Unser Kampf | | | 25. Kapitel | | | Inhalt | | | 27. Kapitel | | | Rosa Luxemburg |
Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut
für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975.
»Die Akkumulation des Kapitals«, S. 296-316.
1. Korrektur
Erstellt am 20.10.1998
|296| Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion vermag uns also den Prozeß der Akkumulation, wie er in der Wirklichkeit vorgeht und sich geschichtlich durchsetzt, nicht zu erklären. Woran liegt das? An nichts an- |297| derem als an den Voraussetzungen des Schemas selbst. Dieses Schema unternimmt es, den Akkumulationsprozeß unter der Voraussetzung darzustellen, daß Kapitalisten und Arbeiter die einzigen Vertreter der gesellschaftlichen Konsumtion sind. Wir haben gesehen, daß Marx konsequent und bewußt als die theoretische Voraussetzung seiner Analyse in allen drei Bänden des »Kapitals« die allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise annimmt. Unter diesen Bedingungen gibt es freilich, wie im Schema, keine anderen Gesellschaftsklassen als Kapitalisten und Arbeiter - alle »dritten Personen« der kapitalistischen Gesellschaft: Beamte, liberale Berufe, Geistliche usw., sind als Konsumenten jenen beiden Klassen und vorzugsweise der Kapitalistenklasse zuzuzählen. Diese Voraussetzung ist theoretischer Notbehelf - in Wirklichkeit gab und gibt es nirgends eine sich selbst genügende kapitalistische Gesellschaft mit ausschließlicher Herrschaft der kapitalistischen Produktion. Sie ist aber ein vollkommen zulässiger theoretischer Notbehelf dort, wo sie die Bedingungen des Problems selbst nicht alteriert, sondern sie bloß in ihrer Reinheit darstellen hilft. So bei der Analyse der einfachen Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Hier beruht das Problem selbst auf folgender Fiktion: In einer kapitalistisch produzierenden, also Mehrwert erzeugenden Gesellschaft wird der ganze Mehrwert von seinen Aneignern, der Kapitalistenklasse, konsumiert. Es ist darzustellen, wie sich unter diesen Bedingungen die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion gestalten muß. Hier setzt die Stellung des Problems selbst voraus, daß die Produktion keine anderen Konsumenten als Kapitalisten und Arbeiter kennt, sie befindet sich also in völliger Übereinstimmung mit der Marxschen Voraussetzung: allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. Die eine Fiktion deckt sich theoretisch mit der anderen. Ebenso zulässig ist die Annahme der absoluten Herrschaft des Kapitalismus bei der Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals, wie sie im ersten Bande des »Kapitals« gegeben ist. Die Reproduktion des Einzelkapitals ist das Element der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion. Aber ein Element, dessen Bewegung selbständig verläuft, im Widerspruch mit den Bewegungen der übrigen, und wobei die Gesamtbewegung des gesellschaftlichen Kapitals nicht etwa eine mechanische Summe der Einzelbewegungen der Kapitale, sondern ein eigenartig verschobenes Resultat ergibt. Stimmt auch die Wertsumme der Einzelkapitale sowie ihrer respektiven Teile: konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert, mit der Wertgröße des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, seiner beiden Bestandteile und des Gesamtmehrwerts aufs genaueste über- |298| ein, so fällt doch die sachliche Darstellung dieser Wertgröße in den respektiven Teilen des gesellschaftlichen Produkts mit der Sachverkörperung der Wertverhältnisse der Einzelkapitale völlig auseinander. Die Reproduktionsverhältnisse der Einzelkapitale decken sich somit in ihrer sachlichen Gestweder miteinander noch mit denen des Gesamtkapitals. Jedes Einzelkapital macht seine Zirkulation, also auch Akkumulation völlig auf eigene Faust durch und ist darin - bei normalem Verlauf des Zirkulationsprozesses - nur soweit von anderen abhängig, als es sein Produkt überhaupt realisieren und die für seine individuelle Betätigung erforderlichen Produktionsmittel vorfinden muß. Ob jene Realisierung und diese Produktionsmittel selbst an kapitalistisch produzierende Kreise gebunden sind oder nicht, ist für das Einzelkapital völlig gleichgültig. Umgekehrt ist die günstigste theoretische Voraussetzung für die Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals die Annahme, daß die kapitalistische Produktion das einzige Milieu dieses Prozesses darstellt, d.h. allgemeine und ausschließliche Herrschaft erreicht hat.(1)
Nun entsteht aber die Frage, ob wir die Voraussetzungen, die für das Einzelkapital maßgebend sind, auch bei dem Gesamtkapital als zulässig betrachten dürfen.
Daß Marx tatsächlich die Akkumulationsbedingungen des Gesamtkapitals mit denen des Einzelkapitals identifizierte, bestätigt er selbst ausdrücklich an folgender Stelle:
»Die Frage ist jetzt so zu formulieren: Allgemeine Akkumulation vorausgesetzt, d.h. vorausgesetzt, daß in allen trades das Kapital mehr oder minder akkumuliert, was in fact Bedingung der kapitalistischen Produktion und was ebensosehr der Trieb des Kapitalisten als Kapitalisten, wie es der Trieb des Schatzbildners, Geld aufzuhäufen (aber auch notwendig ist, damit die kapitalistische Produktion vorangehe) - was sind die Bedingungen dieser allgemeinen Akkumulation, worin löst sie sich auf?«
Und er antwortet: »Die Bedingungen für die Akkumulation des Kapitals also ganz dieselben, wie für seine ursprüngliche Produktion oder Reproduktion überhaupt. Diese Bedingungen aber waren, daß mit einem Teil des Geldes Arbeit |299| gekauft wurde, mit dem andern Waren (Rohmaterial und Maschinerie etc.).« »Die Akkumulation von neuem Kapital kann also nur unter denselben Bedingungen vor sich gehn wie die Reproduktion des schon vorhandnen Kapitals.«(2)
In Wirklichkeit sind die realen Bedingungen bei der Akkumulation des Gesamtkapitals ganz andere als bei dem Einzelkapital und als bei der einfachen Reproduktion. Das Problem beruht auf folgendem: Wie gestaltet sich die gesellschaftliche Reproduktion unter der Bedingung, daß ein wachsender Teil des Mehrwerts nicht von den Kapitalisten konsumiert, sondern zur Erweiterung der Produktion verwendet wird? Das Draufgehen des gesellschaftlichen Produkts, abgesehen von dem Ersatz des konstanten Kapitals, in der Konsumtion der Arbeiter und Kapitalisten ist hier von vornherein ausgeschlossen, und dieser Umstand ist das wesentlichste Moment des Problems. Damit ist aber auch ausgeschlossen, daß die Arbeiter und die Kapitalisten selbst das Gesamtprodukt realisieren können. Sie können stets nur das variable Kapital, den verbrauchten Teil des konstanten Kapitals und den konsumierten Teil des Mehrwerts selbst realisieren, auf diese Weise aber nur die Bedingungen für die Erneuerung der Produktion in früherem Umfang sichern. Der zu kapitalisierende Teil des Mehrwerts hingegen kann unmöglich von den Arbeitern und Kapitalisten selbst realisiert werden. Die Realisierung des Mehrwerts zu Zwecken der Akkumulation ist also in einer Gesellschaft, die nur aus Arbeitern und Kapitalisten besteht, eine unlösbare Aufgabe. Merkwürdigerweise gingen sämtliche Theoretiker, die das Problem der Akkumulation analysierten, von Ricardo und Sismondi bis Marx, gerade von dieser Voraussetzung aus, die die Lösung des Problems unmöglich machte. Das richtige Gefühl für die Notwendigkeit »dritter Personen«, d.h. Konsumenten außerhalb der unmittelbaren Agenten der kapitalistischen Produktion: der Arbeiter und Kapitalisten, zur Realisierung des Mehrwerts, führte zu allerlei Ausflüchten: zu der »unproduktiven Konsumtion«, die bei Malthus in der Person des feudalen Grundbesitzers, bei Woronzow in dem Militarismus, bei Struve in den »liberalen Berufen« und sonstigem Anhang der Kapitalistenklasse verkörpert ist, ferner zur Heranziehung des auswärtigen Handels, der bei allen Skeptikern der Akkumulation von Sismondi bis Nikolai-on als Sicherheitsventil eine hervorragende Rolle spielte. Zum andern Teil führte die Unlösbarkeit der Aufgabe zum Verzicht auf die Akkumulation, |300| wie bei v. Kirchmann und Rodbertus, oder wenigstens zur angeblichen Notwendigkeit, die Akkumulation möglichst zu dämpfen, wie bei Sismondi und dessen russischen Epigonen, den »Volkstümlern«.
