Heinrich der 72. Fürst Reuß, Heinrich der 72., derselbe, der »20 Jahre lang auf einem Prinzip herumgeritten hat«, ist nicht mehr. Das heißt, er hat aufgehört: Fürst von Reuß zu sein. In einem rührend schönen Erlasse teilt er uns dieses wichtige Ereignis mit, indem er hinzusetzt, daß ihn nicht nur eine »erschütterte Gesundheit« veranlaßt habe, die Führung der Regierung niederzulegen, sondern daß namentlich »durch schwarzen unerwarteten Undank von mancher Seite sein Wirken abgeschnitten worden sei«.
Armer Heinrich!
»Ich lege kraft dieses, zum Besten Meines verfassungsmäßigen Nachfolgers, Ihro des regierenden Fürsten von Schleiz Durchlaucht und Liebden, die Regierung nieder.«
So spricht Fürst Reuß der Ehemalige, und wir fühlen die ganze Wucht seiner gewichtigen Worte. »Starre Gemeinschaftszustände«, so meint er, und »starre Bundes- und Protokollen-Nacht haben meinen öffentlichen Charakter verschleiert. Aber die große Zukunft wird alles bessern.«
Natürlich!
Der offiziellen Entsagungsurkunde läßt der Herr Reuß dann noch eine Mitteilung an seine zahlreichen auswärtigen Freunde und Bekannten folgen, aus der wir sehen, daß nicht nur seine »zerrüttete Gesundheit« und »schwarzer unerwarteter Undank von mancher Seite«, sondern auch drittens »eine Masse von Erbärmlichkeit, die in der Flachsenfingerei eines kleinen Staates mit dem März auftauchte und an die Stelle wahrhaft glücklicher Zustände trat«, Se. weiland Durchlaucht vom Throne vertrieb.
Über diese »Flachsenfingerei« gibt uns Reuß noch insoweit Aufschluß, als er uns mitteilt, wie ihm ach! zuletzt niemand mehr habe gehorchen wollen.
Lebe wohl Heinrich! Sanfter, stiller Heinrich, lebe wohl! Sechs volle
Dutzend Deines Namens hat die Welt besessen, aber Du warst der edelste, der
beste unter ihnen. Ziehe hin in Frieden!
Detmold, 1. November
Die Nachricht, daß es sich in Frankreich um nichts weniger als um die Mediatisierung des Fürstentums Lippe drehe, hat hier natürlich allgemeines Entsetzen erregt. »Lieber die Republik, als hannoverisch oder hessisch werden!«, so lautet jetzt der Schrei des Tages, und in allen Städten und Dörfern werden protestierende Adressen an die Nationalversammlung vorbereitet. Die Landleute glauben, daß sie dieselben wohl unterzeichnen würden, aber sie erklärten sich auch nur unter der Bedingung dazu bereit, daß der Fürst augenblicklich die Aufhebung des Jagdrechts verkünde. Wenn man bedenkt, wie Se. Durchlaucht noch an den Rehböcken des Teutoburger Waldes hängt, so wird man begreifen, eine wie harte Nuß in diesem Falle höchsten Ortes zu knacken wäre.
Die Regierung sucht daher auch schon in den Bauern nicht die einzige Stütze und hat es vorgezogen, das herannahende Unheil lieber durch die größeste Höflichkeit der Zentralgewalt gegenüber abzuwenden. Sie hat demnach bei Publizierung der Mohl-Schmerlingschen Annonce vom 3. Oktober die Überwachung der politischen Vereine betreffend, den einzelnen Behörden aufgetragen, sofort in den nächsten acht Tagen über die in ihren Bezirken vorhandenen politischen Vereine, deren Tendenzen, Statuten, auffallende Beschlüsse, Einfluß auf das Volksleben etc. amtliche Mitteilung zu machen.
Zur Rettung des Fürstentums Lippe sollen also statt der Teutoburger Rehböcke die Teutoburger Demokraten geopfert werden.
Neue Rheinische Zeitung. 4. November 1848.