V. Das Jagdrecht


Wilhelm Wolff


Wilhelm Wolff

Die schlesische Milliarde

VI. Oberschlesien

In einer Reihe von Abschnitten über die »schlesische Milliarde« ist nachgewiesen worden, was Schlesien und namentlich die schlesischen Bauern unter dem gottbegnadeten Regiment der Hohenzollern und ihrer untergebnen Raubritter bloß in den letzten dreißig Jahren teils auf Grund eines betrügerischen Ablösungsgesetzes, teils in Form fortwährender Robotdienste oder Hofetage, Zinsen und Naturalleistungen an die Fürsten, Grafen und Herren zu zahlen gezwungen worden, und endlich, wie groß annäherungsweise die Summe ist, welche das schlesische Landvolk von seinen Junkern und Heubaronen am Abrechnungstag zurückzufordern hat.

An den schlesischen Zuständen haben wir die Zustände des ganzen feudalen Deutschlands abgespiegelt. Die Ausbeutung des Landvolks durch das Raubrittertum »von Gottes Gnaden« hat sich lediglich dort durch ein Mehr, dort durch ein Minder unterschieden. Bei unsern Schilderungen hatten wir bisher hauptsächlich Niederschlesien, den deutschen Teil, im Auge.

Jetzt werden wir speziell von Oberschlesien, dem vorwiegend wasserpolnischen Teil, sprechen. Schon der Wunsch nach einiger Vollständigkeit würde das verlangen. Viel mehr drängt uns aber dazu der von Oberschlesien her aufs neue sich erhebende Verzweiflungsschrei einer dem Hungertod und der Hungerpest in den Rachen gejagten Bevölkerung.

Um zu begreifen, wie es mit der bekannten »Perle« in der Hohenzollernschen Krone bis auf diesen Punkt hat kommen können, dazu bedarf es nach den vorausgegangenen Abschnitten über die »schlesische Milliarde« nur noch einiger Worte. Denn das dort Gesagte gilt nicht bloß vollständig, sondern noch in verstärktem Maß für Oberschlesien. Hier hausten die Raubritter noch unverschämter, hier prellten und plünderten sie den Bauern noch rücksichtsloser, hier behandelten sie ihn noch weit brutaler als im deutschen Teil, in Niederschlesien. Der eine ist die zweite Potenz des andern.

Deutschland erinnert sich der Aufrufe, die im Winter 1847 bis 1848 für die »bedrängten oberschlesischen« Brüder zur »Linderung und Abhilfe der erschrecklichen Not« von Breslau und andern Orten her erlassen wurden. Ganz Deutschland sammelte in dieses Sieb des Elends seine ersparten Heller, von denen, wie wir erfahren, ein recht artiger Rest von etwa 100 000 Talern noch immer in den Händen der Regierung sich befindet. Wenige von denen, die ihre Pfennige mitleidsvoll nach Schlesien sandten, mochten daran denken, daß sie lediglich der preußischen Regierung und ihrer Ritterschaft ein Almosen gaben. Es wären ohne die Beisteuern aus Deutschland nicht mehr Personen dem Hunger und dem Typhus zum Opfer gefallen, als es so geschehn. Entweder die Regierung hätte eine ebenso große Summe, als aus Deutschland zusammenkam, herbeischaffen müssen. Dann freilich konnte sie etwas weniger Erziehungsgelder, Gratifikationen und Geschenke an adlige unverschämte Arme (arm mit zehn-, fünfzehn-, zwanzig- und mehr tausend Talern jährlichen Einkommens) austeilen und vielleicht einige Wildnetze weniger anfertigen lassen. Oder die oberschlesische Ritterschaft selber mußte einiges von ihren Raubtalern abgeben. Denn jener rein proletarischen Krankheit, dem Hungertyphus, durfte man nicht fortwährend ruhig zuschauen. Nicht wegen des »Bauernpacks«, wie es die Herren Ritter nennen: was, zum Henker! sollte man sich darum kümmern! Aber einmal fehlt es zeitweise an Arbeitern, wenn ungewöhnlich große Massen jenes »Bauernpacks« hingerafft werden. Wer verrichtet dem »gnädigen« Herrn die Hofedienste? Und wer zahlt ihm die gutsherrlichen Abgaben? Er muß stunden oder bekommt in vielen Fällen gar nichts. Drum leidet der raubritterliche Geldbeutel, und das ist - auf Ehre - geradeso der empfindlichste Teil bei einem »Gnädigen« von 340 Ahnen, Stallknechte und Kuhmägde mit eingerechnet, wie bei dem raffiniertesten Bourgeois oder dem schmutzigsten Börsenjobber. Zweitens ist jene proletarische Krankheit in ihrer weitern Entwicklung bösartig genug, die Todeshand bis in die raubritterlichen Reihen selber auszustrecken. Die beiden teuersten Dinge - Leben und Geldbeutel - bedroht: das wäre genug gewesen, um die gnädigen Herren zu einem vollen Griff in die Tasche, zu Maßregeln einiger Abhilfe und Linderung zu vermögen. Deutschland ersparte ihnen durch seine Sammlungen den größten Teil einer Ausgabe für das »Bauernpack«, das in den Augen des Ritters keinen andern Wert hat als sein Vieh, insoweit er eben das eine wie das andere ausbeuten kann.

