren von seiner gottbegnadeten Raubritterschaft direkt geprellt worden ist.



II. Die Steuern


Wilhelm Wolff


IV. Das Schutzgeld


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