Doch erst die tiefere Analyse und die exakte schematische Darstellung des Prozesses der Gesamtproduktion durch Marx, namentlich seine geniale Darstellung des Problems der einfachen Reproduktion, konnte den springenden Punkt des Akkumulationsproblems und die wunde Stelle der früheren Versuche seiner Lösung bloßlegen. Die Analyse der Akkumulation des Gesamtkapitals, die bei Marx abbricht, kaum daß sie begonnen hat, und die obendrein, wie erwähnt, durch die dem Problem ungünstige Polemik gegen die Smithsche Analyse beherrscht ist, hat direkt keine fertige Lösung gegeben, sie vielmehr gleichfalls durch die Voraussetzung von der Alleinherrschaft der kapitalistischen Produktionsweise erschwert. Aber gerade die ganze Analyse der einfachen Reproduktion bei Marx sowie die Charakteristik des kapitalistischen Gesamtprozesses mit dessen inneren Widersprüchen und ihrer Entfaltung (im dritten Bande des »Kapitals«) enthalten implicite eine Auflösung des Akkumulationsproblems, die sich mit den übrigen Teilen der Marxschen Lehre wie mit der historischen Erfahrung und der täglichen Praxis des Kapitalismus in Einklang befindet, und geben somit die Möglichkeit, das Unzureichende des Schemas zu ergänzen. Das Schema der erweiterten Reproduktion weist bei näherem Zusehen selbst in allen seinen Beziehungen über sich hinaus auf Verhältnisse, die außerhalb der kapitalistischen Produktion und Akkumulation liegen.
Wir haben bis jetzt die erweiterte Reproduktion nur von einer Seite betrachtet, nämlich von der Frage aus: Wie wird der Mehrwert realisiert? Dies war die Schwierigkeit, mit der sich die Skeptiker bis jetzt ausschließlich beschäftigten. Die Realisierung des Mehrwerts ist in der Tat die Lebensfrage der kapitalistischen Akkumulation. Sehen wir der Einfachheit halber ganz von dem Konsumtionsfonds der Kapitalisten ab, so erfordert die Realisierung des Mehrwerts als erste Bedingung einen Kreis von Abnehmern außerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Wir sagen: von Abnehmern und nicht: von Konsumenten. Denn die Realisierung des Mehrwerts besagt von vornherein gar nichts über die Sachgestdes Mehrwerts. Das Entscheidende ist, daß der Mehrwert weder durch Arbeiter noch durch Kapitalisten realisiert werden kann, sondern durch Gesellschaftsschichten oder Gesellschaften, die selbst nicht kapitalistisch produzieren. Es sind dabei zwei verschiedene Fälle denkbar. Die kapitalistische Produktion liefert Konsumtionsmittel über den eigenen (der Arbeiter und |301| Kapitalisten) Bedarf hinaus, deren Abnehmer nichtkapitalistische Schichten und Länder sind. Z.B. die englische Baumwollindustrie lieferte während der ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts (und liefert zum Teil jetzt) Baumwollstoffe an das Bauerntum und städtische Kleinbürgertum auf dem europäischen Kontinent, ferner an das Bauerntum in Indien, Amerika, Afrika usw. Hier war es die Konsumtion nichtkapitalistischer Schichten und Länder, die für die enorme Erweiterung der Baumwollindustrie in England die Basis bildete.(3) Für diese Baumwollindustrie aber entwickelte sich in England selbst eine ausgedehnte Maschinenindustrie, die Spindeln und Webstühle lieferte, ferner im Anschluß daran die Metall und Kohlenindustrie usw. In diesem Fall realisierte die Abteilung II (Konsumtionsmittel) in steigendem Maße ihre Produkte in außerkapitalistischen Gesellschaftsschichten, wobei sie ihrerseits durch die eigene Akkumulation eine steigende Nachfrage nach den einheimischen Produkten der Abteilung I (Produktionsmittel) schuf und dadurch dieser Abteilung zur Realisierung des Mehrwerts und zur steigenden Akkumulation verhalf.
Nehmen wir den umgekehrten Fall. Die kapitalistische Produktion liefert Produktionsmittel über den eigenen Bedarf hinaus und findet Abnehmer in nichtkapitalistischen Ländern. Z.B. die englische Industrie lieferte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Konstruktionsmaterial zum Eisenbahnbau in den amerikanischen und australischen Staaten. Der Eisenbahnbau bedeutet an sich noch lange nicht die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise in einem Lande. Tatsächlich waren die Eisenbahnen selbst in diesen Fällen nur eine der ersten Voraussetzungen für den Einzug der kapitalistischen Produktion. Oder die deutsche chemische Industrie liefert Produktionsmittel, wie Farbstoffe, die massenhaft Absatz finden in nicht kapitalistisch produzierenden Ländern in Asien, |302| Afrika usw.(4) Hier realisiert die Abteilung I der kapitalistischen Produktion ihre Produkte in außerkapitalistischen Kreisen. Die daraus entstehende fortschreitende Erweiterung der Abteilung I ruft im Lande der kapitalistischen Produktion eine entsprechende Erweiterung der Abteilung II hervor, die für die wachsende Armee der Arbeiter der Abteilung I Konsumtionsmittel liefert.
Jeder dieser Fälle unterscheidet sich von dem Marxschen Schema. In dem einen Fall übersteigt das Produkt der Abteilung II die Bedürfnisse der beiden Abteilungen, gemessen an variablem Kapital und dem konsumierten Teil des Mehrwerts beider; im zweiten Fall übersteigt das Produkt der Abteilung I die Größe des konstanten Kapitals beider Abteilungen, auch unter Berücksichtigung seiner Vergrößerung zu Zwecken der Erweiterung der Produktion. In beiden Fällen kommt der Mehrwert nicht in der Naturalgestzur Welt, die seine Kapitalisierung innerhalb einer der beiden Abteilungen ermöglichen und bedingen würde. - In Wirklichkeit kreuzen sich die beiden typischen Fälle auf jedem Schritte, ergänzen einander und schlagen ineinander um.