Jetzt wütet abermals der Hunger und sein Bundesgenosse, der Typhus, in jenen Distrikten, die bereits voriges Jahr so unendlich gelitten. Sogar die Krautjunker- und Geldsackkammer zu Berlin hat den greulichen Zuständen in den Kreisen Rybnick und Pleß ihre hohe Aufmerksamkeit und ihre philanthropischen Redensarten zugewandt. Deutschland wird nun wohl um etwas klüger geworden sein und dem seit dreißig Jahren angefüllten (!) Staatsschatze der Hohenzollern die Sorge für das oberschlesische Irland überlassen.

Der Hunger, der ganze Landstrecken Oberschlesiens verheert, und die aus ihm erzeugte Epidemie - sie rühren wahrlich nicht von dem durchaus gesunden Klima und einer Mißernte oder Überschwemmung her. Es gab weder Mißernte noch Überschwemmung; Hunger und Epidemie und das ganze oberschlesische Elend sind nur die unvermeidlichen Folgen der Unverschämtheit jener ausbeutenden Raubritter, jener »toten Hand« der Domänenwirtschaft, jener Indolenz der Regierung, die alles gehen und geschehen ließ, was nicht wider das heilige preußische Landrecht und die Ruhe und Bequemlichkeit einer christlich-germanischen Beamtenkaste verstieß.

Zur größern Hälfte ist Grund und Boden in den Händen großer Grundbesitzer, des Fiskus und der »toten Hand«. Nur zwei Fünftel der gesamten Ländereien sind in den Händen der Bauern und mit Fronden und Abgaben an die Gutsherren wie mit Steuern an den Staat, an Kirche, Schule, Kreis und Gemeinde aufs unglaublichste und schamloseste überlastet, während die »gnädigen« Herren im Verhältnis zu den Bauern höchstens eine wahre Lumperei an den Staat entrichten. Bebaut werden die zwei Fünftel Land der kleinen Leute von einer dreifach größern Zahl Menschen als jene drei Fünftel Land der »gnädigen« Herren. Der Bauer ist aus Mangel an Kapital und Einsicht in der Kultur zurückgeblieben, während die großen Gütermassen oft von mehr als 30 000 bis 40 000 Morgen aus Mangel an Arbeitskraft, Übersicht und Sorgfalt ebenfalls einen weit geringern Ertrag liefern als andere, aber besser verwaltete Länderstriche Deutschlands, wo bei gleicher Bodengüte das Vierfache produziert wird. Dem in der Residenz, in Bädern, auf Reisen usw. schwelgenden Standesherrn verschlägt es wenig, wie der Boden bewirtschaftet wird. Er bezieht bei der Größe seines Besitztums an Ackerland, Wiesen, Forsten, Teichen, Bergwerken, Schafherden, Branntweinbrennereien usw., bei den geringen oder keinen Abgaben an den Staat und bei den desto größeren Einnahmen an Laudemien, Silberzinsen usw. aus den bäuerlichen Taschen doch immer eine größere Summe, als er auf gewöhnlichem Wege zu vergeuden imstande ist. Was fragt der Bürokrat danach, ob die Domänen brachliegen in den Händen fauler Schützlinge? Wenn der Tag der Rente kommt, werden die Silberzinsen mittelst der Knute vom Bauer eingetrieben, wenn er sie nicht freiwillig zahlen will. Und so zwangen Mangel an Kapital und Kredit und Überfluß an Abgaben und Leistungen an die Raubritter wie an Staat und Kirche den Bauer, sich dem Geldverleiher in die Arme zu werfen und in den Schlingen des pfiffigen Wucherers ohnmächtig zappelnd zu verenden.

