Breslau, 17. Juni. Voriges Jahr noch sagte man den Schlesiern allerhöchste Schmeicheleien; »von Gottes Gnaden« wurde ihnen versichert: ihre Provinz sei und bleibe die schönste Perle in der Krone Preußens. Solch abgegriffene Redensarten gelten als geistreich bei denen, die mittelst jener »schönsten Perle« gar angenehme Geschäfte trieben. Die übrigen, das heißt 7/8 der ganzen Bevölkerung, verbissen einstweilen ihren Ingrimm über jene Verhöhnung. Sie warteten des Tages, der bald hereinbrechen mußte, um dann frei und bündig ihre Gegenerklärung abzugeben.
Schlesiens Zustände sind seit den Märztagen in ihrem wahren Lichte hervorgetreten; über die Gesinnung unter der Mehrzahl seiner Bewohner kann nicht länger Zweifel bestehen.
Der vorherrschende Geist ist revolutionär. Er wird es so lange bleiben, bis einerseits der mittelalterliche Unrat gänzlich hinweggefegt und andererseits die moderne Beamten-, Polizei- und Bourgeoiswirtschaft zu Grabe getragen ist, mit einem Wort, bis die Volkssouveränität ungeschmälerte Anerkennung und Verwirklichung gefunden.
Vor drei Monaten war ein starkes politisches Bewußtsein hauptsächlich nur in Breslau und einigen anderen Städten vorhanden. Selbst in diesen gab es noch gar viele Anhänger der Monarchie, gemütliche Seelen, denen die Gewohnheit zum Naturgesetz geworden. Noch größer war ihre Zahl in anderen Teilen der Provinz.
Seitdem hat sich die Stimmung, trotz der kurzen Zeit, mächtig geändert. Zu dieser Umänderung hat allerdings der demokratische Zentralverein zu Breslau in Verbindung mit seinen Zweig- und Brudervereinen hier und in der Provinz kräftig beigetragen. Allein viel wirksamer war jedenfalls die von der reaktionären Partei ausgehende Propaganda. Durch die schamlosen Angriffe, die sie namentlich gegen die hiesigen Demokraten richtete, durch ihre gütigen Aufforderungen, nach Breslau zu ziehen und die dortigen Revolutionäre mit Stumpf und Stiel auszurotten, nötigenfalls die Stadt dem Boden gleichzumachen, durch ihre Drohungen, bald mit 20, bald mit 40 tausend Mann gegen das Demokratennest zu marschieren, durch ihre Intrigen, den diesjährigen Breslauer Wollmarkt zu verhindern, durch ihre Geldausteilungen an Breslauer Arbeiter, um während des dennoch zustande gekommenen Wollmarktes eine Emeute hervorzurufen, hat sie vielen den Star gestochen.
Sodann kam der saubere Verfassungsentwurf. Er fiel wie eine Bombe in Schlesien hinein. Selbst die Herren Konstitutionellen, wenigstens der biedermännische Teil derselben, schämte sich und ließ sein früheres Geschrei gegen die Demokraten verstummen. Und nun gar die Aussicht auf eine gezwungene Anleihe! Nein, das war doch zu stark! Selbst Gutsbesitzer, die zuvor jeden Republikaner mit Haut und Haaren zum Frühstück verspeisen wollten, standen plötzlich da und machten eine Miene wie die Katzen, wenns donnert. In ihren Augen hatte jetzt die demokratische Partei doch so unrecht nicht.
Auf dem platten Lande bilden die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse eine selbstredende Propaganda. Nebstdem ist »Kilian Raschke« (»Inhaber vum eisern Kreitze und Mitglied des demokratischen Klubs«) mit seinen drei Proklamationen an das Landvolk von unberechenbarem Einfluß gewesen. Sein »Pauern, ufgepußt!« hat zum Beispiel in mehr als 100 000 Exemplaren gedruckt werden müssen, um der Nachfrage zu entsprechen.
Ist nun zwar die demokratische Partei durch ihre Zahl stark, so sind es die Reaktionäre durch ihre Geldmittel durch das Beamtentum. Letzteres ist bis auf wenige Ausnahmen unverändert geblieben und bietet alle Kräfte auf, um sich die geliebten Fleischtöpfe nicht entreißen zu lassen. In diesem Beamtentum findet eben der hohe und niedere Adel in Schlesien, von dem es wohl nirgends sonst in dem Grade wie bei uns wimmelt, seine beste Stütze. Namentlich sind die Landräte, sehr wenige ausgenommen, und in den Städten die Magistrate die heftigsten Gegner der neuen Bewegung. Auch die Stadtverordneten sind an vielen Orten nichts weiter als ein Ausschuß von Reaktionären.
Bei solchen widerstrebenden Elementen ist an ein Aufhören des Kampfes nicht zu denken. Für die einen handelt es sich um Beibehaltung ihrer Vorrechte, für die anderen um Vernichtung derselben. Gutwillig geben die ersteren nicht nach. Drum wird die Gewalt entscheiden müssen.
Schließlich ist nicht zu übersehen, daß wir uns in einer geographischen Lage befinden, die eine scharfe Sonderung der Parteien und einen heftigen wechselseitigen Kampf bedingt.
Nicht weit von der russischen Grenze setzen die Reaktionäre ihre Hoffnung auf Hilfe von Osten. An der russischen Grenze häufen sich täglich größere Truppenmassen auf, und binnen ein paar Wochen ist alles zu einem nachdrücklichen Schlage vorbereitet. Daß die russische Politik mit den preußischen Reaktionären von Potsdam, Pommern, Posen und Schlesien Hand in Hand geht, daran zweifelt hier schon lange niemand mehr. Die Unentschiedenen sind dadurch genötigt, Partei zu ergreifen, und die Verhältnisse zwingen sie meist, sich zur demokratischen Fahne zu schlagen.
Aber selbst wenn die Russen wider allen Anschein nicht so schnell in Deutschland einbrechen sollten, so ist doch in Schlesien ein baldiger Kampf zwischen den Anhängern des Alten und Neuen unvermeidlich. Die gesamte Landbevölkerung ist in der höchsten Aufregung. Sie erwartete, daß die Deputierten in Berlin sofort alle mittelalterlichen Lasten ohne Entschädigungen aufheben würden. Dies ist bis jetzt nicht geschehen; und die Erbitterung wächst mit jedem Tage. Sie wird noch vermehrt durch die Last militärischer Einquartierung, durch das Herumziehen mobiler Kolonnen. Der Faden der Geduld droht bald zu reißen. Dazu kommt das Elend in Oberschlesien und das noch größere unter den Webern und Spinnern, nicht bloß des Eulen-, sondern des ganzen übrigen Gebirges.
Bestände die Berliner Nationalversammlung aus Männern, welche die Zeit begriffen, sie würde durch energisches Auftreten, durch radikale Maßregeln, durch schnelle Entscheidung dem bedrohlichen Zustand ein Ende machen. Wie es jetzt steht, wird das Volk immer mehr zur Beherzigung des Spruches hingedrängt: »Hilf dir selbst, so wird dir der Himmel helfen!«
Neue Rheinische Zeitung, 17. Juni 1848.