Ein Punkt scheint dabei unklar. Wenn z.B. ein Überschuß an Konsummitteln, sagen wir Baumwollstoffen, in nichtkapitalistischen Kreisen abgesetzt wird, so ist es klar, daß diese Baumwollstoffe als kapitalistische Ware nicht bloß Mehrwert, sondern konstantes und variables Kapital repräsentieren. Es scheint ganz willkürlich anzunehmen, gerade diese außerhalb der kapitalistischen Gesellschaftskreise abgesetzten Waren repräsentieren nichts als Mehrwert. Andererseits stellt sich heraus, daß in diesem Falle auch die andere Abteilung (I) nicht bloß ihren Mehrwert realisiert, sondern auch akkumulieren kann, ohne jedoch ihr Produkt außerhalb der beiden Abteilungen der kapitalistischen Produktion abzusetzen. Beide Einwände sind indes nur scheinbar, sie erledigen sich durch die proportionelle Wertdarstellung der Produktmasse in ihren entsprechenden Teilen. Unter der kapitalistischen Produktion enthält nicht bloß das Gesamtprodukt, sondern auch jede einzelne Ware Mehrwert. Das hindert aber nicht, daß, wie der Einzelkapitalist beim sukzessiven Verkauf seiner speziellen Warenmasse, erst den Ersatz seines ausgelegten konstanten Kapitals, dann des variablen Kapitals (oder unrichtiger, aber der Praxis entsprechend: erst seines fixen, dann seines zirkulierenden Kapitals) berechnet, um den Resterlös als seinen Profit zu buchen, auch das gesellschaftliche Gesamtprodukt in drei proportionelle Teile abgesondert |303| werden kann, die ihrem Werte nach dem in der Gesellschaft verbrauchten konstanten Kapital, dem variablen Kapital und dem ausgepreßten Mehrwert entsprechen. Bei der einfachen Reproduktion entspricht diesen Wertproportionen auch die sachliche Gestdes Gesamtprodukts: Das konstante Kapital erscheint in Gestvon Produktionsmitteln wieder, das variable in Gestvon Lebensmitteln für Arbeiter, der Mehrwert in Gestvon Lebensmitteln für Kapitalisten. Indes ist die einfache Reproduktion in diesem kategorischen Sinne - Verzehr des ganzen Mehrwerts durch die Kapitalisten -, wie wir wissen, theoretische Fiktion. Was die erweiterte Reproduktion oder Akkumulation betrifft, so besteht nach dem Marxschen Schema auch hier eine strenge Proportionalität zwischen der Wertzusammensetzung des gesellschaftlichen Produkts und seiner sachlichen Gestalt: Der Mehrwert kommt in seinem zur Kapitalisierung bestimmten Teil von vornherein in der proportionellen Einteilung von sachlichen Produktionsmitteln und Lebensmitteln für Arbeiter zur Welt, die der Erweiterung der Produktion auf gegebener technischer Basis entsprechen. Diese Auffassung, die auf der Selbstgenügsamkeit und Isoliertheit der kapitalistischen Produktion fußt, scheitert jedoch, wie wir gesehen, schon an der Realisierung des Mehrwerts. Nehmen wir aber an, der Mehrwert werde außerhalb der kapitalistischen Produktion realisiert, so ist damit gegeben, daß seine sachliche Gestmit den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktion selbst nichts zu tun hat. Seine sachliche Gestentspricht den Bedürfnissen jener nichtkapitalistischen Kreise, die ihn realisieren helfen. Der kapitalistische Mehrwert kann deshalb - je nachdem in Form von Konsumtionsmitteln, so z.B. als Baumwollstoffe, oder in Form von Produktionsmitteln, so z.B. als Eisenbahnmaterial, zur Welt kommen. Daß dabei dieser in Gestvon Produkten der einen Abteilung realisierte Mehrwert bei der darauffolgenden Produktionserweiterung auch den Mehrwert der anderen Abteilung realisieren hilft, ändert nichts an der Tatsache, daß der gesellschaftliche Mehrwert als Ganzes zum Teil direkt, zum Teil indirekt außerhalb der beiden Abteilungen realisiert worden ist. Diese Tatsache fällt unter denselben Gesichtspunkt unter dem der Einzelkapitalist seinen Mehrwert realisieren kann, auch wenn seine ganze Ware nur erst das variable oder das konstante Kapital eines anderen Kapitalisten ersetzt.
Die Realisierung des Mehrwerts ist indes nicht das einzige Moment der Reproduktion, auf das es ankommt. Nehmen wir an, die Abteilung I habe den Mehrwert auswärts (außerhalb der beiden Abteilungen) abgesetzt und könnte die Akkumulation ins Werk setzen. Nehmen wir ferner an, sie |304| habe Aussicht auf neue Vergrößerung des Absatzes in jenen Kreisen. Damit ist jedoch erst die Hälfte der Bedingungen zur Akkumulation gegeben. Zwischen Lipp' und Kelchesrand kann noch manches passieren. Jetzt stellt sich nämlich als zweite Voraussetzung der Akkumulation die Notwendigkeit ein, entsprechende sachliche Elemente der Produktionserweiterung vorzufinden. Wo nehmen wir die her, da wir soeben das Mehrprodukt gerade in Gestder Produkte I, d.h. als Produktionsmittel, in Geld verwandelt, und zwar außerhalb der kapitalistischen Produktion abgesetzt haben? Die Transaktion, die uns zur Realisierung des Mehrwerts verholfen, hat uns gleichsam durch die andere Tür die Voraussetzungen zur Verwandlung dieses realisierten Mehrwerts in die Gestdes produktiven Kapitals entführt. Und so scheint es, daß wir vom Regen in die Traufe gekommen sind. Sehen wir näher zu.
Wir operieren hier mit dem c sowohl in der Abteilung I wie in der Abteilung II, wie wenn es der gesamte konstante Kapitalteil der Produktion wäre. Dies ist aber, wie wir wissen, falsch. Nur der Einfachheit des Schemas halber ist hier davon abgesehen worden, daß das c, welches in der I. und II. Abteilung des Schemas figuriert, bloß ein Teil des gesamten konstanten Kapitals ist, nämlich der jährlich zirkulierende, in der Produktionsperiode aufgezehrte, auf die Produkte übertragene Teil. Es wäre aber total absurd, anzunehmen, die kapitalistische Produktion (und auch jede beliebige) würde in jeder Produktionsperiode ihr gesamtes konstantes Kapital aufbrauchen und es in jeder Periode von neuem schaffen. Im Gegenteil, im Hintergrund der Produktion, wie sie im Schema dargestellt, ist die ganze große Masse von Produktionsmitteln vorausgesetzt, deren periodische Gesamterneuerung im Schema durch die jährliche Erneuerung des aufgebrauchten Teils angedeutet ist. Mit der Steigerung der Produktivität der Arbeit und der Erweiterung des Produktionsumfangs wächst diese Masse nicht nur absolut, sondern auch relativ zu dem Teil, der jeweilig in der Produktion konsumiert wird. Damit wächst aber auch die potentielle Wirksamkeit des konstanten Kapitals. Für die Erweiterung der Produktion kommt zunächst die stärkere Anspannung dieses Teils des konstanten Kapitals ohne dessen direkte Wertvergrößerung in Betracht.