In der langen Erniedrigung und Knechtschaft, in welchen das oberschlesische Landvolk durch die christlich-germanische Regierung und ihre Raubritterschaft darniedergehalten worden, hat der Bauer seinen einzigen Trost wie seine Stärkung und halbe Nahrung im Branntwein gefunden. Man muß es den »gnädigen« Herren lassen, daß sie dem Bauer diesen Artikel aus ihren großen Brennereien reichlich und zu immer billigern Preisen verschafften. In diesem stärksten Konsumtionsartikel des oberschlesischen Bauern machten sie vortreffliche Geschäfte. Von welcher Seite man also auch den Bauer betrachtet, überall erblickt man einen raubritterlichen Saugrüssel, der jeden neuen Blutstropfen des Landmannes an sich zieht und in seiner gottbegnadeten Wirksamkeit nur durch rasches vollständiges Abhauen gehemmt werden kann.

Neben den Lehmhütten der wasserpolackischen Bauern, wo Hunger, Typhus und Vertierung ihre Stätte aufgeschlagen, nehmen sich die prachtvollen Schlösser, Burgen und übrigen Besitztümer der oberschlesischen Magnaten desto romantischer aus. Man braucht hier nur an die großen Herrschaften der Grafen Henkel und Renard (dieses Urheulers und philanthropischen Fuchses mit 240 000 Talern jährlichen Einkommens), des Herzogs von Ratibor, des Grafen Hochberg, der Fürsten Hohenlohe, der Herren von Tost, des Barons Rothschild und vieler anderer Grafen, Barone usw. zu erinnern. Dort in Oberschlesien liegen auch die buchstäblich verschleuderten Staatsgüter, der ehemalige Schul- und Kirchenbesitz, dessen Revenuen noch immer als Renten in diese unverantwortlichen Kassen fallen.

Auf der einen Seite unglaublich schnelle Anhäufung von Reichtümern, kolossale Jahresrevenuen der »Gnädigen«. Ein unlängst verstorbener Herr von Godulla, zur untern Stufe der »gnädigen« Herren zählend, hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von 6 Millionen Talern, das ihm während zirka vierzig Jahren durch Bewohner Oberschlesiens erarbeitet worden.

Auf der andern Seite fortschreitende Massenverarmung.

Der Taglohn für ländliche Arbeiter ist äußerst niedrig: für den Mann 5 bis 6 Silbergroschen, für die Frau 2 1/2 bis 3 Silbergroschen ist schon als ein hoher Satz zu betrachten. Viele arbeiten notgedrungen um einen Taglohn von respektive 4 und 2 Silbergroschen und sogar darunter. Die Nahrung besteht fast einzig und allein aus Kartoffeln und Schnaps. Hätte der Arbeiter noch diese beiden Gegenstände in hinreichender Menge gehabt, so wären wenigstens Hungertod und Typhus von Oberschlesien ferngeblieben. Als aber infolge der Kartoffelkrankheit das Hauptnahrungsmittel immer teurer und seltener wurde, der Taglohn aber nicht bloß nicht stieg, sondern fiel, da griffen die Menschen nach Kräutern, die sie auf den Feldern und in Wäldern pflückten, nach Quecken und Wurzeln und kochten sich Suppen aus gestohlnem Heu und aßen krepiertes Vieh. Ihre Kräfte schwanden: Der Schnaps wurde teurer und - noch schlechter als zuvor. »Schenker« heißen die Personen, welche gegen eine enorme Pacht an den »gnädigen« Herrn den Schnaps an das Volk verkaufen. Der »Schenker«, auch »Arrendator« genannt, war schon früher gewöhnt, den Schnaps, den er durch gehörige Portionen Wasser verdünnte, um die hohe Pacht für den »Gnädigen« und auch ein hübsches Sümmchen für sich selber herauszuschlagen, durch allerlei Ingredienzen, worunter Vitriolöl eine Hauptrolle spielt, zu kräftigen. Diese Giftmischerei nahm von Jahr zu Jahr zu und wurde nach dem Auftreten der Kartoffelfäule auf die höchste Spitze getrieben. Der durch Heu- und Queckensuppen und durch den Genuß roher Wurzeln geschwächte Magen des Landmanns konnte solcherlei Medizin nicht mehr überwinden. Bedenkt man ferner die schlechte Kleidung, die schmutzigen ungesunden Wohnungen, die Kälte im Winter, entweder Mangel an Arbeit oder an Kraft zur Arbeit, so wird man begreifen, wie aus den Hungerzuständen sich sehr bald nicht mehr und nicht minder als in Irland der Typhus entwickelte. »Die Leute hatten nichts zum Zusetzen!« Damit ist alles erklärt. Sie waren fortwährend von den Raubrittern und vom Staat so ausgesaugt und ausgepumpt worden, daß sie bei der geringsten Steigerung ihres Elends zugrunde gehn mußten, wofern nicht der Staat und die Raubritterschaft oder beide vereint sich ins Mittel legten. Wie sie letzteres getan, davon haben die Tausende und aber Tausende von Leichen, die der überflutende Strom des Elends hinwegspülte, genügendes Zeugnis abgelegt. Die Raubritter, die Beamtenkaste und die ganze gottbegnadete königlich-preußische Regierungsschar machte Geschäfte, bezog Gehälter, verteilte Gratifikationen und führte Prachtbauten auf, während da unten, in den gemeinen Schichten des Volks, die vom Hunger und Typhus Gepeitschten hundertweise gleich dem Vieh zu krepieren anfingen und zu krepieren fortfuhren.

