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Militarismus! Wenige Schlagworte werden in unsrer Zeit so häufig gebraucht, und kaum ein Schlagwort bezeichnet etwas so Verwickeltes, Vielgestaltiges, Vielseitiges, eine in ihrem Ursprunge und Wesen, ihren Mitteln und Wirkungen so interessante und bedeutsame Erscheinung, eine Erscheinung, die so tief in dem Wesen der Klassengesellschaftsordnungen gewurzelt ist und die dennoch auch innerhalb der gleichen Gesellschaftsordnung, je nach den besonderen natürlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Staaten und Gebiete, so außerordentlich mannigfaltige Formen annehmen kann.
Der Militarismus ist eine der wichtigsten und energischsten Lebensäußerungen der meisten Gesellschaftsordnungen, weil in ihm der nationale, kulturelle und klassenmäßige Selbsterhaltungstrieb, dieser elementarste aller Triebe, am stärksten, konzentriertesten, ausschließlichsten zum Ausdruck kommt.
Eine Geschichte des Militarismus, im tiefsten Sinne durchgeführt, deckt das innerste Wesen der menschheitlichen Entwicklungsgeschichte, ihre Triebfedern überhaupt auf, und eine Sektion des kapitalistischen Militarismus bedeutet eine Offenlegung der verborgensten und feinsten Wurzelfasern des Kapitalismus. Die Geschichte des Militarismus ist gleichzeitig die Geschichte der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und überhaupt kulturellen Spannungsverhältnisse zwischen den Staaten und Nationen wie auch die Geschichte der Klassenkämpfe innerhalb der einzelnen staatlichen und nationalen Einheiten.
Natürlich kann hier keine Rede davon sein, auch nur den Versuch einer solchen Geschichte zu wagen. Indessen seien einige wenige allgemeine Gesichtspunkte angedeutet.
Die entscheidende Stütze jedes gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisses ist in letzter Linie die Überlegenheit der physischen Kraft (1), die als gesellschaftliche Erscheinung nicht in der Form größerer Körperstärke der einzelnen Individuen in die Erscheinung tritt, für die vielmehr, dem großen Durchschnitt entsprechend, zunächst einmal Mensch gleich Mensch ist und für die das rein zahlenmäßige Mehrheitsverhältnis entscheidet. Dieses Zahlenverhältnis entspricht nicht ohne weiteres dem zahlenmäßigen Verhältnis derjenigen Personenkreise, die widersprechende Interessen besitzen, sondern es wird, da nicht ein jeder seine eignen wirklichen Interessen kennt, insbesondere nicht seine grundsätzlichen Interessen, da vor allem nicht jeder die Interessen seiner Klasse als seine eignen individuellen Interessen erkennt oder anerkennt, wesentlich durch das sich je nach der geistigen und sittlichen Entwicklungsstufe der einzelnen Klasse richtende extensive und intensive Maß des Klassenbewußtseins bestimmt. Diese geistige und sittliche Stufe wiederum richtet sich je nach der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Interessengruppen (Klassen), während sich die soziale und politische Lage mehr als Folge, freilich als eine auch sehr stark zurückwirkende Folge, als ein Ausdruck des Herrschaftsverhältnisses darstellt.
Auch unmittelbar wirkt die rein wirtschaftliche Überlegenheit mit zur Verschiebung und Verwirrung jenes Zahlenverhältnisses, da der wirtschaftliche Druck nicht nur die Höhe der geistigen und sittlichen Stufe und damit die Erkenntnis des Klasseninteresses beeinflußt, sondern auch eine Tendenz erzeugt, entgegen dem mehr oder weniger wohlverstandenen Klasseninteresse zu handeln. Daß auch die politische Maschinerie derjenigen Klasse, in deren Händen sie ist, weitere Machtmittel verleiht, um jenes Zahlenverhältnis zugunsten der herrschenden Interessengruppe zu "korrigieren", lehren vier uns allen wohlbekannte Einrichtungen: Polizei, Justiz, Schule und, was auch hierher gerechnet werden muß, Kirche - Einrichtungen, die die politische Maschinerie, die Gesetzgebungsmaschinerie, schafft und als Gesetzanwendungs-, Verwaltungsmaschinerie ausnutzt. Die ersten beiden wirken hauptsächlich durch Drohung, Abschreckung und Gewalt, die Schule hauptsächlich durch möglichste Verstopfung aller Kanäle, durch die das Klassenbewußtsein in Hirn und Herz strömen konnte, die Kirche aber in wirksamster Weise durch Anlegung von Scheuklappen, durch Erweckung der Begierde nach dem vorgegaukelten himmlischen Honig und durch die Angst vor der höllischen Folterkammer.
