Die Gegensätze in Schlesien


Wilhelm Wolff


Die Ablösung der Feudallasten


Wilhelm Wolff

Wozu das Volk Steuern zahlt

Köln, 14. Dezember. In Nr. 166 und 167 der Zeitung sind aus dem Bericht einer Deputation »zur Prüfung der Staatskassenrechnungen« einige Auszüge mitgeteilt worden. Der Leser wird bemerkt haben, daß genannte Deputation nicht tief eingedrungen ist in die Geheimnisse der preußischen Finanzverwaltung. Sie klagt mit Recht, daß die »Rechnungsablegung sehr verwickelt ist und keine hinreichende Übersicht gewährt«. Aber selbst das Wenige klärt hinreichend auf über die christlich-germanische Art und Weise, wie die Taschen des Volkes zu Gratifikationen etc. an ohnehin übermäßig besoldete Beamte, an Generäle, Generalleutnants, an Oberfinanzräte, Oberregierungsräte, an Oberpräsidenten und Minister, an Landräte und Oberforstmeister und wie das übrige, unser Land aussaugende Geschmeiß weiter heißt, aufs ungenierteste geplündert worden sind.

Während Tausende von armen Kindern aus Mangel am Notdürftigsten leiblich und geistig verkümmern, erhält der Landrat Graf von Keller zur Erziehung seiner drei Kinder jährlich 300 Taler - er erhält sie, nicht aus der Tasche des Königs »von Gottes Gnaden«, der außer einem kolossalen Privatvermögen noch jährlich 2 1/2 Millionen aus dem Staatsvermögen bezieht, sondern aus den Steuerpfennigen der Armen. Herr Graf von Keller hat zwar sein schönes Gehalt, allein wenn ein Graf drei Kinder hat, so versteht es sich von selbst, daß die arme, hungernde Kanaille jährlich 300 Taler zur Erziehung der gräflichen Kinder beisteuern muß. In der oktroyierten Verfassung heißt es, daß zur zweiten Kammer nur wählen darf, wer nicht aus öffentlichen Mitteln Unterstützung erhält. Wird der Herr Graf Keller also sein Wahlrecht verlieren? O pfui über diese unchristliche Frage. Er wird im Gegenteil doppelt wählen, einmal zur zweiten und dann auch zur ersten Kaminer. Sehr möglich, daß er selbst in letztere gewählt wird. Denn ein solcher Mann muß natürlich sehr konservativ sein, er muß, das verlangt sein heiligstes Interesse des Geldbeutels, den bisherigen Zustand zu erhalten suchen. Wo blieben andernfalls die 300 Taler jährlich und die Erziehung der jungen Grafen und Comtessen? Ein solcher Almosenempfänger, der vierspännig einherfährt und einen oder den andern Vogel auf der Brust trägt, kann in keiner Weise mit dem arbeitsunfähigen Greise oder Krüppel zusammengestellt werden, der mit Anstrengung und Not zwar nicht 300 Taler jährlich, sondern jeden Tag, wenn's gut geht einige Silbergroschen zusammenbettelt. Ein solches Gleichstellen läuft der Grundidee des christlich-germanischen Staates schnurstracks zuwider.

Habt Ihr Kinder und jährlich bloß 1000-2000 Taler zu verzehren, und es langt Euch nicht: ei, so macht's wie der Oberst v. Lengefeld in Anclam, der für seine zwei Söhne bis zu deren zwanzigstem Jahr 200 Taler jährlich erhält.

Seid Ihr dagegen mit dem Geheimen Justizrat von der Hölle oder mit dem Grafen von Schwerin verwandt, so laßt durch sie ein gutes Wort für Euch einlegen. Der eine erhält für seine Kinder jährlich 300, der andere 500 Taler. Sie werden Euch schon zu einer Kleinigkeit behilflich sein. Wozu bezahlte denn auch sonst das Volk seine Steuern?

Der christlich-germanische Staat hilft allen Geschmäckern, Wünschen und Bedürfnissen ab. Es ist nur die eine Bedingung erforderlich, daß Ihr den privilegierten Klassen des Adels oder des (höhern) Beamtenstandes angehört.

Erfüllt Ihr diese Bedingungen, dann wird's Euch unschwer gelingen, gleich dem Geheimen Oberfinanzrat Senfft v. Pilsach außer einem fixen Gehalt von 4000 Tälerchen noch 5428 Taler auf Reise- und Bureaukosten geschenkt zu erhalten. Wer dagegen einen kurzen profitablen Ausflug machen will, der reise als Beamter von Berlin nach Sanssouci zu einer Konferenz wegen Kaminanlagen. Er liquidiert auf zwei Tage an Extrapostdiäten 22 Taler, 10 Silbergroschen.