Nicht viel besser als mit den gewöhnlichen Tagarbeitern steht's mit den Wirten oder denjenigen, die ein Haus und ein größeres oder kleineres Stück Land dazu besitzen. Auch ihre Hauptnahrung ist: Kartoffeln und Schnaps. Was sie produzieren, müssen sie verkaufen, um die Abgaben an den Gutsherrn, an den Staat usw. aufzubringen. Das Mästen von Schweinen, aus deren Verkauf sonst der Haupterlös gewonnen wurde, mußte infolge der Kartoffelkrankheit entweder teilweise oder ganz unterbleiben. Fehlte doch die eigne Nahrung! Und noch Hofedienste tun zu müssen, hier vom »Gnädigen« oder dessen Beamten mit dem Kantschu barbarisch malträtiert zu werden, arbeitend, hungernd und geprügelt den Luxus und den Übermut der Raubritter und einer anschnauzenden Beamtenkaste mit ansehn und ertragen zu müssen! Das war und das ist das Los eines großen Teils der wasserpolnischen Bevölkerung. Der kleine Mann, der durch Robotdienste an seiner Arbeitszeit verkürzt und aus Mangel an Kapital und Einsicht seine Äcker meist nur nach dem alten Schlendrian bestellt, mußte noch von dem in vielen Distrikten unendlich zahlreichen, weil zärtlich geschonten, herrschaftlichen Wild seine Saaten zerwühlen und verwüsten und oft sein ein und alles vernichten sehn.

Welche Behandlung dem »Hofgesinde«, den Knechten und Mägden der »Gnädigen« zuteil wird, läßt sich schon aus derjenigen ermessen, welche die robotpflichtigen Dorf»untertanen« und die sogenannten Lohnarbeiter zu erdulden haben. Der Kantschu ist auch hier das Alpha und Omega des raubritterlichen Evangeliums. Der Ritter lebt indes nicht umsonst im 19. Jahrhundert. Er hat von der Bourgeoisie tüchtig gelernt. Wie der Fabrikant durch eine Menge fein ausgesponnener Strafbestimmungen seine Arbeiter um einen Teil ihres ohnehin niedrigen Lohnes zu prellen weiß, so nicht minder der ahnenreiche Raubritter, der eben außer seinen Ahnen und den bäuerlichen Silberzinsen und Robotdiensten ganz modernisiert und zu 3/4 Bourgeois geworden ist. Einer der oberschlesischen Standesherren, der über 60 000 Morgen Land besitzt, hat auf seinen Gütern neben dem Kantschu auch fabrikmäßige Geldstrafen eingeführt. Wir wollen nur eines der tausend Beispiele anführen, wie man diese anwendet, weil wir bei dieser raubritterlichen Prozedur zugegen waren. Ein Pferdeknecht auf den Gütern des Standesherrn hatte Sonntags ein Glas Schnaps über den Durst getrunken. Er begegnet einem ahnenreichen Wirtschaftseleven, Herrn v. N. N., von dem er sogleich mit den Worten angeredet wird: »Du verfluchter Schweinehund, wo kommst du her? Du kommst gewiß aus dem Wirtshaus?« (Wir bemerken, daß dies zur Zeit der »Enthaltsamkeits«tollwut geschah.) Der Knecht, der Soldat gewesen, erwiderte, das gehe heute, da Sonntag sei, den gnädigen Herrn nichts an; er kümmere sich ja auch nicht, wieviel Flaschen Champagner die gnädigen Herren ausgestochen hätten; er (der Knecht) könne bei seinem Lohn freilich nur Schnaps saufen. Auf diese plebejische Antwort regnete es nicht bloß zwei Backpfeifen, sondern dem Knecht wurden als Ordnungsstrafe und wegen »ungeziemender Begegnung« eines Vorgesetzten 24 Silbergroschen am Lohn abgezogen. Der Knecht hatte aber nur 25 Silbergroschen monatlichen Lohn, so daß ihm für einen ganzen Monat auf Kleider, Stiefeln, Tabak usw. - 1 Silbergroschen übrigblieb. Und nebenbei bemerkt, der gnädige Herr war bei weitem mehr besoffen als der Knecht. Wird übrigens einer der herrschaftlichen Dienstboten alt oder sonst arbeitsunfähig, so entläßt man ihn, und er fällt der Gemeinde, deren Gutsherrn er jahrelang gedient, zur Last.