Aber auch das so gewonnene Zahlenverhältnis entscheidet nicht schlechthin über das Herrschaftsverhältnis. Der bewaffnete Mensch vervielfältigt seine physische Kraft durch die Waffe. In welchem Maße sich diese Vervielfältigung vollzieht, hängt ab von der Entwicklung der Waffentechnik einschließlich Fortifikation und Strategie, deren Gestaltung im wesentlichen Folgeerscheinung der Waffentechnik ist. Die intellektuelle und wirtschaftliche Überlegenheit einer Interessengruppe über die andre setzt sich durch die Bewaffnung oder die bessere Bewaffnung der überlegenen Klasse geradezu in physische Überlegenheit um und schafft damit die Möglichkeit der vollständigen Beherrschung einer klassenbewußten Mehrheit durch eine klassenbewußte Minderheit
Wenn auch die Klassenscheidung durch die wirtschaftliche Lage bestimmt ist, so wird danach doch das politische Machtverhältnis der Klassen nur in erster Linie durch die wirtschaftliche Lage der einzelnen geregelt, in zweiter Linie aber durch zahlreiche geistige, moralische und physische Machtmittel, die wiederum durch die wirtschaftliche Klassenlage der wirtschaftlich herrschenden Klasse in die Hand gespielt sind. Den Bestand der Klassen vermögen alle diese Machtmittel nicht zu beeinflussen, da dieser Bestand durch eine von ihnen unabhängige Situation gegeben wird, die mit Naturnotwendigkeit gewisse Klassen, die selbst eine Mehrheit darstellen können, in wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber andern Klassen, die eine kleine Minderheit sein können, zwingen und darin halten, ohne daß daran der Klassenkampf oder ein politisches Machtmittel etwas ändern könnte. Der Klassenkampf kann also nur sein ein Kampf zur Förderung des Klassenbewußtseins einschließlich der revolutionären Tat- und Opferbereitschaft im Interesse der Klasse unter den Klassengenossen und zur Gewinnung derjenigen Machtmittel, die für die Erzeugung oder Unterdrückung des Klassenbewußtseins von Wichtigkeit sind, sowie derjenigen körperlichen und geistigen Machtmittel, deren Besitz eine Vervielfältigung der physischen Kraft bedeutet.
Aus alledem folgt, welch wichtige Rolle in den gesellschaftlichen Kämpfen die Waffentechnik spielt. Von ihr hängt es ab, ob, wenn eine wirtschaftliche Notwendigkeit dazu nicht oder nicht mehr besteht, eine Minderheit durch militärische Aktion, die "konzentrierteste politische Aktion", in der Lage bleibt, über eine Mehrheit gegen deren Willen zu herrschen - wenigstens eine gewisse Spanne Zeit hindurch. Abgesehen von der Klassenscheidung ist die Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse denn auch tatsächlich überall eng mit der Entwicklung der Waffentechnik verknüpft. Solange sich im wesentlichen ein jeder - auch der wirtschaftlich Schlechtestgestellte - unter im wesentlichen gleichen Schwierigkeiten im wesentlichen gleichwertige Waffen schaffen kann, wird das Majoritatsprinzip, die Demokratie, die regelmäßige politische Form der Gesellschaft sein. Das mußte selbst bei wirtschaftlicher Klassenscheidung zutreffen, sofern eben nur auch jene Voraussetzung zuträfe. Der natürliche Entwicklungsprozeß ist freilich, daß die Klassenscheidung, die ja die Folge der wirtschaftlich-technischen Entwicklung ist, parallel der Ausbildung der Waffentechnik (einschließlich Fortifikation und Strategie) läuft; daß dadurch die Herstellung der Waffen mehr und mehr zu einer speziellen Berufsfertigkeit wird; daß ferner, da Klassenherrschaft in der Regel gleich wirtschaftlicher Überlegenheit einer Klasse über die andere ist und die Verbesserung der Waffentechnik zu einer sich fortgesetzt steigernden Erschwerung und Verteuerung der Waffenerzeugung (1) führt, diese Waffenerzeugung allmählich zu einem Monopol der wirtschaftlich herrschenden Klasse wird, womit jener physische Grund für die Demokratie beseitigt ist. Dann aber heißt es: Sei im Besitze, und du bist im Recht. Auch bei Verlust der wirtschaftlichen Überlegenheit kann sich die einmal im Besitz der politischen Machtmittel befindliche Klasse mindestens zeitweilig in der politischen Herrschaft halten.
