Kapitel 10 |
Der antipatriotische Antimilitarismus hat in Deutschland keinen Boden und wird keinen Boden finden. Wohl aber wird sich die Propaganda der deutschen Sozialdemokratie in immer stärkerem Maße mit der Propaganda der internationalen Solidarität der Arbeiterschaft und mit der Propaganda des Völkerfriedens als eines Zieles des proletarischen Befreiungskampfes durchtränken müssen. Die oben erörterten antimilitaristischen Programmforderungen geben dafür eine geeignete einwandfreie Grundlage ab.
Im allgemeinen wird der innere Militarismus mit all seinen verzweigten Schädlichkeiten, die in normalen Zeiten auch aktueller sind, mehr auf dem Nagel brennen und den Klassenkampfcharakter des Militarismus am einleuchtendsten hervortreten lassen. Welches das Zentrum des Angriffs zu bilden hat, wird hier jeweils die nationale und internationale Lage zu entscheiden haben.
Welche Formen, welche Mittel der Propaganda haben wir nun in Deutschland einzuführen oder zu vervollkommnen, wobei als selbstverständlich vorauszusetzen ist, daß die gesetzlichen Grenzen innegehalten werden sollen, so daß die Frage einer Propaganda im Heere selbst hier von vornherein auszuscheiden hat.
Die deutsche Sozialdemokratie hat keineswegs auch nur in bezug auf die Sammlung des Anklagematerials gegen den Militarismus genug getan. Nur das Militärbudget, die Steigerung der unmittelbaren Militärlasten und der Präsenzstärke sind des öfteren eingehender zusammengefaßt dargestellt. Aber schon der Zusammenhang zwischen den Militärlasten und der Zoll- und Steuerpolitik harrt noch einer eingehenden Untersuchung. Was vor allem aber fehlt, sind zusammenfassende Darstellungen der Militärmißhandlungen, der Leistungen der Militärjustiz, der Soldatenselbstmorde, der Gesundheitsverhältnisse in der Armee, der Dienstbeschädigungen, der Gehalts- und Pensionsverhältnisse, sodann der Verwendung von Soldaten zur Lohndrückerei und der hierauf bezüglichen Korpserlasse, der Verwendung von Soldaten und zur Entlassung kommender Soldaten als Streikbrecher, weiter der militärischen und der bewaffneten polizeilichen Eingriffe in Streiks, der hierbei gefallenen Opfer, des Militärboykottwesens, des militärischen Eingreifens bei politischen Aktionen, der Ausnutzung der Kriegervereine im sozialpolitischen und politischen Kampf, ferner der Leistungen des Militarismus auf allen diesen Gebieten, insbesondere im wirtschaftlichen und politischen Kampf, in andern Ländern, wobei, soweit angängig, je ein besonderes Konto für den Landmilitarismus, den Marinismus und den Kolonialmilitarismus anzulegen sein wird. Es fehlt auch eine genügende Kenntnis und Zusammenstellung des auf die militaristischen Jugendvereine der Gegner bezüglichen Materials und dessen, was sich auf die antimilitaristische Bewegung und deren Bekämpfung bezieht.
Die laufende Sammlung, Sichtung und vergleichende Bearbeitung all dieses Materials muß systematisch in die Hand genommen werden, so nebenher in der allgemeinen Agitation ist das nicht möglich.
Dieses Material wird natürlich zunächst innerhalb der allgemeinen Agitation, im Parlament, in der Presse, in allgemeinen Flugblättern und Versammlungen zu verwerten sein. Es muß aber auch nach ganz bestimmten Stellen gelenkt werden, in ganz bestimmte Kanäle geleitet werden, um die für den Antimilitarismus besonders wichtigen Schichten der Bevölkerung mit ihm zu durchtränken, zu befruchten. In erster Linie kommt hier nicht die noch nicht militärpflichtige Jugend selbst in Frage, sondern die Eltern, besonders die Mütter, die für die antimilitaristische Jugenderziehung systematisch zu mobilisieren sind; ebenso die älteren Arbeiter, deren Einfluß auf die jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge in dieser Richtung nach Möglichkeit auszunutzen ist. Und schließlich gilt es, den Kampf gegen die Kriegervereine nachdrücklicher und planmäßiger zu gestalten.