»In der extraktiven Industrie, den Bergwerken z.B., bilden die Rohstoffe keinen Bestandteil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier nicht Produkt vorhergegangner Arbeit, sondern von der Natur gratis geschenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc. Hier besteht das konstante Kapital fast ausschließlich in Arbeitsmitteln, die ein vermehrtes Arbeitsquantum sehr gut vertragen können (Tag- und Nacht- |305| schicht von Arbeitern z.B.). Alle andern Umstände gleichgesetzt, wird aber Masse und Wert des Produkts steigen in direktem Verhältnis der angewandten Arbeit. Wie am ersten Tag der Produktion, gehn hier die ursprünglichen Produktionsbildner, daher auch die Bildner der stofflichen Elemente des Kapitals, Mensch und Natur, zusammen. Dank der Elastizität der Arbeitskraft hat sich das Gebiet der Akkumulation erweitert ohne vorherige Vergrößerung des konstanten Kapitals.
In der Agrikultur kann man das bebaute Land nicht ausdehnen ohne Vorschuß von zusätzlichem Samen und Dünger. Aber dieser Vorschuß einmal gemacht, übt selbst die rein mechanische Bearbeitung des Bodens eine wundertätige Wirkung auf die Massenhaftigkeit des Produkts. Eine größere Arbeitsmenge, geleistet von der bisherigen Anzahl Arbeiter, steigert so die Fruchtbarkeit, ohne neuen Vorschuß an Arbeitsmitteln zu erfordern. Es ist wieder direkte Wirkung des Menschen auf die Natur, welche zur unmittelbaren Quelle gesteigerter Akkumulation wird, ohne Dazwischenkunft eines neuen Kapitals.
Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusätzliche Ausgabe an Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen voraus, aber nicht notwendig auch an Arbeitsmitteln. Und da die extraktive Industrie und Agrikultur der fabrizierenden Industrie ihre eignen Rohstoffe und die ihrer Arbeitsmittel liefern, kommt dieser auch der Produktenzuschuß zugute, den jene ohne zusätzlichen Kapitalzuschuß erzeugt haben.
Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.«(5)
Ferner aber ist es gar nicht einzusehen, weshalb alle erforderlichen Produktionsmittel und Konsummittel nur kapitalistisch hergestellt werden müßten. Gerade diese Annahme liegt zwar dem Marxschen Schema der Akkumulation zugrunde, sie entspricht aber weder der täglichen Praxis und der Geschichte des Kapitals noch dem spezifischen Charakter dieser Produktionsweise. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam der Mehrwert in England zu einem großen Teil in Gestvon Baumwollstoffen aus dem Produktionsprozeß hervor. Die sachlichen Elemente seiner Kapitalisierung aber stellten ihrerseits als Rohbaumwolle aus den |306| Sklavenstaaten der amerikanischen Union oder als Getreide (Lebensmittel für die englischen Arbeiter) aus den Gefilden des leibeigenen Rußlands zwar sicher Mehrprodukt, aber durchaus nicht kapitalistischen Mehrwert dar. Wie sehr die kapitalistische Akkumulation von diesen nichtkapitalistisch produzierten Produktionsmitteln abhängig ist, beweist die Baumwollkrisis in England infolge der Unterbrechung der Plantagenkultur durch den amerikanischen Sezessionskrieg oder die Krisis in der europäischen Leinwandweberei infolge der Unterbrechung der Zufuhr von Flachs aus dem leibeigenen Rußland durch den Orientkrieg. Man braucht sich im übrigen nur an die Rolle zu erinnern, welche die Zufuhr des bäuerlichen, also nicht kapitalistisch produzierten Getreides für die Ernährung der Masse der Industriearbeiter in Europa (d.h. als Element des variablen Kapitals) spielt, um einzusehen, wie sehr die Kapitalakkumulation in ihren sachlichen Elementen tatsächlich an nichtkapitalistische Kreise gebunden ist.
Der Charakter selbst der kapitalistischen Produktion schließt übrigens die Beschränkung auf kapitalistisch produzierte Produktionsmittel aus. Ein wesentliches Mittel im Drange des Einzelkapitals nach Erhöhung der Profitrate ist das Bestreben nach Verbilligung der Elemente des konstanten Kapitals. Die unaufhörliche Steigerung der Produktivität der Arbeit andererseits als die wichtigste Methode zur Steigerung der Mehrwertrate schließt die schrankenlose Nutzbarmachung aller von der Natur und der Erde zur Verfügung gestellten Stoffe und Bedingungen ein und ist an eine solche gebunden. Das Kapital verträgt in dieser Hinsicht seinem Wesen und seiner Daseinsweise nach keine Einschränkung. Die kapitalistische Produktionsweise als solche umfaßt bis jetzt, nach mehreren Jahrhunderten ihrer Entwicklung, erst noch einen Bruchteil der Gesamtproduktion der Erde, ihr Sitz ist bisher vorzugsweise das kleine Europa, in dem sie auch noch ganzer Gebiete - wie der bäuerlichen Landwirtschaft, des selbständigen Handwerks - und großer Landstrecken nicht Herr geworden ist, ferner große Teile Nordamerikas und einzelne Strecken auf dem Kontinent der übrigen Weltteile. Im allgemeinen ist die kapitalistische Produktionsweise bisher vorwiegend auf das Gewerbe in den Ländern der |307| gemäßigten Zone beschränkt, während sie z.B. im Orient und im Süden verhältnismäßig geringe Fortschritte gemacht hat. Wäre sie demnach ausschließlich auf die in diesen engen Grenzen erreichbaren Produktionselemente angewiesen, dann wäre ihre jetzige Höhe, ja ihre Entwicklung überhaupt eine Unmöglichkeit gewesen. Die kapitalistische Produktion ist von Anbeginn in ihren Bewegungsformen und -gesetzen auf die gesamte Erde als Schatzkammer der Produktivkräfte berechnet. In seinem Drange nach Aneignung der Produktivkräfte zu Zwecken der Ausbeutung durchstöbert das Kapital die ganze Welt, verschafft sich Produktionsmittel aus allen Winkeln der Erde, errafft oder erwirbt sie von allen Kulturstufen und Gesellschaftsformen. Die Frage nach den sachlichen Elementen der Kapitalakkumulation, weit entfernt, durch die sachliche Gestdes kapitalistisch produzierten Mehrwerts bereits gelöst zu sein, verwandelt sich vielmehr in eine ganz andere Frage: Zur produktiven Verwendung des realisierten Mehrwerts ist erforderlich, daß das Kapital fortschreitend immer mehr den gesamten Erdball zur Verfügung hat, um in seinen Produktionsmitteln quantitativ und qualitativ unumschränkte Auswahl zu haben.
