IV. Das Schutzgeld


Wilhelm Wolff


VI. Oberschlesien


Wilhelm Wolff

Die schlesische Milliarde

V. Das Jagdrecht

Von den ritterlichen Annehmlichkeiten des Schutzgeldes wenden wir uns zu einer andern, höhern Annehmlichkeit, die mit einer der nobelsten Passionen der Feudalherren verknüpft, vor allem denjenigen Teil der ländlichen Bevölkerung angeht, der ein größeres oder kleineres Stück Land besitzt. Wir meinen das raubritterliche Jagdrecht, wie es bis zum März 1848 durch ganz Schlesien, durch fast ganz Deutschland, mit Ausnahme eines kleinen Teils, durchweg bestand und ausgeübt wurde. Nach dem März 1848 trat eine faktische Aufhebung dieses ritterlichen Vorrechts ein, das nun später durch das bekannte Jagdgesetz der Vereinbarerversammlung zu Berlin unter dem Heulen, Knirschen und Zähnefletschen der ganzen noblen Ritterschaft ohne Entschädigung aufgehoben wurde. Mit all der Wut, die bei dem Verlust eines so lieblichen Monopols in den ahnenreichen Herzen aufsteigen mußte, wurde das Gesetz unterzeichnet und publiziert. Denn noch war die Zeit nicht gekommen, die Maske abzuwerfen und diesen Vereinbarungsplebs auseinanderzusprengen und seine Arbeiten in Fidibus und andere für »Mein herrliches Kriegsheer« brauchbare Papiere zu verwandeln. So erließ man das Jagdgesetz mit der tröstlichen Aussicht, die Folgen dieses Attentats auf ein Hauptvergnügen der Gottbegnadeten durch baldige Oktroyierungen abwenden zu können. Nach den Reden der wutentbrannten Ritterschaft zu urteilen, war nun die Nähe des Jüngsten Tages nicht mehr zu bezweifeln, wenn nicht statt dessen die jüngste Konterrevolution hereingebrochen wäre. Das kosakisch-ritterschaftliche Organ des Prinzen von Preußen, die »Neue Preußische Zeitung«, erhielt Befehl, auf Rechnung des neuen Jagdgesetzes täglich eine Masse schrecklicher Erschießungen in ihren Spalten vorzunehmen. Bald wurde der eine Bauer von seinem Nachbar, bald der Bauer von seinem Knecht, auf dem nächsten Felde von seinem Sohn erschossen; dann erschoß der Vater den Sohn, der Bruder die Schwester, der Knecht die Magd und schließlich die Magd sich selbst, so daß, nach diesem Blättchen »mit Gott für König und Junkerschaft« zu schließen, jetzt wohl nur wenig Landvolk übriggeblieben sein dürfte.

Für die »kommunistische« Missetat der Vereinbarer unentgeltliche Aufhebung des ausschließlichen Jagdrechts der Raubritterschaft - wird und muß Rache genommen werden, wär's vorläufig auch nur durch Wiederherstellung desselben oder durch eine gehörige »Entschädigung« in der Weise, wie sich die Herren seit dreißig Jahren mittelst des Gaunergesetzes wegen »Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse« zu entschädigen gewußt haben.

Da wir hier abermals auf das ritterliche »Entschädigungsgeschrei« treffen und in der bisher ermittelten Summe, welche das schlesische Landvolk von seinen Raubrittern als »Entschädigung« zurückzufordern hat, der von der nobeln Jagdpassion in den letzten dreißig Jahren angerichtete Schaden gar nicht veranschlagt ist, so müssen wir auf die herrliche Zeit des raubritterlichen Jagdvergnügens einen kurzen Blick zurückwerfen.

Die Heiligsprechung des Wildes brachte es mit sich, daß man lieber eine Kanaille von Bauer erschoß als einen Hasen, ein Rebhuhn oder ähnliche eximierte Geschöpfe. Beim Jagen mit »Treibern«, aus den lieben Dorf»untertanen« genommen, genierte man sich nicht sehr; wurde auch einer der »Treiber« angeschossen oder tot niedergestreckt, so gab's höchstens eine Untersuchung und damit basta.

Außerdem sind uns aus jener dominialen Glanzperiode mehrere Fälle bekannt, wo der noble Ritter dem oder jenem Treiber eine Ladung Schrot in die Beine oder in den Hintern schoß - zum reinen ritterlichen Privatvergnügen. Auch außerhalb der eigentlichen Jagd trieben die Herren Ritter solche Kurzweil mit Passion. Wir erinnern uns bei solcher Gelegenheit stets des Herrn Barons, der einem Weibe, das gegen sein Verbot auf dem abgeernteten herrschaftlichen Acker Ähren las, eine Portion Schrot in die Schenkel jagte und dann beim Mittagsmahle in einer auserlesenen raubritterlichen Gesellschaft seine Heldentat mit unverkennbarer Selbstbefriedigung erzählte. Einem Plebejer, der, bei diesem Bericht zugegen, sich eine Bemerkung erlaubte, wurde auf echt ritterliche Weise das Maul gestopft.