Daß hiernach nicht nur die Form und Art der politischen Herrschaftsverhältnisse durch die Waffentechnik mitbedingt ist, sondern auch Form und Art der jeweiligen Klassenkämpfe, bedarf an dieser Stelle keiner näheren Ausführung.
Es genügt aber nicht bereits, daß alle Bürger gleich bewaffnet sind und ihre Waffen bei sich führen, um eine Herrschaft der Demokratie auf die Dauer zu sichern; denn die blosse gleiche Verteilung der Waffen schließt, wie die Vorgänge in der Schweiz gezeigt haben, nicht aus, daß diese Verteilung von der Majorität, die im Begriff ist, Minorität zu werden, oder selbst von einer besser, schlagfertiger organisierten Minorität beseitigt wird. Die gleichmalige Bewaffnung der gesamten Bevölkerung kann eben nur dann eine dauernde und unentziehbare sein, wenn die Waffenerzeugung selbst Allgemeingut ist.
Die demokratisierende Rolle, die die Waffentechnik spielen kann, hat Bulwer in einem seiner weniger bekannten Werke, der merkwürdigen Utopie "The Coming Race" ("Die künftige Rasse", "Die Zukunftsgesellschaft"), in geistreicher Weise ausgemalt. Er setzt in diesem Werke eine solch hohe Entwicklung der Technik voraus, daß ein jeder Bürger durch einen kleinen, mit einer geheimnisvollen, der Elektrizität ähnlichen Kraft geladenen, leicht zu beschaffenden Stab in der Lage ist, jeden Augenblick die vernichtendsten Wirkungen zu erzeugen. Und in der Tat können wir damit rechnen, daß, wenn auch in einer fernen Zukunft, die Technik, die leichte Beherrschung der gewaltigsten Naturkräfte durch den Menschen, eine Stufe erreichen wird, die eine Anwendung der Mordtechnik überhaupt unmöglich macht, weil sie Selbstvernichtung des Menschengeschlechts bedeuten würde, und die die Ausnutzung der technischen Fortschritte aus einer gewissermaßen plutokratischen wiederum in eine gewissermaßen demokratische, allgemein menschliche Möglichkeit wandelt.
In den niedersten Kulturen, die keinerlei Klassenscheidung kennen, dient die Waffe in der Regel gleichzeitig als Werkzeug. Sie ist Mittel zum Nahrungserwerb (zur Jagd, zum Wurzelgraben usw.) ebenso wie Mittel zum Schutz gegen wilde Tiere, zur Abwehr feindlicher Stämme und zum Angriff gegen sie. Sie trägt so primitiven Charakter, daß ein jeder sie sich jederzeit leicht selbst verschaffen kann (Steine und Stöcke, Speer mit Steinspitze, Bogen usw.). Das gilt auch von den Schutzwehren. Da es, abgesehen von der ursprünglichsten aller Arbeitsteilungen, derjenigen zwischen Mann und Frau, noch keine nennenswerte Arbeitsteilung gibt und alle Glieder des Gemeinwesens wenigstens innerhalb des männlichen oder weiblichen Geschlechts nahezu die gleiche gesellschaftliche Funktion haben, da es also noch keine wirtschaftlichen oder politischen Herrschaftsverhältnisse gibt, so kann die Waffe innerhalb des Gemeinwesens nicht eine Stütze solcher Herrschaftsverhältnisse sein. Sie konnte aber eine solche Stütze selbst dann nicht sein, wenn es Herrschaftsverhältnisse gäbe. Bei der primitiven Waffentechnik sind nur demokratische Herrschaftsverhältnisse möglich.
Wenn in dieser niedersten Kultur die Waffe innerhalb der Gemeinschaft höchstens zur Austragung individueller Konflikte dienen kann, so ändert sich das nach Eintritt der Klassenscheidung und der höheren Ausbildung der Waffentechnik. Der urwüchsige Kommunismus der niederen Ackerbauvölker mit ihrer Frauenherrschaftsverfassung kennt keine sozialen und daher normalerweise auch keine politischen Klassenherrschaftsverhältnisse. Ein Militarismus kommt im allgemeinen nicht auf; äußere Verwicklungen freilich zwingen zur Kriegsbereitschaft und erzeugen zeitweilig selbst militärische Despotien, die bei den Viehzuchtvölkern von vornherein wegen ihrer kriegerischen Situation und der regelmäßig früheren Klassenscheidung eine sehr häufige Erscheinung bilden.