Man erinnert sich, welch bittere Anklagen gegen die preußische Regierung seit Jahren laut geworden sind, als man von der unsäglichen Not hörte, von welcher die einst so gesegnete Provinz Schlesien heimgesucht war. Zwar den Webern in Langenbielau und Umgebung sollte und mußte geholfen werden. Die Hilfe war Pulver und Blei. Allein sie war nicht gründlich genug, und darum stieg das Elend, darum schlug der grimme Hunger seine scharfen Krallen immer tiefer ein in die Leiber derer, welchen das Universalmittel Pulver und Blei im Rosenmonat des Jahres 1844 versagt worden.

Und als nun die Hungerpest 1847 ihren Einzug in Oberschlesien hielt und Tausende und aber Tausende dahinraffte, da vermehrten sich die Klagen, da wurden arge und immer ärgere Verwünschungen laut gegen die geheiligte Regierung »von Gottes Gnaden«.

Das brave, biedere Deutschland aber beeilte sich, auf die von Preußen ausgehenden Bettelbriefe hin Kollekten zu veranstalten und den schlesischen Brüdern beizustehen. Das brave, biedere Deutschland! Es ahnte, daß die königlich-preußische Regierung nicht helfen könne, trotz des besten Willens.

Den Beweis haben wir jetzt vor uns.

Wie konnte man den Webern und Spinnern im schlesischen Gebirge beistehen, wie die Oberschlesier unterstützen und sie vom Hungertode schützen, wenn folgende unerläßliche Ausgaben zu machen waren:

Auf eine Karte von Wildpark in Potsdam 200 Taler
Für Hirschfänger und Wildkasten 307 Taler
Für Einrichtung eines Wildparks 782 Taler
Für Besprengung der Charlottenburger Chaussee, damit die Hofdamen und Gardeleutnants keinen Staub schlucken 1500 Taler
Ein Almosen für den General Graf Dohna 2 000 Taler
Ein Geschenk an den Minister Eichhorn 1 000 Taler
Ein Almosen an Wilhelm Prinz von Preußen
(armer Mann!)
5 000 Taler
Ein dito an den Belagerer von Mainz
(v. Hueser genannt)
6 000 Taler
Ein Geschenk an den Oberpräsidenten Bötticher 3 000 Taler
Ein Almosen an die Familie v. Grolmann 26 000 Taler
usw. usw.  

Genug, im Jahre 1846 hatte die christlich-germanische Regierung ganz andere Ausgaben zu machen als für lumpige Weber etc. in Schlesien und Westfalen. Sie mußte z. B. für die Einrichtung des Schlosses in Coblenz und der dortigen Gartenanlagen 139 734 Taler auszahlen. Der König, der angeblich bloß 2 1/2 Millionen Taler jährlich den Staatsdomänen bezieht, war viel zu arm, um diese Anlagekosten anders als direkt aus den Taschen der »geliebten« Untertanen zu bestreiten. Und dann betrug in diesem Jahre das Haupt-Extraordinarium (Geschenke und Almosen für Grafen, Barone, Geheimräte, Wildkasten, Wildparkkarten etc.) 1 Million 431 000 Taler.

Wie konnte man da unter Berücksichtigung der Ordinaria, der regulären Ausgaben fürs Militär und die Beamtenwelt und der Vorschüsse und zinsfreien Darlehen für bankerotte, an den Spielbänken in Aachen, Baden etc. heruntergekommene Krautjunker im Betrage von 279 577 Taler, 26 Silbergroschen nur im entferntesten verlangen, daß von den Steuern des Volkes noch etwas für die verhungernde Kanaille übrigbleiben solle?

Die Regierung tat unrecht, alle diese uns jetzt bekannt gewordenen Einzelheiten zu verheimlichen. Die vom Hunger und Typhus gepeitschten Proletarier hätten sich bei voller Kenntnis der christlich-germanischen Staatsausgaben mit christlicher Demut in ihr Schicksal ergeben. Was von diesen Mysterien nun unters Publikum gekommen, ist nur der kleinste Teil. Wird erst die gottbegnadete Wirtschaft nach allen Seiten hin aufgedeckt, und vergißt man dabei nicht, solche Kleinigkeiten zu erwähnen, wie: daß für den Grafen Brandenburg als Gouverneur von Schlesien nicht bloß ein köstliches Palais erbaut, sondern dahinein für 40 000 Taler Möbel aus Berlin auf Rechnung der Staatskasse angeschafft wurden: so wird das dumme Volk endlich begreifen, daß es lediglich zum Steuernzahlen geboren ist und seine höchste Ehre in der Mästung der privilegierten Klasse beruht.

Neue Rheinische Zeitung, 15. Dezember 1848.



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Letzte Änderung: 19. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/wolff3.html