Die Raubritterschaft schaltet und waltet nach Belieben. Aus ihren Reihen werden die Landräte genommen; sie übt die Dominial- und Distriktspolizei, und die ganze Bürokratie arbeitet in ihrem Interesse. Dazu kommt, daß dem wasserpolnischen Bauer nicht bloß ein deutsches - das wäre vielleicht zu humanisieren -, sondern ein altpreußisches Beamtentum mit seiner preußischen Sprache und seinem Landrecht gegenübersteht.

Von allen Seiten ausgesaugt, malträtiert, verhöhnt, gekantschut und in Fesseln geschlagen, mußte das oberschlesische Landvolk endlich auf den Punkt gelangen, auf dem es angekommen ist. Hungertod und Pest mußten notwendig als letzte Frucht auf diesem echt christlich-germanischen Boden heranreifen. Wer noch zum Stehlen die Fähigkeit hat, der stiehlt, das ist die einzige Form, in welcher der verirländerte Oberschlesier gegen das christliche Germanen- und Raubrittertum tatsächliche Opposition macht. Auf den nächsten Stufen wird gebettelt; scharenweise sieht man die verelendeten Gestalten von einem Ort zum andern ziehn. In dritter Reihe erblicken wir diejenigen, welche weder zum Stehlen noch zum Betteln Kraft und Geschick haben. Auf ihren Lagern von vermodertem oder verfaultem Stroh hält der epidemische Würgengel seine ergiebigste Rundschau. Das sind die Früchte einer hundertjährigen, gottbegnadeten, monarchischen Regierung und der mit ihr verbündeten Ritterschaft und Bürokratie.

Hier hilft nur eine Radikalkur. Die Raubritter müssen ihre Beute, die sie dem Landvolk seit dreißig Jahren abgezwungen, herausgeben; sie müssen das Landvolk für alle an ihm begangnen Prellereien und Gaunereien entschädigen. Diese raubritterliche Entschädigungssumme wird genügen, um die Nackten zu kleiden, die Hungrigen zu speisen, die Kranken zu heilen und die Hungerpest zu bändigen. Damit aber diese Zustände nicht bald wiederkehren, müssen die großen Standesherrschaften, Majorate usw. dismembriert werden. Alle Robotdienste und Silberzinsen müssen, wie sich von selbst versteht, unentgeltlich aufgehoben und die Ländereien, die den gnädigen Herren verbleiben, ebenso hoch besteuert werden als die der kleinen Leute. Das alles wird unter der jetzigen gottbegnadeten Regierung nicht geschehen, und deshalb werden auch, solange Brandenburg-Manteuffelsche und überhaupt gottbegnadete Maximen am Ruder sind, die Oberschlesier nach wie vor dem Hunger und dem Hungertyphus scharenweise zum Opfer fallen. Erst mit dem völligen Untergang des ganzen bisherigen raubritterlichen, gottbegnadeten Regierungssystems wird den Oberschlesiern der erste Hoffnungsstern auf eine Besserung ihrer Lage, auf Befreiung aus den Krallen des Hungers und der Hungerpest aufgehn.

Neue Rheinische Zeitung,
zwischen dem 22. März und dem 25. April 1849.



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Wilhelm Wolff


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