Doch zum noblen Jagdvergnügen zurück. Nicht genug, daß der Landmann auf seinem eignen Acker weder schießen noch ein Gewehr sehen lassen durfte - bei harter Leibesstrafe: Es war sogar verpönt, die zur Winterszeit in die Gärten dringenden Hasen, die dort von den jungen Bäumen die Rinde abfraßen, zu fangen oder zu erschlagen, ohne sie an den gnädigen Herrn alsbald abzuliefern. Dagegen hatten die geliebten Dorf»untertanen« bei den großherrschaftlichen Treibjagden die Freude, als »Treiber« roboten zu müssen. Jeder Wirt, das heißt jeder Ackerbesitzer und jeder Häusler ohne Acker, wurde den Abend zuvor durch den Dominialvogt angewiesen, morgen in aller Frühe einen »Treiber« zu stellen, es sei große herrschaftliche Jagd und werde soundso viele Tage dauern. Es mußte freilich den Herren Rittern das Herz vor Wonne klopfen, wenn an kalten, nassen Oktober- und Novembertagen eine Hetze schlecht gekleideter, oft barfüßiger, hungernder Dorfinsassen neben ihnen einhertrabte. Die Karbatsche - ein knutenähnliches Prügelinstrument - hing an der Jagdtasche zu Nutz und Frommen für Hund und Treiber. Die beste Portion pflegte letzterer davonzutragen. Die schlechte Laune oder der Fehlschuß des Raubritters entlud sich mittelst Karbatschenhieben auf den Rücken des Treibers. War andererseits die Jagd ergiebig und konnte der Treiber das ihm aufgepackte Wild nicht schnell genug mit fortschleppen, so war die Karbatsche abermals da, um ihm »Beine zu machen«. So kehrte der »Treiber« sehr oft nicht bloß von den ihm aufgepackten Hasen usw., sondern von den Karbatschenhieben blutig zur herrschaftlichen Försterei oder zum Schlosse zurück, um sich dann mit dem Bewußtsein nach seiner Hütte zu begeben, daß er einem vortrefflichen Amüsement der Gottbegnadeten - parole d'honneur - beigewohnt.

Andere Ritter legten sich große Fasanerien an. Aus den Gärten verbreiteten sich die Fasanen im Walde weithin und suchten sich ihren Brüteplatz aus. Wehe der Frau oder der Magd, die unvorsichtig oder aus Mangel an Jagdhundsspürkraft beim Grasen einem solchen Nest zu nahe kam und die Henne störte. Wurde dies der gnädige Herr oder sein Jäger gewahr, dann verblieb ihr die Erinnerung an herrschaftliche Fasanen ihr lebelang. Wir sind selbst in unserer Jugend Augenzeuge gewesen, wie eine Bauersfrau aus besagtem Grunde von einem jungen Raubritter, der als Wirtschaftseleve bei einem andern »Gnädigen« die Ökonomie erlernte und die angeborne noble Passion ausbildete, aufs barbarischste, aufs viehischste mißhandelt und zum Krüppel geschlagen wurde, ohne daß ein Hahn darnach gekräht. Es waren arme Leute, und zum Klagen, das heißt zum Prozessieren, gehört Geld und dann auch einiges Vertrauen zur Justiz, Dinge, die bei der Mehrzahl des schlesischen Landvolks teils spärlich,- teils gar nicht anzutreffen. Einem Häusler passierte es, daß er eines Tages in seinem Garten einen aus dem nahen Walde dahin gekommenen Fasanen fing und schlachtete. Für dieses schauerliche Verbrechen wurde er zur Untersuchung gezogen. Infolge der Kosten und der ihm zudiktierten Zuchthausstrafe war er ein ruinierter Mann und ging nebst seiner Familie zugrunde - von Rechts wegen, denn er hatte sich an herrschaftlichem Wilde vergriffen.

Doch das sind nur Kleinigkeiten, nur einzelne Züge aus dem raubritterlichen Jagdtableau.

Wir kommen zum Hauptpunkte - zum Punkte der »Entschädigung«.

Und hier möge der schlesische Landmann den raubritterlichen Geldsack fest packen und für alle Verwüstungen, die ihm seit dreißig Jahren das herrschaftliche Wild angerichtet, volle »Entschädigung« fordern.

Knirschend vor Wut hat es der Landmann ansehen müssen, wie die ritterlichen Herren mit oder ohne ihre Jäger oder wie diese allein über sein mit Not und Mühe angebautes Feld zertretend und verwüstend einherjagten, wie sie keine Feldfrucht schonten, ob hoch oder niedrig, ob dick oder dünn. Mitten durch oder drüber hinweg ging's mit Jägern und Hunden. Wagte der Bauer Einsprache, so war im mildesten Fall Hohnlachen die Antwort; den schlimmren hat so mancher an seinem mißhandelten Körper empfunden. Den Kohl auf dem Felde des Bauern suchte sich der gottbegnadete eximierte Hase - und andre gab's nicht - zu seiner Äsung aus, und seine Bäume pflanzte der Landmann, damit der Hase im Winter seinen Hunger stillen konnte. Für den Landmann war's angeblich Ehre wie Pflicht, solches zu dulden. War er andrer Meinung und schoß den zwar eximierten, aber doch ungebetnen Gast zusammen, so spazierte der Bauer unwiderruflich ins Loch. Dafür war er Bauer!