Plötzliche Inangriffnahme neuer Rohstoffgebiete in unumschränktem Maße, sowohl um allen eventuellen Wechselfällen und Unterbrechungen in der Zufuhr der Rohstoffe aus alten Quellen wie allen plötzlichen Erweiterungen des gesellschaftlichen Bedarfs gewachsen zu sein, ist eine der unumgänglichsten Vorbedingungen des Akkumulationsprozesses in seiner Elastizität und Sprunghaftigkeit. Als der Sezessionskrieg die Zufuhr der amerikanischen Baumwolle nach England unterbrochen und im Distrikte Lancashire den berühmten »Baumwollhunger« hervorgerufen hatte, entstanden wie durch Zauber in kürzester Zeit neue gewaltige Baumwollplantagen in Ägypten. Hier war es die orientalische Despotie, verbunden mit dem uralten Fronverhältnis, die dem europäischen Kapital das Wirkungsgebiet geschaffen hatte. Nur das Kapital mit seinen technischen Mitteln vermag solche wunderbaren Umwälzungen in so kurzer Frist hervorzuzaubern. Aber nur auf vorkapitalistischem Boden primitiverer sozialer Verhältnisse vermag es solche Kommandogewüber sachliche und menschliche Produktivkräfte zu entfalten, die zu jenen Wundern gehören. Ein anderes Beispiel dieser Art ist die enorme Steigerung des Weltverbrauchs an Kautschuk, der gegenwärtig einer regelmäßigen Lieferung von Rohgummi im Werte von einer Milliarde Mark jährlich gleichkommt. Die wirtschaftliche Basis dieser Rohstofferzeugung sind die vom europäischen Kapital praktizierten primitiven Ausbeutungssysteme in den afrikanischen |308| Kolonien sowie in Amerika, die verschiedene Kombinationen von Sklaverei und Fronverhältnis darstellen.(6)
Wohlgemerkt muß hervorgehoben werden, daß, wenn wir oben annahmen, die erste oder die zweite Abteilung realisiere im nichtkapitalistischen Milieu nur ihr Mehrprodukt, wir dabei den für die Nachprüfung des Marxschen Schemas günstigsten Fall nahmen, der die Beziehungen der Reproduktion in ihrer Reinheit zeigt. In Wirklichkeit zwingt uns nichts zu der Annahme, daß nicht auch ein Teil des konstanten und variablen Kapitals im Produkt der entsprechenden Abteilung außerhalb der kapitalistischen Kreise realisiert wird. Hintennach mag sowohl die Erweiterung der Produktion wie auch zum Teil die Erneuerung der verbrauchten Produktionselemente in ihrer Sachgestdurch Produkte nichtkapitalistischer Kreise vorgenommen werden. Was durch die obigen Beispiele klargemacht werden sollte, ist die Tatsache, daß zum mindesten der zu kapitalisierende Mehrwert und der ihm entsprechende Teil der kapitalistischen Produktenmasse unmöglich innerhalb der kapitalistischen Kreise realisiert werden kann und unbedingt außerhalb dieser Kreise, in nichtkapitalistisch produzierenden Gesellschaftsschichten und -formen, seine Abnehmer suchen muß.
So liegen zwischen je einer Produktionsperiode, in der Mehrwert produziert, und der darauffolgenden Akkumulation, in der er kapitalisiert wird, zwei verschiedene Transaktionen - die Verwandlung des Mehrwerts in seine reine Wertform, die Realisierung, und die Verwandlung dieser reinen Wertgestin produktive Kapitalgest-, die beide zwischen der kapitalistischen Produktion und der sie umgebenden nichtkapitalistischen Welt vor sich gehen. So ist von beiden Standpunkten: der Realisierung des Mehrwerts wie der Beschaffung der Elemente des konstanten Kapitals, von vornherein der Weltverkehr eine historische Existenzbedingung des Kapitalismus, Weltverkehr der in den gegebenen konkreten Verhältnissen wesentlich ein Austausch zwischen der kapitalistischen und den nichtkapitalistischen Produktionsformen ist.
Bis jetzt haben wir die Akkumulation nur vom Standpunkt des Mehrwerts und des konstanten Kapitals betrachtet. Das dritte grundlegende |309| Moment der Akkumulation ist das variable Kapital. Die fortschreitende Akkumulation ist begleitet von zunehmendem variablem Kapital. Im Marxschen Schema erscheint als seine entsprechende sachliche Gestim gesellschaftlichen Produkt eine wachsende Menge von Lebensmitteln für die Arbeiter. Das wirkliche variable Kapital sind aber nicht die Lebensmittel der Arbeiter, sondern die lebendige Arbeitskraft, für deren Reproduktion die Lebensmittel notwendig sind. Zu den Grundbedingungen der Akkumulation gehört also eine ihren Bedürfnissen angepaßte Zufuhr lebendiger Arbeit, die vom Kapital in Bewegung gesetzt wird. Zum Teil wird die Vergrößerung dieser Menge - soweit die Verhältnisse erlauben - durch Verlängerung des Arbeitstages und Intensivierung der Arbeit erreicht. Allein in beiden Fällen äußert sich diese Vermehrung der lebendigen Arbeit nicht oder nur in geringem Maße (als Überstundenlohn) im Wachstum des variablen Kapitals. Beide Methoden linden außerdem teils in natürlichen, teils in sozialen Widerständen ihre bestimmten, ziemlich engen Schranken, über die sie nicht hinausgehen können. Das fortschreitende Wachstum des variablen Kapitals, das die Akkumulation begleitet, muß also in einer zunehmenden Zahl beschäftigter Arbeitskräfte Ausdruck finden. Wo kommen diese zuschüssigen Arbeitskräfte her?
Bei der Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals beantwortet Marx die Frage folgendermaßen: »Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital ist fertig.«(7) |310| Hier wird der Zuwachs des variablen Kapitals lediglich und direkt auf die natürliche Vermehrung der bereits vom Kapital kommandierten Arbeiterklasse durch Fortpflanzung reduziert. Dies entspricht auch genau dem Schema der erweiterten Reproduktion, das nach der Marxschen Voraussetzung die Kapitalisten und Arbeiter als einzige Gesellschaftsklassen, die kapitalistische Produktion als einzige und absolute Produktionsweise kennt. Unter diesen Voraussetzungen ist die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse die einzige Quelle der Vermehrung der vorhandenen Arbeitskräfte unter dem Kommando des Kapitals. Indes widerspricht diese Auffassung den Bewegungsgesetzen der Akkumulation. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiter steht weder zeitlich noch quantitativ im Verhältnis zu den Bedürfnissen des akkumulierenden Kapitals. Insbesondere vermag sie nicht, wie Marx das selbst glänzend dargelegt hat, mit den plötzlichen Expansionsbedürfnissen des Kapitals Schritt zu halten. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse als einzige Basis der Bewegungen des Kapitals würde den Fortgang der Akkumulation in periodischem Wechsel der Überspannung und der Ermattung sowie in sprungweiser Ausdehnung des Produktionsfeldes ausschließen und damit die Akkumulation selbst unmöglich machen. Letztere erfordert ebenso schrankenlose Bewegungsfreiheit in bezug auf das Wachstum des variablen Kapitals wie in bezug auf die Elemente des konstanten Kapitals, also schrankenlose Verfügungsmöglichkeit über die Zufuhr von Arbeitskraft. Nach der Marxschen Analyse findet dieses Erfordernis einen exakten Ausdruck in der Bildung der »industriellen Reservearmee der Arbeiter«. Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion kennt freilich eine solche nicht und läßt auch keinen Raum für sie übrig. Die industrielle Reservearmee kann nämlich durch die natürliche Fortpflanzung des kapitalistischen Lohnproletariats nicht gebildet werden. Sie muß andere soziale Reservoirs haben, aus denen ihr die Arbeitskraft zufließt - Arbeitskraft, die bis dahin noch nicht unter dem Kommando des Kapitals stand und erst nach Bedarf dem Lohnproletariat zugefügt wird. Diese zuschüssigen Arbeitskräfte kann die kapitalistische Produktion nur aus nichtkapitalistischen Schichten und Ländern ständig beziehen. In seiner Analyse der industriellen Re- |311| servearmee (Das Kapital, Band I, Kapitel 23, 3) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S.650-677.] berücksichtigt Marx freilich nur 1. die Verdrängung älterer Arbeiter durch die Maschinerie, 2. den Zuzug ländlicher Arbeiter in die Stadt als Folge der Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der Agrikultur, 3. die von der Industrie ausrangierten Arbeitskräfte mit unregelmäßiger Beschäftigung, endlich 4. als den tiefsten Niederschlag der relativen Übervölkerung - den Pauperismus. Alle diese Kategorien stellen in verschiedener Form selbst schon Ausscheidungsprodukte der kapitalistischen Produktion dar, in dieser oder jener Form verbrauchte und überzählig gemachte Lohnproletarier. Auch die in die Stadt ständig ziehenden Landarbeiter sind bei Marx Lohnproletarier, die früher schon unter dem Kommando des agrikolen Kapitals standen und nunmehr bloß unter die Botmäßigkeit des industriellen Kapitals kommen. Marx hatte dabei augenscheinlich englische Verhältnisse auf hoher Stufe der kapitalistischen Entwicklung im Auge. Hingegen behandelt er in diesem Zusammenhang nicht die Frage, woher dieses städtische und ländliche Proletariat beständig zufließt, berücksichtigt nicht die in den europäischen Verhältnissen des Kontinents wichtigste Quelle dieses Zuflusses: die ständige Proletarisierung der ländlichen und städtischen Mittelschichten, den Verfall der bäuerlichen Wirtschaft und des handwerksmäßigen Kleingewerbes, also gerade den ständigen Übergang der Arbeitskräfte aus nichtkapitalistischen Verhältnissen in kapitalistische, als Ausscheidungsprodukt nicht der kapitalistischen, sondern vorkapitalistischer Produktionsweisen in dem fortschreitenden Prozeß ihres Zusammenbruchs und ihrer Auflösung. Hierher gehört aber nicht bloß die Zersetzung der europäischen Bauernwirtschaft und des Handwerks, sondern auch die Zersetzung der verschiedensten primitiven Produktions- und Gesellschaftsformen in außereuropäischen Ländern.