Sodann sei an das griechische und römische Heerwesen erinnert, in dem sich entsprechend der Klassenscheidung eine rein militärische Hierarchie fand, gegliedert je nach der Klassenlage des einzelnen, nach der sich wiederum die Güte der Bewaffnung richtete; ferner an die feudalen Ritterheere mit ihrem meist infanteristischen, stets viel schlechter gewehrt und gewappnetem Troß von Knappen, die nach Patrice Laroque mehr die Rolle von Gehilfen der Kombattanten als von Kombattanten selbst spielten. Daß man in der damaligen Zeit überhaupt eine Bewaffnung der unteren Klassen duldete und selbst herbeiführte, erklärt sich viel weniger aus der geringen allgemeinen Sicherheit, die der Staat den von ihm anerkannten Interessen der einzelnen zu bieten vermochte, die daher eine persönliche Bewaffnung aller in einem gewissen Sinne zum Bedürfnis machte, als aus der Notwendigkeit einer möglichsten Wehrhaftmachung der Nation oder des Staates für Angriff und Abwehr gegen den äußeren Feind. Die Differenzierung in der Bewaffnung der einzelnen Gesellschaftsklassen wahrte aber stets die Möglichkeit der Ausnutzung der Waffentechnik zur Erhaltung oder Herstellung des Herrschaftsverhältnisses. Die römischen Sklavenkriege beleuchten diese Seite der Sache in bemerkenswerter Weise.
Ein bezeichnendes Licht werfen auf unsre Frage auch der deutsche Bauernkrieg und die deutschen Städtekriege. Unter den unmittelbaren Ursachen für den ungünstigen Verlauf des deutschen Bauernkriegs steht die militärisch-technische Überlegenheit der kirchlich feudalen Heere mit in erster Reihe. Die Städtekriege des 14.Jahrhunderts gegen ebendiese Heere aber verliefen erfolgreich, nicht nur, weil in ihnen die Waffentechnik, insbesondere die Technik der Feuerwaffen, im Gegensatz zum Bauernkrieg des Jahres 1525 außerordentlich rückständig war, sondern vor allem infolge der großen wirtschaftlichen Macht der Städte, die als lokal abgegliederte soziale Interessensphären die Angehörigen dieser Sphären - und zwar ohne nennenswerte Beimischung anders interessierter Elemente - auf engem Raume zusammenzwangen, die weiter durch die Art des Städtebaues von vornherein eine taktische Position von etwa der gleichen Bedeutung innehatten wie die Feudalherren, wie Kirche und Kaiser in ihren Burgen und Festungen - das ist gleichfalls ein militärisch-technisches Element (Fortifikation) - und in deren Händen schließlich die Waffenerzeugung selbst in allererster Linie lag, wie denn ihre Bürger die überlegenen Vertreter der technischen Fertigkeiten überhaupt waren, die dem Ritterheer den Garaus machten. (1)
Festzuhalten ist als Ergebnis der Betrachtung gerade der Bauern- und Städtekriege die wichtige Rolle, die dem lokal getrennt oder örtlich gemischten Leben der verschiedenen Gesellschaftsklassen gebührt. Das Zusammenfallen der Klassengliederung mit der örtlichen Gliederung bedeutet eine Erleichterung des Klassenkampfes, nicht nur wegen der dadurch herbeigeführten Förderung des Klassenbewußtseins, sondern auch rein technisch infolge der damit verbundenen Erleichterung der militärischen Zusammenfassung der Klassengenossen sowie der Waffenproduktion und Waffenversorgung. Diese günstige lokale Klassengruppierung hat allen bürgerlichen Revolutionen (1) zur Seite gestanden, der proletarischen fehlt sie nahezu (2).
2 Das Zusammenarbeiten in Fabriken usw. und das Zusammenwohnen in "Arbeitervierteln" und dergleichen kommt hier immerhin in Betracht.
