Rosa Luxemburg

Der erste Kongreß der deutschen Bergarbeiter

Von den deutschen Bergarbeitern schrieben wir bisher sehr wenig, denn auch die Bewegung unter ihnen ist bisher sehr schwach gewesen, obwohl sie seit langem besteht. Schon vor mehr als 20 Jahren organisierten sich die deutschen Bergarbeiter in einem Fachverbande. Die Kapitalisten und die Regierung haben jedoch auf Schritt und Tritt durch Unterdrückungsmaßregeln diese Organisation zerschlagen. Die Masse der deutschen Bergarbeiter wurde dadurch in ein derartig schweres Joch der Arbeit und der Ausbeutung gespannt, daß es ihr an Energie und an Ausdauer im Kampfe mangelte.

Der Krug jedoch geht solange zum Wasser, bis er bricht. Die Geduld der Arbeiter hat auch ihre Grenzen. Die schamlos ausgebeuteten deutschen Bergarbeiter verloren endlich ihre Geduld, und so brach plötzlich vor fünf Jahren (1889) der Streik von hunderttausend Bergarbeitern aus. Die Welt blickte erstaunt auf. Was war denn geschehen? Der deutsche Bergarbeiter, der so lange Zeit sich demütig ausbeuten ließ, empörte sich plötzlich! Der Bergarbeiter, der für gewöhnlich schweigend sein Joch ertrug, erhob plötzlich seine Stimme! Und die Bergarbeiter hatten Anlaß zur Klage, zu Forderungen. Ein überaus langer Arbeitstag, elende Löhne, vor allem jedoch Lohnabzüge auf Schritt und Tritt -, diese furchtbarste Plage des Arbeiters! Für jeden nicht ganz voll geladenen Wagen wurde den Arbeitern nichts gezahlt! Unglücksfälle dezimierten sie, die Kapitalisten aber dachten nicht daran die Arbeitsverhältnisse zu ändern.

Alle diese Klagen drangen plötzlich aus der Brust von hunderttausend Arbeitern. Es wurde beschlossen, nicht eher zur Arbeit zu gehen, als bis die Arbeitsverhältnisse besser wären. Ein Teil der deutschen Bergarbeiter war damals noch so blind, daß er Hilfe von - der Regierung erhoffte. Es wurde eine Deputation an den Kaiser mit der Bitte um Hilfe gesandt. Der deutsche Kaiser, wie jeder andere Monarch, antwortete ungefähr mit folgenden Worten: "Kehrt zur Arbeit zurück und macht keinen Aufruhr, so wird es euch schon besser gehen!«

Derartig abgefertigt, kehrten die Bergarbeiter jedoch nicht gleich zur Arbeit zurüch. Sie streikten mehrere Monate lang, litten Hunger und wollten nicht wieder ins Joch. Die Regierung und die Kapitalisten verfolgten sie, wo es nur ging. Endlich erschöpften sich die Kräfte, sie kehrten zur Arbeit zurück.

Wie es gewöhnlich der Fall ist, war es nicht leicht, sofort einen Erfolg zu erzielen. So mußten die deutschen Bergarbeiter wieder in ihre alte Hölle zurückkehren. Und dennoch brachte ihnen der gewaltige Streik einen großen Nutzen. Wie ein Unwetter mit Blitz und Donner erweckte er die gesamte Bergarbeitermasse. Mancher Arbeiter, der vorher demütig und ruhig war, ließ sich nach dem Streik nicht mehr vom Kampfe abhalten. Der Streik belehrte die Bergarbeiter, daß sie von der Regierung höchstens - Bajonette erwarten dürfen. Der Streik belehrte sie, daß nicht ein einziger der Herrschenden ihnen helfen will und auch nicht helfen wird.

Dafür aber zeigte ihnen der Streik auch, daß es ihrer, der Bergarbeiter, eine gewaltige Menge gibt, daß, wenn sie geschlossen hervortreten, sie eine gewaltige Macht bilden. Mit einem Wort, sie begriffen nach dem Streik das Wichtigste: daß sie geschlossen in den Kampf treten müssen und nur auf eigene Kraft, sonst auf niemandes Hilfe rechnen dürfen.

Und so organisierten sie auch im Jahre 1889 sofort einen starken Verband der Berg- und Hüttenarbeiter. Dieser Verband hielt gerade jetzt zu Weihnachten seinen ersten Verbandstag in Essen ab. Dies ist kurz die Geschichte der deutschen Bergarbeiterbewegung bis zur Gegenwart.

Auf dem Verbandstage versammelten sich aus allen Kohlenbezirken Deutschlands ungefähr hundert Vertreter der Bergarbeiter. Außer einem Oberschlesier (Polen) waren alle Deutsche. Ihre Sprache ist anders als die unsrige, ihre Heimat ist uns völlig fremd, ihre Sitten sind auch nicht die unsrigen. Wenn jedoch unsere Bergarbeiter aus Dombrova durch irgendein Wunder gehört und verstanden hätten, was auf diesem Kongreß gesprochen wurde, so wären sie gewiß nicht wenig erstaunt gewesen. Sie hätten sicherlich geglaubt, daß es gar nicht deutsche Bergarbeiter sind, die über ihre Lage sprechen, sondern daß es unsere polnischen Bergarbeiter aus Dombrowa, Sieltze, aus Sosnowitz sind. Alle Klagen dieselben, das ganze Elend der Bergarbeiter fast dasselbe, wie bei uns -, mit dem einen großen Unterschiede, daß dort von diesem Elend laut gesprochen werden darf, daß man dort beraten darf, daß man gegen das Elend kämpfen darf. Bei uns dagegen?...