Sowenig die kapitalistische Produktion sich auf die Naturschätze und Produktivkräfte der gemäßigten Zone beschränken kann, vielmehr zu ihrer Entfaltung der Verfügungsmöglichkeit über alle Erdstriche und Klimate bedarf, sowenig kann sie mit der Arbeitskraft der weißen Rasse allein auskommen. Das Kapital braucht zur Nutzbarmachung von Erdstrichen, in denen die weiße Rasse arbeitsunfähig ist, andere Rassen, es braucht überhaupt die unumschränkte Verfügungsmöglichkeit über alle Arbeitskräfte des Erdrunds, um mit ihnen alle Produktivkräfte der Erde - soweit dies in den Schranken der Mehrwertproduktion möglich - mobil zu machen. Diese Arbeitskräfte findet es aber meist in festen Banden überkommener vorkapitalistischer Produktionsverhältnisse, aus denen sie erst »befreit« |312| werden müssen, um in die tätige Armee des Kapitals enrolliert zu werden. Der Prozeß der Ausscheidung der Arbeitskräfte aus primitiven sozialen Verhältnissen und ihr Aufsaugen durch das kapitalistische Lohnsystem ist eine der unumgänglichen historischen Grundlagen des Kapitalismus. Die englische Baumwollindustrie als erster echt kapitalistischer Produktionszweig wäre unmöglich nicht bloß ohne die Baumwolle der Südstaaten der nordamerikanischen Union, sondern auch ohne die Millionen Afrikaneger, die nach Amerika verpflanzt wurden, um die Arbeitskräfte für die Plantagen zu liefern, und nach dem Sezessionskriege als freies Proletariat der kapitalistischen Lohnarbeiterklasse zugewachsen sind.(8) Die Wichtigkeit des Bezuges von erforderlichen Arbeitskräften aus nichtkapitalistischen Gesellschaften wird dem Kapital sehr fühlbar in der Form der sogenannten Arbeiterfrage in den Kolonien. Der Lösung dieser Frage dienen alle möglichen Methoden der »sanften Gewalt«, um die anderen sozialen Autoritäten und Produktionsbedingungen untergeordneten Arbeitskräfte von diesen loszulösen und dem Kommando des Kapitals zu unterstellen. Aus diesem Bestreben ergeben sich in den Kolonialländern die seltsamsten Mischformen zwischen modernem Lohnsystem und primitiven Herrschaftsverhältnissen.(9) Diese illustrieren handgreiflich die Tat- |313| sache, daß die kapitalistische Produktion ohne Arbeitskräfte aus anderen sozialen Formationen nicht auszukommen vermag.
Marx behandelt freilich eingehend sowohl den Prozeß der Aneignung nichtkapitalistischer Produktionsmittel wie den Prozeß der Verwandlung des Bauerntums in kapitalistisches Proletariat. Das ganze 24. Kapitel im ersten Band des »Kapitals« ist der Schilderung der Entstehung des englischen Proletariats, der agrikolen kapitalistischen Pächterklasse sowie des industriellen Kapitals gewidmet. Eine hervorragende Rolle im letzteren Vorgang spielt in der Marxschen Schilderung die Ausplünderung der Kolonialländer durch das europäische Kapital. Dies alles aber wohlgemerkt nur unter dem Gesichtswinkel der sogenannten »primitiven Akkumulation«. Die angegebenen Prozesse illustrieren bei Marx nur die Genesis, die Geburtsstunde des Kapitals, sie bezeichnen die Geburtswehen bei dem Heraustreten der kapitalistischen Produktionsweise aus dem Schoße der feudalen Gesellschaft. Sobald er die theoretische Analyse des Kapitalprozesses gibt - Produktion wie Zirkulation -, kehrt er ständig zu seiner Voraussetzung: allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktion, zurück.
Wir sehen jedoch, daß der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife in |314| jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist. Dieses Verhältnis erschöpft sich nicht durch die nackte Frage des Absatzmarktes für das »überschüssige Produkt«, wie das Problem von Sismondi und den späteren Kritikern und Zweiflern der kapitalistischen Akkumulation gestellt wurde. Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist durch alle seine Wertbeziehungen und Sachbeziehungen: konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert an nichtkapitalistische Produktionsformen gebunden. Letztere bilden das gegebene historische Milieu jenes Prozesses. Die Kapitalakkumulation kann so wenig unter der Voraussetzung der ausschließlichen und absoluten Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt werden, daß sie vielmehr ohne das nichtkapitalistische Milieu in jeder Hinsicht undenkbar ist. Freilich zeigten Sismondi und seine Nachfolger einen richtigen Instinkt für die Daseinsbedingungen der Akkumulation, wenn sie deren Schwierigkeiten einzig und allein auf die Realisierung des Mehrwerts reduzierten. Zwischen den Bedingungen dieser letzteren und den Bedingungen der Erweiterung des konstanten und des variablen Kapitals in ihrer Sachgestbesteht ein wichtiger Unterschied. Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte des gesamten Erdballes nicht auskommen, zur ungehinderten Entfaltung seiner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Arbeitskräfte aller Erdstriche. Da diese sich tatsächlich in überwiegender Mehrzahl in den Banden vorkapitalistischer Produktionsformen befinden - dies das geschichtliche Milieu der Kapitalakkumulation -, so ergibt sich daraus der ungestüme Drang des Kapitals, sich jener Erdstriche und Gesellschaften zu bemächtigen. An sich wäre der kapitalistischen Produktion z.B. auch mit kapitalistisch betriebenen Kautschukplantagen, wie sie z.B. in Indien bereits angelegt sind, gedient. Aber die tatsächliche Vorherrschaft nichtkapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse in den Ländern jener Produktionszweige ergibt für das Kapital die Bestrebung, jene Länder und Gesellschaften unter seine Botmäßigkeit zu bringen, wobei die primitiven Verhältnisse allerdings so außerordentlich rasche und gewaltsame Griffe der Akkumulation ermöglichen, wie sie unter rein kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen ganz undenkbar wären.