Auch in den Söldnerheeren, die bis in unsre Zeit hineinragen, findet, ähnlich wie bei der Bewaffnung, eine direkte Umsetzung wirtschaftlicher Macht in physische Macht statt nach dem mephistophelischen Rezept: "Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, sind ihre Kräfte nicht die meine? Ich fahre fort und bin ein rechter Mann, als hätt' ich vierundzwanzig Beine", und nach dem weiteren Rezept: divide et impera! (Teile und herrsche), welch beide Rezepte auch bei den sogenannten Elitetruppen angewandt sind. - Andrerseits zeigen - ähnlich wie einst schon die Prätorianer - gerade die italienischen Condottieri drastisch, welche politische Macht der Besitz der Waffen, der kriegerischen Übung und der strategischen Kunst verleihen kann; der Söldling griff kühn nach Fürstenkronen, spielte mit ihnen Fangball und ward zum natürlichen Anwärter der höchsten staatlichen Macht (1), eine Erscheinung, die sich in erregten Zeiten und Kriegsläuften, in denen die militärische Gewschlagfertig in den Händen einzelner ruht, bis in unsre Tage wiederholt: Napoleon und seine Generale, auch Boulanger!
Wichtige Lehren über den Einfluß der außerpolitischen Lage auf die Gestaltung von Heerwesen und Militarismus im allgemeinen predigt die Geschichte der deutschen "Befreiungskriege". Als nach den jämmerlich verlaufenen Koalitionskriegen gegen die Französische Revolution im Jahre 1806 das feudal-ständische Heer Friedrichs II. von der bürgerlichen Armee Frankreichs wie in einem Mörser zermalmt war, standen die hilflosen deutschen Regierungen vor der Alternative: entweder sich dauernd dem korsischen Eroberer auf Gnade und Ungnade ergeben, oder ihn mit seinen eignen Waffen schlagen, mit einer bürgerlichen Armee der allgemeinen Volksbewaffnung. Ihr Selbsterhaltungstrieb und die spontane Regung des Volkes drängten sie auf den zweiten Weg. Es begann jene große Periode der Demokratisierung Deutschlands, insbesondere Preußens, geschaffen durch den Druck von außen, der die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen im Innern zeitweilig milderte. Man brauchte Geld und begeisterte Freiheitskämpfer. Der Wert des Menschen an sich wuchs. Seine gesellschaftliche Eigenschaft als Werterzeuger und präsumtiver Steuerzahler und seine natürlich-physische Eigenschaft als Träger körperlicher Kraft, als Träger von Intelligenz und Begeisterungsfähigkeit gewannen entscheidende Bedeutung und ließen seinen Kurs, wie stets in Zeiten allgemeiner Gefahr, steigen, den Einfluß der Klassendifferenzierung sinken; das "Preußenvolk" hatte, um im Militärwochenblattjargon zu reden", allen Hader in langjähriger Fremdherrschaft unterdrücken gelernt". Wie so oft spielten die Finanz- und die Militärfrage eine revolutionierende Rolle. Manche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hemmungen wurden beseitigt. Industrie und Handel, die finanziell in erster Linie wichtig waren, wurden gefördert, soweit dies der kleinlich-bürokratische Geist Preußen-Deutschlands vermochte. Selbst politische Freiheiten wurden eingeführt oder wenigstens - versprochen. Das Volk stand auf, der Sturm brach los. Die Scharnhorst-Gneisenausche Armee der allgemeinen Volksbewaffnung jagte in den großen Befreiungskriegen den "Erbfeind" über den Rhein zurück und setzte dem Welterschütterer, der das Frankreich der großen Revolution unterwühlt hatte, ein schmähliches Ziel, obwohl sie nicht einmal diejenige demokratische Einrichtung war, die Scharnhorst und Gneisenau hatten schaffen wollen. Nachdem der Mohr - das deutsche Volk - so seine Schuldigkeit getan hatte, erhielt er den gehörigen "Dank vom Hause Habsburg". Die Karlsbader Beschlüsse folgten auf die Völkerschlacht bei Leipzig; und einer der wichtigsten Akte der Metternichtigkeit eidbrüchigen und fluchwürdigen Angedenkens war, nachdem der Druck von außen beseitigt und alle reaktionären Teufel im Innern wieder losgelassen waren, die Vernichtung der demokratischen Armee der Freiheitskriege, für die zwar die kulturell hochstehenden Gebiete Deutschlands reif sein mochten, die aber unter dem Bleigewicht der ostelbisch-borussischen Unkultur mit fast allen Herrlichkeiten der großen Volkserhebung jäh zusammenbrach.
Ein oberflächlicher Blick über die Entwicklung des Heerwesens schließlich ergibt, in welch energischer Abhängigkeit Art der Zusammensetzung und Umfang der Armee nicht nur von der sozialen Gliederung, sondern auch, und in weit höherem Maße, von der Waffentechnik stehen. Die umwälzende Wirkung, die zum Beispiel die Erfindung der Feuerwaffen in dieser Richtung geübt hat, ist eine der markantesten Tatsachen der Kriegsgeschichte.
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