Wozu das Volk Steuern zahlt


Wilhelm Wolff


Das Ablösungsgesetz für Schlesien


Wilhelm Wolff

Die Ablösung der Feudallasten

Köln, 15. Dezember. - »Mit Speck fängt man Mäuse!« Das weiß die gottbegnadete Regierung der Manteuffel und Konsorten nicht erst seit gestern. Vor dem März war das Lebenselement der christlich-germanischen Staatsverwaltung die Lüge und die Heuchelei, und nach dem November macht sich das nämliche Element wiederum so breit wie ehemals. Ja, die christlich-germanische Perfidie und Tücke ist noch perfider und tückischer geworden. Wer sich davon überzeugen will, der nehme den »Preußischen Staats-Anzeiger« vom 12. dieses Monats zur Hand. Hier trifft er auf »Erläuterungen« über die vom königlichen Patente vom 5. Dezember in kürzester Frist verheißenen dringlichen Gesetze. Das offizielle Blatt ist beauftragt mitzuteilen, daß sich unter jenen bald erscheinenden Gesetzen das über die »unentgeltliche Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben der ländlichen Grundbesitzer« nicht befinden wird.

Eine derartige Ankündigung in ihrer reinen, nackten Wahrheit hätte wahrscheinlich auf dem platten Lande (in Westfalen, Schlesien, Sachsen, Pommern, der Mark, Preußen und dem rechten Rheinufer), wo noch die Feudalverhältnisse existieren, einen Sturm hervorgerufen, durch den alle Fäden der konterrevolutionären Verschwörung verwirrt und die saubern Pläne der neuen Heiligen Allianz des Absolutismus vernichtet worden wären.

Um solcher Gefahr vorzubeugen, wickelt der »Preussische Staats-Anzeiger« seine »Erläuterungen« in folgende Lügen ein:

»Wenn sich unter ihnen das Gesetz, betreffend die entgeltliche Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben der ländlichen Grundbesitzer, nicht befindet, letzteres vielmehr nach dem weiteren Inhalte des königlichen Patentes den zunächst zusammentretenden Kammern vorgelegt werden soll, so beruht dies auf den hinsichtlich jenes Gesetzes obwaltenden besonderen Verhältnissen. Dasselbe ist in der jetzt aufgelösten Nationalversammlung bereits zur Verhandlung gelangt, leider jedoch nur zum Teile wirklich beraten worden, und selbst diese Beratung und Beschließung ist um deswillen nicht als eine vollgültige anzusehen, weil die reglementsmäßige Schlußstimmung über das ganze Gesetz ausblieb. Die Ursachen hiervon sind bekannt genug. Es braucht nur an die unaufhörlichen Interpellationen über Dinge erinnert zu werden, welche dem wahren Berufe der Versammlung gänzlich fernlagen. Das Gesetz hat aber auch Eigentumsrechte zum Gegenstande, über welche schon nach der älteren Gesetzgebung nur unter dem Beirate der ständischen Vertretung gesetzliche Bestimmungen getroffen werden konnten, weshalb sein provisorischer Erlaß ohne Zweifel auf gewichtige Bedenken bei der Anwendung gestoßen sein würde. Nach dem Inhalte des Allerhöchsten Patents liegt die Hebung des Wohlstandes der ländlichen Bevölkerung der Staatsregierung ganz besonders am Herzen. Mit Zuversicht ist zu erwarten, daß jenes wichtige Gesetz, dazu bestimmt, den Grund und Boden von drückenden Lasten zu entfesseln und die Verhältnisse der kleineren wie der großen Grundbesitzer auf dem Fundamente völliger Freiheit des Eigentums und der Verfügung darüber dauernd festzustellen, von den zunächst zusammentretenden Kammern in kurzer Frist genehmigt werden wird.«

Wie man hieraus sieht, wird die Schuld, daß das für Millionen von Landleuten zur Lebensfrage gewordene Gesetz vorläufig nicht erscheinen kann, in ebenso lügenhafter als perfider Weise auf die mit Bajonetten auseinandergejagte Nationalversammlung gewälzt. Zwar sei jenes Gesetz zur Verhandlung gelangt, »leider« jedoch nur zum Teile wirklich beraten worden! Und warum sei das Gesetz nicht zustande gekommen? Weil sich die Nationalversammlung mit unaufhörlichen Interpellationen beschäftigt habe, dj ihrem wahren Berufe gänzlich ferngelegen!

Wahrhaftig, nur die Brandenburg-Manteuffelsche Presse ist fähig, der Wahrheit mit solch bodenloser Unverschämtheit ins Gesicht zu schlagen.

Gerade die Furcht vor jenem Gesetze war ein Hauptgrund für die Reaktion, die Nationalversammlung aufzulösen. Der Sturz der letzteren war längst beschlossen. Es handelte sich nur um den passendsten Moment.

Schon als das Jagdgesetz durchgegangen war, wollte Kamarilla den Staatsstreich wagen. Allein sosehr es den »noblen Passionen« der bevorrechteten Klasse ein Stich durchs Herz war, ebenso freudig wurde es von der ganzen übrigen Masse des Volkes begrüßt. Der König verzögerte die Genehmigung des Gesetzes. Da kam eine von den Interpellationen, die der Manteuffelsche Staatsanzeiger mit so melancholischen Seufzern als das Ur-Unheil darstellt: Und siehe da, die gottbegnadete Krone mußte das Jagdgesetz unterschreiben. An diesem Tage herrschten Trauer und Wut in den hohen Sälen zu Potsdam und auf den Schlössern der Krautjunker und Gewaltigen. Man hatte begriffen, daß jetzt die Nationalversammlung antasten geheißen hätte, sich unbedacht in die augenscheinlichste Gefahr zu stürzen.