Anders die Realisierung des Mehrwerts. Diese ist von vornherein an nichtkapitalistische Produzenten und Konsumenten als solche gebunden. Die Existenz nichtkapitalistischer Abnehmer des Mehrwerts ist also direkte Lebensbedingung für das Kapital und seine Akkumulation, insofern also der entscheidende Punkt im Problem der Kapitalakkumulation.
|315| Ob aber so oder anders, faktisch ist die Kapitalakkumulation als geschichtlicher Prozeß in allen ihren Beziehungen auf nichtkapitalistische Gesellschaftsschichten und -formen angewiesen.
Die Lösung des Problems, um das sich die Kontroverse in der Nationalökonomie fast über ein ganzes Jahrhundert zieht, liegt also zwischen den beiden Extremen: zwischen der kleinbürgerlichen Skepsis der Sismondi, v. Kirchmann, Woronzow, Nikolai-on, die die Akkumulation für unmöglich erklärten, und dem rohen Optimismus Ricardo-Say-Tugan-Baranowskis, für die der Kapitalismus sich selbst schrankenlos befruchten kann, ergo - was nur eine logische Konsequenz - von ewiger Dauer ist. Die Lösung liegt, im Sinne der Marxschen Lehre, in dem dialektischen Widerspruch, daß die kapitalistische Akkumulation zu ihrer Bewegung nichtkapitalistischer sozialer Formationen als ihrer Umgebung bedarf, in ständigem Stoffwechsel mit ihnen vorwärtsschreitet und nur so lange existieren kann, als sie dieses Milieu vorfindet.
Von hier aus können die Begriffe des inneren und auswärtigen Absatzmarktes, die im theoretischen Streit um das Problem der Akkumulation eine so hervorragende Rolle gespielt haben, revidiert werden. Innerer und äußerer Markt spielen gewiß eine große und grundverschiedene Rolle im Gang der kapitalistischen Entwicklung, jedoch nicht als Begriffe der politischen Geographie, sondern als die der sozialen Ökonomie. Innerer Markt vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist kapitalistischer Markt, ist diese Produktion selbst als Abnehmerin ihrer eigenen Produkte und Bezugsquelle ihrer eigenen Produktionselemente. Äußerer Markt für das Kapital ist die nichtkapitalistische soziale Umgebung, die seine Produkte absorbiert und ihm Produktionselemente und Arbeitskräfte liefert. Von diesem Standpunkt, ökonomisch, sind Deutschland und England in ihrem gegenseitigen Warenaustausch füreinander meist innerer, kapitalistischer Markt, während der Austausch zwischen der deutschen Industrie und den deutschen bäuerlichen Konsumenten wie Produzenten für das deutsche Kapital auswärtige Marktbeziehungen darstellt. Wie aus dem Schema der Reproduktion ersichtlich, sind dies strenge, exakte Begriffe. Im innern kapitalistischen Verkehr können im besten Fall nur bestimmte Wertteile des gesellschaftlichen Gesamtprodukts realisiert werden: das verbrauchte konstante Kapital, das variable Kapital und der konsumierte Teil des Mehrwerts; hingegen muß der zur Kapitalisierung bestimmte Teil des Mehrwerts »auswärts« realisiert werden. Ist die Kapitalisierung des Mehrwerts der eigentliche Zweck und das treibende Motiv der Produktion, so ist andererseits die Erneuerung des konstanten und variablen Kapitals (so- |316| wie des konsumierten Teils des Mehrwerts) die breite Basis und die Vorbedingung jener. Und wird mit der internationalen Entwicklung des Kapitalismus die Kapitalisierung des Mehrwerts immer dringender und prekärer, so wird die breite Basis des konstanten und variablen Kapitals als Masse absolut und im Verhältnis zum Mehrwert immer gewaltiger. Daher die widerspruchsvolle Erscheinung, daß die alten kapitalistischen Länder füreinander immer größeren Absatzmarkt darstellen, füreinander immer unentbehrlicher werden und zugleich einander immer eifersüchtiger als Konkurrenten in Beziehungen mit nichtkapitalistischen Ländern bekämpfen.(10) Die Bedingungen der Kapitalisierung des Mehrwerts und die Bedingungen der Erneuerung des Gesamtkapitals treten miteinander immer mehr in Widerspruch, der übrigens nur ein Reflex des widerspruchsvollen Gesetzes der fallenden Profitrate ist.
Fußnoten von Rosa Luxemburg
(1) »Je größer das Kapital, je entwickelter die Produktivität der Arbeit, überhaupt die Stufenleiter der kapitalistischen Produktion, um so größer auch die Masse der Waren, die sich in dem Übergang aus der Produktion in die Konsumtion (individuelle und industrielle), in Zirkulation, auf dem Markt befinden, und um so größer die Sicherheit für jedes besondre Kapital, seine Reproduktionsbedingungen fertig auf dem Markt vorzufinden.« (Marx: Theorien über den Mehrwert, Bd. II, Teil 2, S. 251.) [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 484.] <=
(2) Theorien über den Mehrwert, Bd. II, Teil 2, S. 250, »Akkumulation von Kapital und Krisen«. Hervorgehoben bei Marx. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 483, 484 u. 485.] <=
(3) Dir Wichtigkeit der Baumwollindustrie für den englischen Export ist aus folgenden Zahlen ersichtlich:
1893: Gesamtexport von Fabrikaten 5.540 Mill. Mark; davon Baumwollwaren 1.280 Mill. Mark = 23 Prozent, Eisen- und sonstige Metallwaren nicht ganz 17 Prozent.
1898: Gesamtexport von Fabrikaten 4.668 Mill. Mark; davon Baumwollwaren 1.300 Mill. Mark = 28 Prozent, Eisen- und Metallwaren 22 Prozent.
Verglichen damit ergeben die Zahlen für das Deutsche Reich
1898 Gesamtexport 4.010 Mill. Mark; davon Baumwollwaren 231,9 Mill Mark = 53/4 Prozent.
Die Länge der 1898 exportierten Baumwollstückware betrug 51/4 Milliarden Yards, vor denen 21/4 Milliarden nach Vorderindien gingen. (E. Jaffé: Die englische Baumwollindustrie und die Organisation des Exporthandels. In: Schmollers Jahrbücher [Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft], XXIV. Jg., S. 1033.)