So groß nun der Schaden ist, den der Landmann in eben gedachter Weise erlitten hat, so steht er doch in gar keinem Verhältnis zu dem, welchen ihm Schwarz- und Rotwild angerichtet, das zwar nicht überall, aber doch im größten Teile Schlesiens gehegt wurde. Einzelne Distrikte zeichneten sich in dieser Hinsicht besonders aus, und zwar diejenigen, wo die ungeheuren Besitzungen der vielen Fürsten und Standesherren sind.

Wildschweine, Hirsche und Rehe durchwühlten, fraßen, zertraten oft in einer Nacht, was dem Bauer oder dem »kleinen Manne« fürs ganze Jahr zum eignen Unterhalt und zur Bezahlung der Steuern und Abgaben dienen sollte.

Allerdings stand es dem Beschädigten frei, auf Ersatz zu klagen. Es haben's auch einzelne und ganze Gemeinden versucht. Das Ergebnis solcher Klagen oder Prozesse wird sich jeder selbst sagen, der in seinem Leben von dem altpreußischen Beamtenwesen und von dem Richterstande und von dem Prozeßverfahren auch nur eine entfernte Idee erlangt hat. Man erkundige sich einmal bei den Bauern oder Gemeinden, die wegen ihrer verwüsteten Fluren Beschwerde beim Landrat führten oder beim Gericht klagbar wurden, und man wird Wunderdinge hören. Vom gnädigen Herrn Landrat, einem höhern oder niedern Standesgenossen des beschwerdeveranlassenden Ritters, angeschnauzt und ab- und zur Ruhe verwiesen, begab er sich zum Gericht und zahlte den erforderten Vorschuß. Eine meist im raubritterlichen Interesse zusammengesetzte Kommission traf womöglich recht spät an Ort und Stelle ein, um den Schaden, dessen Spuren wegen dringender Feldbestellung oder durch Regen usw. zum Teil verwischt worden, abzuschätzen. Über die Abschätzung, wenn überhaupt eine solche stattfand, da der Beweis, daß herrschaftliches Wild die Verwüstung angerichtet, nicht so leicht zu führen war, hatten sich die »Gnädigen« selten zu beklagen. Jetzt kamen die Termine. Um auf ihnen zu erscheinen, mußte der Bauer Zeit und Geld opfern, und nahm er einen Advokaten, so kostete ihn das noch mehr. Nach unendlichem Schreiben und Terminieren erlangte der Bauer, wenn's Glück günstig war, in ein paar Jahren ein Urteil gegen den »Gnädigen«, und wenn er sich das bei Lichte besah und alles nachrechnete, so stand er erst recht als der Geprellte da. Daher auch im ganzen, im Verhältnis zu dem ungeheuren Wildschaden, den der schlesische Landmann jährlich zu erleiden hatte, wenig Prozesse.

Die Zahl der Dörfer aber, auf deren Rustikaläckern seit dreißig Jahren, und von Jahr zu Jahr ärger, die gottbegnadeten Wildschweine, Hirsche und Rehe verwüstend gehaust, beträgt über tausend. Wir kennen mehrere derselben (die lange nicht zu den größten gehören), denen bloß das eximierte Hochwild ein Jahr um das andere jährlich 200 bis 300 Taler Schaden verursacht hat.

Da nun die Raubritterschaft das neue Jagdgesetz umstoßen will, eventualiter auf Entschädigung für das aufgehobne Jagdvorrecht dringt, so ist es hohe Zeit, daß das schlesische Landvolk auch in diesem Punkt seine Rechnung aufsetzt. Daß ihm die gnädigen Herren eine hübsche Anzahl von Milliönchen bloß für den in den letzten dreißig Jahren erduldeten Wildschaden herauszuzahlen haben, liegt nach dem eben Gesagten auf der Hand.

Auf dem Banner, welches das Landvolk der ganzen Provinz Schlesien gegenüber den nach »Entschädigung« brüllenden Rittern zu entfalten hat, muß noch als weitere Inschrift hinzugefügt werden:

»Volle Entschädigung für allen Wildschaden, für alle Verwüstungen, die seit dreißig Jahren von gottbegnadeten Rehen, Hirschen und Wildschweinen und von den Herren Rittern selbst bei Ausübung ihrer nobeln Passion auf unsern Fluren angerichtet worden - das heißt in runder Zahl:

Eine Entschädigung von mindestens 20 Millionen Talern!«



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Letzte Änderung: 15. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/milliarde5.html