Die revolutionäre Bewegung


Wilhelm Wolff


II. Die Steuern


Wilhelm Wolff

Die schlesische Milliarde

I. Bauern und Adel 1848

Kaum war die Hof- und Krautjunkerkammer konstituiert, als auch sofort ein Antrag auf Regulierung, das heißt Ablösung der Feudallasten, gestellt wurde. Die gnädigen Herren haben's eilig. Sie wünschen aus der ländlichen Bevölkerung noch vor Torschluß so viel herauszupressen, daß sie einen hübschen Sparpfennig für etwaige schlimme Tage beiseite legen und ihren Personen voran ins Ausland senden können.

Für den Schreck, für die namenlose Angst, die sie in der ersten Zeit nach dem »Mißverständnis« des Berliner März und seinen nächsten Folgen erduldet, suchen sie jetzt aus den Taschen der geliebten Dorf»untertanen« einen doppelt lieblichen Balsam zu gewinnen.

Schlesien insbesondere, das bisherige Goldland der Feudal- und Industriebarone, soll noch einmal gründlich ausgebeutelt werden, damit der Glanz seiner gutsherrlichen Ritterschaft, von den mediatisierten Fürsten und Grafen bis auf den simpelsten »gnädigen« Herrn herab, vermehrt und verstärkt fortstrahle.

Wir haben gleich nach Erscheinen des im Dezember vorigen Jahres oktroyierten provisorischen Ablösungsgesetzes nachgewiesen, daß es lediglich auf den Vorteil der gnädigen Gutsherren berechnet, daß der sogenannte »kleine Mann« der reinen Willkür der Großen, schon bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts, preisgegeben und seinen Feinden zur beliebigen Manipulation überliefert ist. Trotzdem ist die noble Ritterschaft mit ihm nicht zufrieden. Sie verlangt ein Gesetz, das dem ritterlichen Beutel noch einige Annehmlichkeiten mehr zuwenden soll.

Im März und April 1848 stellten eine Menge hoher Herren in Schlesien ihren Bauern schriftliche Urkunden aus, worin sie auf alle bisherigen gutsuntertänigen Abgaben upd Leistungen verzichteten. Um ihre Schlösser vor dem Niederbrennen und sich selbst vor einer eigentümlichen Verzierung mancher Schloßlinde oder Hofpappel zu sichern, gaben sie ihre sogenannten wohlerworbenen Rechte mit einem Federzuge dahin. Zum Glück für sie war das Papier auch damals sehr geduldig.

Als daher die Revolution, statt voranzumarschieren, sehr bald im Sumpf der Philisterei und des gemütlichen Abwartens steckenblieb, da langten die Herren ihre Entsagungsurkunden hervor, nicht um sie zu erfüllen, sondern um sie als Beweisstücke dem Kriminalgericht zur Untersuchung gegen die rebellische Bauernkanaille einzusenden. Waren doch die Herren Landräte noch immer die alten, das ganze Beamtenheer blieb unverändert nach dem März, wie's vordem war. Ein neuer Oberpräsident, Herr Pinder, blies ganz in das Horn der schlesischen Raubritterschaft, und schnell durchzogen mobile Kolonnen, die dem Beutel der Steuerzahlenden enorme Summen gekostet haben, die ganze Provinz, um die Feudalherren in ihren sogenannten wohlerworbenen Rechten mit gewaffneter Hand zu schützen und das Landvolk durch drückende Einquartierungslast mürbe zu machen und zum Respekt gegen die »gnädigen« Herren zurückzuführen. Somit wurde den »Gnädigen« wohl und üppig zumute bis auf den einen Punkt, daß an vielen Orten die Bauern mit der Zahlung von Laudemien, Marktgroschen usw. usw. einstweilen zurückhielten. Mit hoffenden Augen blickten die Bauern nach Berlin auf die Vereinbarungsmänner - mit steigender Besorgnis blickten eben dahin die Patrimonialherren. Jene erwarteten, diese fürchteten Aufhebung der Feudallasten ohne Entschädigung. Statt vor allen Dingen durch feierlichen Beschluß alle Feudalabgaben und -leistungen der Bauern an die Herren Ritter für unentgeltlich aufgehoben zu erklären, wurde die geeignete Zeit unbenutzt vorübergelassen, indem man mit deutscher Gründlichkeit erst alle möglichen Forschungen über Natur, Ursprung usw. der prächtigen Feudaldienste und -abgaben anstellte. Als nun endlich die gelehrten Untersuchungen zu Ende und die Vereinbarer nahe daran waren, die einträglichsten gutsherrlichen Abgaben und Fronden den Bauern von den Schultern zu nehmen, und zwar ohne Entschädigung der Herren Ritter, da war auch die gottbegnadete Partei bereits so erstarkt, daß sie den kühnen Griff nach ihrem bevorrechteten Geldbeutel mit leichter Mühe abparieren oder, mit andern Worten, die Vereinbarer auseinandersprengen und in Erwartung noch besserer Tage einstweilen ein für die Ritterschaft immerhin ganz annehmliches Ablösungsgesetz oktroyieren konnte.