1908 betrug die britische Ausfuhr an Baumwollgarn allein 262 Mill. Mark. (Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1910.) <=
(4) Von den deutschen Teerfarbstoffen geht z.B. ein Fünftel, vom Indigo die Hälfte nach Ländern wie China, Japan, Britisch-Indien, Ägypten, asiatische Türkei, Brasilien, Mexiko. <=
(5) Das Kapital, Bd. I, S. 567. [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 630/631.] <=
(6) Die jüngsten Enthüllungen des englischen Blaubuchs über die Praxis der Peruvian Amazon Co. Ltd. in Putumayo haben gezeigt, daß das internationale Kapital sogar ohne die politische Form der Kolonialherrschaft, auf dem Gebiet der freien Republik Peru, die Eingeborenen in ein an Sklaverei grenzendes Verhältnis zu sich zu bringen weiß, um dadurch Produktionsmittel aus primitiven Ländern im Raubbau größten Stils an sich zu raffen. Seit 1900 hatte die genannte Gesellschaft englischer und exotischer Kapitalisten etwa 4.000 Tonnen Putumayokautschuk auf den Londoner Markt geworfen. In der gleichen Zeit sind 30.000 Eingeborene umgebracht und von den 10.000 Überlebenden die Mehrzahl zu Krüppeln geschlagen worden. <=
(7) Das Kapital, Bd. I, S. 544. [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 607.] Ähnlich an einer anderen Stelle: »Zunächst ist also ein Teil des Mehrwerts (und des ihm in Lebensmitteln entsprechenden surplus produce) in variables Kapital zu verwandeln; d.h., neue Arbeit ist damit zu kaufen. Dies ist nur möglich, wenn die Zahl der Arbeiter wächst oder wenn die Arbeitszeit, während der sie arbeiten, verlängert wird ... Dies jedoch nicht als konstantes Mittel der Akkumulation anzusehn. Die Arbeiterbevölkerung kann zunehmen, wenn vorhin unproduktive Arbeiter in produktive verwandelt werden oder Teile der Bevölkerung, die früher nicht arbeiteten, wie Weiber und Kinder, Paupers, in den Produktionsprozeß gezogen werden. Letztren Punkt lassen wir hier weg. Endlich durch absolutes Wachstum der ... Bevölkerung. Soll die Akkumulation ein stetiger, fortlaufender Prozeß sein, so dies absolute Wachstum der Bevölkerung (obgleich sie relativ gegen das angewandte Kapital abnimmt) Bedingung. Vermehrung der Bevölkerung erscheint als Grundlage der Akkumulation als eines stetigen Prozesses. Dieses setzt aber voraus ein avarage Salair, das beständige Wachstum der Arbeiterbevölkerung, nicht nur Reproduktion derselben erlaubt.« (Theorien über den Mehrwert, Bd. II, Teil 2, Kapitel: Verwandlung von Revenue in Kapital, S. 243.) [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 478.] <=
(8) Eine kurz vor denn Sezerssonskriege in den Vereinigten Staaten veröffentlichte Tabelle enthielt folgende Angaben über den Wert der jährlichen Produktion der Sklavenstaaten und die Zahl der beschäftigten Sklaven, von denen die übergroße Mehrzahl auf den Baumwollplantagen arbeitetet:
Baumwolle | Sklaven | |
1800 | 5,2 Mill. Doll. | 893.041 |
1810 | 15,1 Mill. Doll. | 1.191.364 |
1820 | 26,3 Mill. Doll. | 1.543.688 |
1830 | 34,1 Mill. Doll. | 2.009.053 |
1840 | 74,6 Mill. Doll. | 2.487.255 |
1850 | 111,8 Mill. Doll. | 3.179.509 |
1851 | 137,3 Mill. Doll. | 3.200.300 |
(Simons: Klassenkämpfe in der Geschichte Amerikas. Ergänzungsheft der »Neuen Zeit«, Nr. 7, S. 39.) <=
(9) Ein Musterbeispiel solcher Mischformen schildert der frühere englische Minister Bryce in den süd-afrikanischen Diamantgruben. »Die interessanteste Sehenswürdigkeit Kimberleys, die einzig in der Welt dasteht, sind die beiden sogen. 'Compounds', wo die in den Bergwerken beschäftigten Eingeborenen beherbergt und eingesperrt werden. Es sind ungeheure Einfriedungen ohne Dach, aber mit einem Drahtnetz überspannt, um zu verhindern, daß etwas über die Mauern geworfen wird. Ein unterirdischer Gang führt zu dem benachbarten Bergwerk. Es wird in drei 8stündigen Schichten gearbeitet, so daß der Arbeiter nie länger als 8 Stunden hintereinander unter der Erde ist. An der Innenseite der Mauer sind Hütten errichtet, wo die Eingeborenen wohnen und schlafen. Auch ein Hospital ist innerhalb der Umfriedung vorhanden sowie eine Schule, wo die Arbeiter in ihrer freien Zelt lesen und schreiben lernen können. Geistige Getränke werden nicht verkauft. - Alle Eingänge werden streng bewacht, und keine Besucher, weder Eingeborene noch Weiße, erhalten Zutritt; die Lebensmittel werden von einem innerhalb der Mauern befindlichen, der Gesellschaft gehörigen Laden geliefert. Das Compound der De Beers-Grube beherbergte zur Zeit meines Besuches 2.600 Eingeborene aller möglichen Stämme, so daß man dort Exemplare der verschiedensten Negertypen von Natal und Pondoland im Süden bis zum Tanganjikasee im fernen Osten sehen konnte. Sie kommen von allen Himmelsrichtungen, durch die hohen Löhne, gewöhnlich 18-30 M die Woche, herbeigelockt, und bleiben dort 3 Monate und länger, zuweilen sogar für lange Zeit ... In diesem weiten, rechteckigen Compound sieht man Zulus aus Natal, Fingos Pondos, Tembus, Basutos, Betschuanas, Untertanen Gungunhanas aus den portugiesischen Besitzungen, einige Matabeles und Makalakas und viele sog. Zambesi-Boys von den an beiden Ufern dieses Flusses wohnenden Stämmen. Sogar Buschmänner oder wenigstens Eingeborene, die von Buschmännern stammen, fehlen nicht. Sie wohnen friedlich zusammen und vergnügen sich in ihren freien Stunden auf ihre Art. Außer Glücksspielen sahen wir noch ein Spiel, das, dem englischen 'Fuchs und Gänse' ähnlich, mit Steinen auf einem Brett gespielt wird; auch Musik wurde auf zwei primitiven Instrumenten gemacht; auf dem sog. Kaffernklavier, das aus ungleich langen, nebeneinander in einem Rahmen befestigten Eisenplättchen besteht, und auf einem noch kunstloseren Instrument, aus ungleich langen, harten Holzstückchen gefertigt, denen man durch Anschlagen verschiedene Töne, die Rudimente einer Melodie entlocken kann. Einige wenige lasen oder schrieben Briefe, die übrigen waren mit Kochen oder Schwatzen beschäftigt. Manche Stämme schwatzen ununterbrochen und man kann in dieser seltsamen Negerretorte ein Dutzend Sprachen hören, wenn man von Gruppe zu Gruppe geht.« Die Neger pflegen nach mehreren Monaten Arbeit mit ihrem aufgesparten Lohn das Bergwerk zu verlassen, um zu ihrem Stamme zurückzukehren, sich für das Geld eine Frau zu kaufen und wieder in ihren hergebrachten Verhältnissen zu leben. (James Bryce: Impressions of South Africa, 1897, deutsche Ausgabe 1900, S. 206.) Ebenda siehe auch die recht lebendige Schilderung der Methoden wie man in Südafrika die »Arbeiterfrage« löst. Wir erfahren da, daß man die Neger zur Arbeit in den Bergwerken und Plantagen in Kimberley, in Witwatersrand, in Natal, im Matabeleland zwingt dadurch, daß man ihnen alles Land und alles Vieh, d.h. die Existenzmittel nimmt, sie proletarisiert, sie auch mit Branntwein demoralisiert (später, als sie schon in der »Einfriedung« des Kapitals sind, werden ihnen, die an Alkohol erst gewöhnt worden, »geistige Getränke« streng verboten: Das Ausbeutungsobjekt muß in brauchbarem Zustand erhalten werden.), schließlich einfach mit Gewalt, Gefängnis, Auspeitschung in das »Lohnsystem« des Kapitals preßt. <=
(10) Typisch für diese Beziehung ist das Verhältnis von Deutschland und England. <=
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