Die gröSten Klagen wurden über die lange Arbeitszeit laut. "Sechs Stunden Arbeit unter Tag - das genügt", sagte ein Bergarbeiter aus Bochum -, "nach schwerer Arbeit muß man seine Ruhe haben!" -»Die lange, unsere Kräfte übersteigende Arbeit ist die Hauptursache des Bergarbeiterelends« - sagte ein anderer aus Sachsen -, "wenn wir nicht elend zugrunde gehen wollen, müssen wir den achtstündigen Arbeitstag erlangen.« - Ein dritter sagte: »Sämtliche aufgeklärten Arbeiter der Welt rufen gegenwärtig nach dem achtstündigen Arbeitstage. Dem Bergarbeiter, der unter Tage arbeitet, kommt dies am meisten zu.«

Genauso klagten die Bergarbeiter über die Akkordarbeit. "Die Akkordarbeit ist ebenfalls eine der Ursachen des Bergarbeiterelends.« Der Bergarbeiter denkt, er werde mehr verdienen, und schuftet mehr, als es seine Kräfte zulassen, bis er seine Besinnung völlig verliert. "Akkordarbeit - Mordarbeit", sagen alle.

Es wurde ebenfalls gegen die Frauen- und Kinderarbeit in den Gruben protestiert. Ein Bergarbeiter aus Schlesien, ein Pole, erzählte, daß in seiner Gegend Zehntausende von Frauen in den Gruben und in den Hütten für - eine Mark täglich arbeiten. Die Herren aus der Verwaltung verführen obendrein noch schamlos die jungen Frauen und Mädchen.

Übereinstimmend beklagten sich sämtliche Arbeiter über die Häufigkeit der Unglücksfälle in den Gruben. Hunderte von Bergarbeitern gehen alljährlich ihrer Glieder oder auch des Lebens verlustig, die Frauen und Kinder im Elend zurücklassend. Auch das ist die Schuld der Kapitalisten, die nicht den geringsten Wert auf die Sicherung der Gesundheit und des Lebens des Bergarbeiters legen.

Nach allen diesen Klagen beratschlagten die Bergarbeiter darüber - was zu tun sei, um das elende Los des Bergarbeiters zu ändern, und beschlossen folgendes:

Erstens, den gesetzlichen Achtstundentag, zweitens, die Aufhebung der Akkordarbeit, drittens, zur Vermeidung der häufigen Unfälle, die Einführung von Inspektoren, Arbeitern, die von der Regierung besoldet werden, zu fordern.

Der Beschluß allein hilft jedoch noch nicht viel. "Weder die Kapitalisten noch die Regierung werden unsere Beschlüsse beachten«, sagte einer der Delegierten, »wenn sie nicht wissen werden, daß eine starke Organisation, die nötigenfalls bereit ist, mit Hilfe eines Streikes ihr Ziel zu erreichen, an diesen Beschlüssen festhält.« Die Bergarbeiter beschlossen daher auch einstimmig, alles daranzusetzen, um ihren Fachverband zu stärken und unbedingt um die Durchführung ihrer Forderungen zu kämpfen.

Voller Mut und Hoffnung gingen die deutschen Bergarbeiter auseinander und kehrten zur Beschäftigung zurück: Und wir, die polnischen Bergarbeiter? Werden wir auch weiterhin in Gleichgültigkeit und Schweigen unser Elend tragen? Quält uns nicht die alltägliche lange Arbeit zu Tode? Beuten uns denn die Kapi talisten nicht ebenfalls durch Akkordarbeit, Lohnabzüge, Beraubung unserer Kassen aus? Fallen bei uns nicht ebenfalls alljährlich Hunderte von Genossen den Unglücksfällen zum Opfer? Werden wir untätig zusehen, wie andere Arbeiter kämpfen? Die deutschen Bergarbeiter warten nicht, bis sich Gott ihrer erbarmt. Sie gründen Fachverbände, Streikkassen, kommen zu Beratungen zusammen, veranstalten große Streiks, lesen Broschüren und Zeitungen, klären sich auf. Tun wir dasselbe, und es wird uns besser gehen. Wir dürfen uns nicht offen organisieren, wir wollen geheime Verbände und Kassen gründen. Man gibt uns nicht die Freiheit, zu kämpfen, nun, so wollen wir diese- Freiheit erringen. Wir wollen den 1. Mai feiern, wir wollen uns verbünden, organisieren, aufklären. Wir sehen das Beispiel unserer ausländischen Genossen und wollen diesem Beispiele folgen.

"Sprava Robotnicza" (Arbeitersache),
Paris, Januar 1895.
Aus dem Polnischen.


Letzte Änderung: 03. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/rl/rlii019d.html