Jetzt scheinen dieser Partei die ersehnten schönen Tage von Aranjuez zurückgekehrt. Die hohen Herren haben ganz genau ausgerechnet, wieviel mehr als früher sie nun unter dem Schutz von Bajonetten, Belagerungszuständen, mobilen Kolonnen und dem erwarteten Zuzug des russischen Schwagers aus der schlesischen Bauerschaft werden herausschlagen können.

So fein aber auch die Rechnung ist, so sehr ist sie ohne den Wirt gemacht.

Dieser Wirt ist der schlesische Bauer, nicht der Bourgeois-Bauer mit drei, vier und mehr Hufen Landes, der zum größten Teil ebenso schwarzweiß denkt und handelt als die Herren Ritter selber, sondern jene Masse von kleinern Bauern, von Hof- und Freigärtnern, Häuslern und »Zuhausinnewohnern«, welche bisher die eigentlichen Lasttiere der großen Grundbesitzer gewesen sind und nach dem Plan der letztern unter einer andern Form ferner bleiben sollen.

Im Jahr 1848 hätte sich jene Masse mit unentgeltlicher Aufhebung der Feudallasten begnügt. Die Gutmütigkeit des bisher so schamlos ausgesaugten Volkes zeigte sich eben darin, daß die Mehrheit gern das Alte vergessen und nur für die Zukunft ihr Recht und ihre Freiheit gesichert haben wollte.

Nach der bittern Lehrzeit in den letzten Monaten des Jahres 1848 und der bisherigen im Jahre 1849 ist das schlesische Landvolk, der »kleine Mann«, immer mehr und mehr zu der Einsicht gekommen, daß die Herren Rittergutsbesitzer, statt sich durch ein fein ersonnenes Ablösungsgesetz neue Reichtümer zu oktroyieren, von Rechts wegen mindestens denjenigen Teil ihres Raubes, den sie mit Hilfe der frühern Ablösungsgesetze ins trockne gebracht haben, zurückgeben müssen.

Mag immerhin »Mein tapferes Kriegsheer« noch einige Zeit verwandt werden, mit dem Schweiß und Blut des »kleinen Mannes« die gutsherrlichen Taschen zu füllen: der Bauer wartet nur des Augenblicks, wo er seine Abrechnung halten kann, und die wird er wahrlich nicht ohne den Wirt machen.

Von Dorf zu Dorf beschäftigt man sich täglich eifriger mit der Frage, wieviel die Herren Raubritter bloß seit den letzten dreißig Jahren unter dem Schutz »von Gottes Gnaden« dem Landvolk gestohlen haben. Man hat's nicht so leicht wie in Frankreich. Dort forderten und erhielten 1825 eine kleine Anzahl von Adligen und hohen Bourgeois eine Milliarde (beinahe 300 Millionen Taler preußisch Courant) als sogenannte Entschädigung für ihre Verluste in der Revolution. Es ist eine hübsche, runde Summe, und der französische Bauer weiß somit, wieviel er an Kapital und Zinsen zurückerhalten muß.

In Preußen haben die Herren Ritter jahraus, jahrein geplündert, die Summe ist ihnen nicht auf einem Brett ausgezahlt worden. Dem einzelnen Bauer war es bisher zwar wohl bekannt, was er für seine Person und was sein Dorf an den Herrn Rittergutsbesitzer gezahlt. Jetzt aber hat man den Überschlag für die ganze Provinz gemacht und gefunden, daß das Landvolk in den letzten dreißig Jahren auf dem Weg der Ablösung an die schlesischen Raubritter teils in Grundstücken, teils in barem Kapital und in Renten um mehr als 80 Millionen Taler preußisch Courant geprellt worden ist. Dazu kommen die jährlichen Abgaben und Leistungen der bis jetzt nicht Abgelösten. Diese Summe belauft sich für die letzten dreißig Jahre auf mindestens 160 Millionen Taler, macht mit den obigen zusammen zirka 240 Millionen Taler.

Dem Landvolk ist mit diesen, jetzt erst zu seiner Kunde gelangten Berechnungen ein Licht aufgegangen, vor dessen Helle die feudalen Spießgesellen, trotz aller gottesgnädigen Machtfülle ihres obersten Protektors, in sich zusammenschrecken. Sie haben 240 Millionen aus den Taschen des Landvolks geschluckt, und »unsere 240 Millionen müssen wir bei der nächsten Gelegenheit zurückhaben«. Das ist der nunmehr im schlesischen Landvolk umherwandelnde Gedanke, das ist die Forderung, die bereits in Tausenden von Dörfern laut ausgesprochen wird.

Das mehr und mehr sich ausbreitende Bewußtsein, daß, wenn überhaupt von Entschädigung wegen der Feudallasten die Rede sein soll, die Bauern für den an ihnen begangnen ritterschaftlichen Raub entschädigt werden müssen, das ist eine Errungenschaft, die bald ihre Früchte tragen wird. Sie läßt sich durch keinerlei Oktroyierungskünste umstoßen. Die nächste Revolution wird ihr zur praktischen Geltung verhelfen, und die schlesischen Bauern werden dann wahrscheinlich ein Entschädigungsgesetz auszuarbeiten wissen, durch das nicht bloß das geraubte Kapital, sondern auch die »landesüblichen« Interessen den Rückweg in die Taschen des Volks finden.



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Letzte Änderung: 15. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/milliarde1.html