Die Agitation wird nirgends direkt oder indirekt zu militärischem Ungehorsam auffordern dürfen, sondern ihren Zweck vollständig erfüllen, wenn sie Klarheit über das Wesen des Militarismus und seine Rolle im Klassenkampf schafft und wenn die Empörung und der Abscheu gegen ihn durch wirksame Darstellungen seiner volksfeindlichen Eigenschaften und Taten erweckt werden.
Wo die Gesetze es zulassen, werden Hauptträger dieser Propaganda die Jugendorganisationen sein müssen, die freilich schon durch Förderung des Klassenbewußtseins an und für sich den Militarismus oder die militaristische Gesinnung untergraben. Die Jugendvereine werden durch Zeitungen, durch Broschüren, Flugblätter, durch Vorträge, Vortragszyklen und Unterricht den antimilitaristischen Geist in der dem Jugendverständnis angemessenen Form immer mehr zu verbreiten haben. Festlichkeiten und künstlerische Veranstaltungen werden zu dem gleichen Zweck auszunutzen sein. Die Mitglieder der Vereine wiederum werden zu Propagandisten des Antimilitarismus erzogen werden müssen. Durch die Agitation von Mund zu Mund unter ihren Klassen- und Altersgenossen, durch Weiterverbreitung ihrer Literatur wird die Familie, werden Verwandte und Freunde und wird die Werkstatt und Fabrik von den Mitgliedern der Jugendorganisationen zu Rekrutierungsgebieten des Antimilitarismus gemacht werden.
Die Jugendorganisation selbst aber hat ihre Agitation nicht nur auf die Mitglieder zu beschränken, sondern in einen möglichst weiten Kreis hinauszutragen. Sie hat sich an die Gesamtheit der jugendlichen Arbeiter zu wenden. Ihr liegt es auch ob, die älteren Arbeiter in der oben beschriebenen Weise heranzuziehen. Durch die Presse, durch Flugblätter, Broschüren, allgemeine Versammlungen, öffentliche Vorträge, künstlerische Veranstaltungen, Feste und dergleichen, die sowohl für die Jugend im allgemeinen wie für die Erwachsenen zu veranstalten sind und bei denen diese für die antimilitaristische Jugendagitation zu gewinnen sind, ist systematisch zu wirken. Die Rekrutenabschiede und Demonstrationen aller Art, wo sie zulässig sind, müssen dem gleichen Zweck dienen.
Daneben muß die Partei sich, wie bisher, aber in immer verstärktem Maße, systematisch der Soldaten und auch der Unteroffiziere annehmen, ihre materiellen und sozialen (dienstlichen) (1) Interessen in Presse und Parlament energisch vertreten und so in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise die Sympathien dieser Kreise zu erwerben suchen.
Die Gründung besonderer Vereinigungen ehemaliger Militärs nach Art der belgischen und holländischen, mit der besonderen Aufgabe, den Kriegervereinen entgegenzutreten, dürfte in Deutschland nicht angezeigt sein: Die allgemeinen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen genügen hier.
Betrachten wir, was in anderen Ländern geschehen ist, so sehen wir, wieviel uns zu tun hier noch übrigbleibt, und überfliegen wir das obige Programm, so erkennen wir, daß die Partei, mag sie noch soviel auf antimilitaristischem Gebiet getan haben, doch nur gerade erst begonnen hat, ihre Schuldigkeit zu tun. Daß sie gewissermaßen noch in den Kinderschuhen der antimilitaristischen Propaganda steckt.
Daß alle jene vielfältigen Aufgaben nicht von einer Zentralstelle aus erfüllt werden können, liegt auf der Hand, ebenso aber, daß sie von einer Zentralstelle aus geleitet und kontrolliert werden können und müssen. Die Einrichtung eines Zentralausschusses zu diesem Zweck erscheint als ein Gebot der Notwendigkeit auch schon um deswillen, weil nur so die vorsichtige Ausnutzung aller gesetzlichen Agitationsmöglichkeiten gesichert werden kann. Wie ein weitverzweigtes Netz soll sich die antimilitaristische Propaganda über das ganze Volk breiten. Die proletarische Jugend muß von Klassenbewußtsein und von Haß gegen den Militarismus systematisch durchglüht werden. Der jugendliche Enthusiasmus wird die Herzen der jungen Proletarier einer solchen Agitation begeistert entgegenschlagen lassen. Die proletarische Jugend gehört der Sozialdemokratie, dem sozialdemokratischen Antimilitarismus. Sie wird und muß, wenn alles seine Schuldigkeit tut, gewonnen werden. Wer die Jugend hat, der hat die Armee.
Kapitel 10 |