Es kam jetzt darauf an, die Nationalversammlung nicht zum formellen Abschluß ihrer Beratungen über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse gelangen zu lassen. Konnte man das nicht verhindern, so war ja die ganze mittelalterliche Adelswirtschaft für immer gestürzt, und »Stützen der Krone« wären zusammengebröckelt wie faules Holz.

Klar ging es ja aus den Verhandlungen der Nationalversammlung hervor, daß den gnädigen Gutsherren die fettesten Bissen ohne Entschädigung würden abgesprochen und die so lange mit Füßen getretenen Rechte des Landmannes endlich anerkannt und festgestellt werden.

Bedenkt man, daß ein einziger Graf in Schlesien, der noch lange nicht zu den größten Grundbesitzern gehört, bisher jährlich 56 000 Taler an Silberzinsen, Laudemien, Wächter-, Spinn-, Hühnergeld usw. bezog, so wird es niemanden wundern, daß die in ihren Vorrechten und in ihrem Geldsack bedrohte Klasse Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um diesen Schlag abzuparieren und ihm durch einen Staatsstreich zuvorzukommen.

Es war nun Gefahr im Verzuge. Schon hatte die Nationalversammlung den Adel, die Orden und das liebliche »von Gottes Gnaden« abgeschafft, und sie war nahe daran, die Mästung der gnädigen Gutsherren durch den Schweiß des Landmannes ohne Entgelt ebenfalls zu beseitigen.

Daher Wrangeis Einrücken, daher die »wilde Jagd« auf die Nationalversammlung, daher ihre endliche, schon längst beschlossene Auflösung.

Die christlich-germanische Regierung betrachtet das Gesetz über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse als kein dringliches. Sie wird es aber den Kammern vorlegen. Weshalb? Weil sie sicher ist, daß der Beutel der Gutsherren sich dann wieder auf Kosten des Landmannes füllen und die Ablösung zwar nicht für den Bauern, aber desto mehr für den gnädigen Gutsherrn einträglich sein wird.

Brandenburg-Manteuffel wissen sehr gut, daß in der Ersten Kammer Leute sitzen werden, deren Interesse es ist, jedes zugunsten des Landmannes lautende Gesetz zurückuweisen. Mag die Zweite Kammer ein noch so liberales Gesetz annehmen: an der Ersten Kammer wird jeder Veruch, es durchzusetzen, scheitern.

Auf diesem Wege hat dann die christlich-germanische Regierung gewonnenes Spiel.

Hätte sie jetzt, noch vor Zusammentritt der Kammern, ein Gesetz über die bäuerlichen Verhältnisse erlassen: so kam der Inhalt auf ihre Rechnung.

Hätte sie die Nationalversammlung nicht auseinandergejagt: so wäre von letzterer das Erlösungsgesetz für den Landmann wahrscheinlich im demokratischen Sinne angenommen worden. Der Regierung blieb dann nur die Alternative: Annehmen oder Ablehnen? Im erstern Falle stürzte die ganze Feudalwirtschaft zusammen, und in »gnädige«, »hohe«, »höchste«, usw. Geldbeutel kam ein bedeutendes Loch; im letzteren nahm man dem ganzen Bauernstande über das Königtum »von Gottes Gnaden« die Schuppen von den Augen, und ein allgemeiner Aufstand gegen die Konterrevolution, bevor diese mit allen ihren Zurüstungen fertig war, zeigte sich als unvermeidliche Folge.

Nachdem nun der Staatsstreich durchgegangen und eine Erste Kammer oktroyiert ist, in welcher, dank dem neuen Wahlgesetze, hauptsächlich gnädige Herren und hohe Beamte sitzen werden, dient diese Erste Kammer zum Blitzableiter. Die gottbegnadete Regierung hat somit ihren Kopf aus der Schlinge gezogen. Sie weiß im voraus, daß die Erste Kammer niemals das von der Nationalversammlung, wenn auch nicht formell, beendigte Erlösungsgesetz für das Landvolk passieren lassen wird. So bleibt's dann halt beim alten! Und die Schuld kam dann nicht auf die Regierung, sondern auf die Erste Kammer.

Vorläufig werden den Bauern noch Hoffnungen gemacht. Stehen doch die Wahlen vor der Tür! Sind nun die Bauern, namentlich in Schlesien und Westfalen, so einfältig, sich durch die Lügen und Vorspiegelungen des »Preußischen Staats-Anzeigers« kirren zu lassen, so werden sie binnen einem halben Jahre mit Schrecken gewahren, auf welcher »breitesten Grundlage« des christlich-germanischen Staats sie vollständig geprellt dastehen.

Gerade über diesen Punkt das Landvolk aufzuklären, ist Pflicht der demokratischen und Rustikalvereine in Westfalen und Schlesien. Geschieht dies bald und kräftig, so wird in kurzer Zeit der Konterrevolution eine Phalanx gegenübertreten, an der sich nicht bloß die Manteuffel, sondern auch alle übrigen Teufel des christlich-germanischen Pandämoniums ihre Schädel einrennen dürften.

Neue Rheinische Zeitung, 17. Dezember 1848.



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