Die Ablösung der Feudallasten


Wilhelm Wolff


Das königliche Patent an die Bauern


Wilhelm Wolff

Das interimistische Ablösungsgesetz für Schlesien

Köln, 28. Dez. An dem Tage, an welchem die bekannte Verfassung oktroyiert wurde, verhießen die Brandenburg-Manteuffel den baldigsten Erlaß mehrerer dringlicher Gesetze, namentlich über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Schlesien und Westfalen. Es war eine der konterrevolutionären Frechheit ganz angemessene Konsequenz, in die Eigentumsverhältnisse tief eingreifende Gesetze ohne Befragung und ohne Zustimmung des Volkes, bloß aus gottbegnadeter Machtfülle zu erlassen. Das Volk hat wieder als gemütliche Herde den christlichen Schafstall bezogen; und so versammelten sich denn schleunigst alle, die sonst zur Schur privilegiert waren, mit freudigem Hallo um die Hürden und schickten sich an, das profitable Geschäft da wieder aufzunehmen, wo es der März ganz oder zum Teil unterbrochen hatte.

Die im »Staatsanzeiger« erschienene »Verordnung wegen interimistischer Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in der Provinz Schlesien« ist eine Aufforderung an die Herren Fürsten, Standesherren, Grafen Barone etc., sich zu sputen und »interimistisch« das Landvolk unter dem Anschein des Gesetzes noch so auszusäckeln und auszuplündern, daß sie nach dem fetten Jahre die magern desto leichter überdauern können.

Vor dem März war Schlesien das gelobte Land der gnädigen Gutsherren. Durch die Ablösungsgesetze seit dem Jahre 1821 hatte sich das feudale Junkertum so warm gebettet als nur immer möglich. Seine Wut, als es sich im Jahre 1848 in seiner goldenen Ruhe gestört und seine teuersten Vorrechte, die Einkünfte seines Geldbeutels, bedroht sah, überstieg bald alle Grenzen. Infolge der Ablösungen, die stets und überall zum Vorteil der Privilegierten und zum Ruin des Landvolkes betrieben und durchgeführt wurden, hatte das schlesische Junkertum nicht weniger als zirka 80 Milliönchen an barem Gelde, an Ackerland und Renten aus den Händen des Landvolks erhalten. Und doch waren die Ablösungen noch lange nicht zu Ende.

Daher die Wut über die gottlose Revolution des Jahres 1848. Die Landleute weigerten sich, den gnädigen Herren fernerhin wie das liebe Vieh Hofedienste zu tun und die bisherigen furchtbaren Lasten, Zinsen und Abgaben aller Art weiter zu entrichten.

In den Geldkästen der Gutsherren trat eine bedenkliche Ebbe ein. Der Zustand dauerte bereits mehrere Monate. Bald hatte ja auch die Nationalversammlung zu Berlin das Gesetz über die gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse vollendet, und dann blieb dem schlesischen Junkertume nur das Lied übrig: O jerum, jerum, jerum etc. Es war Gefahr im Verzuge. Das begriff die Kamarilla zu Potsdam, deren Säckel sich ebenfalls aus dem Schweiß und Blut des Landvolkes zu füllen versteht.

Also fort mit der Nationalversammlung! Machen wir selbst die Gesetze, wie sie uns am einträglichsten erscheinen!

Und so geschah's. Die für Schlesien im »Staatsanzeiger« erschienene Verordnung ist nichts als ein Verhau mit Wolfsgruben und allem Zubehör, in welchem das Landvolk, begibt es sich einmal hinein, unwiederbringlich verloren ist. Heuchelei und liberaler Schein spielen hier wie bei allen christlich-germanischen Kunstwerken die Hauptrolle.

Mit der Aufhebung gewisser Lasten und Leistungen sucht man dem Publikum Sand in die Augen zu streuen. So werden u. a. aufgehoben: der Fleisch- und Blutzehnt, der Bienenzehnt, Walpurgisschoß, Bedegeld, Schäfersteuer, Bienenzins, Wachspacht, Schutzgeld etc., lauter Sachen, die von höchst untergeordneter Bedeutung sind, nur hie und da vorkommen und an den meisten Orten nicht einmal den Schimmer eines sogenannten Rechtstitelchens für sich aufweisen können.

Alle übrigen Lasten und Dienste, wenn auch ebensowenig begründet, unterliegen der Ablösung. Und welcher Ablösung!

Sind dem schlesischen Landvolk über die Tendenzen des gottbegnadeten Königtums ja noch nicht die Augen aufgegangen, so werden sie ihm bei der praktischen Durchführung des neuen Ablösungsgesetzes sicherlich übergehn.

Schon die einzige Bestimmung, daß die Generalkommission zu Breslau abermals die Ablösung in die Hände bekommt, ist das Verdammungsurteil des ganzen Gesetzes. Selbst der phlegmatischste Bauer in Schlesien erzittert vor Wut bei dem bloßen Namen dieser Behörde. In ihr verkörpert sich für den Landmann ein großer Teil alles Schlimmen, alles Unheils, das ihn bei der stattgefundenen Ablösung betroffen oder bei der künftigen betreffen wird.

Wohin das schlesische Landvolk auch blicken, welchen Paragraphen der Verordnung es auch betrachten mag: überall ist es gefangen, verraten, verkauft.

Die gnädigen Herren werden in der Verordnung bestens animiert, das jetzige Gesetz recht bald zu benutzen. Damit sie's können, ist bestimmt worden, daß der Berechtigte wie der Verpflichtete auf interimistische Auseinandersetzung antragen kann. Will der Verpflichtete nicht, so wird in contumacium gegen ihn verfahren.

Das Schiedsgericht entscheidet. Eine Appellation ist nicht gestattet. Wie ist das Schiedsgericht zusammengesetzt?

Dieser Punkt ist eben, weil keine Appellation erlaubt ist, von höchster Wichtigkeit. Nun wohl, § 4 und ff der zitierten Verordnung geben uns darüber Aufschluß.

Das Schiedsgericht besteht in der Regel aus 3 Personen, kann aber auch 5 Personen enthalten. Der gnädige Herr wählt einen Schiedsrichter, der Bauer ebenfalls einen, und den dritten ernennt - die Generalkommission zu Breslau.

Die Generalkommission ist in ihrer ganzen bisherigen Wirksamkeit und ihrer Zusammensetzung nach nichts anderes als eine Behörde, in welcher die Interessen, Ansichten etc. der gnädigen Gutsbesitzer repräsentiert werden. Sie wird natürlich Schiedsrichter wählen, die ihres Sinnes sind.

Das Schiedsgericht faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Zwei ist die absolute Majorität. Der vom Gutsherrn und der von der Generalkommission erwählte Schiedsrichter halten zusammen, und dann mag der bäuerliche Schiedsrichter sagen, was er will; er ist überstimmt und damit basta! Wird das Schiedsgericht aus 5 Personen zusammengesetzt, so tritt das nämliche Verhältnis ein. Der Gutsherr und der Landmann wählen je zwei Schiedsrichter, die Generalkommission den fünften. Da letzterer voraussichtlich auf Seiten des Gutsherrn ist, so bleibt der Bauer nach wie vor der Geprellte. Die Kosten und welche Kosten! davon weiß das schlesische Landvolk ein herzzerreißendes Lied zu singen - werden zur Hälfte vom gnädigen Herrn, zur andern Hälfte vom Landmann getragen. Um die gnädigen Herrn vor der Wut des Volkes sicherer zu stellen als bisher, müssen die vom Schiedsgericht festgesetzten Ablösungsrenten an die königliche Steuerkasse, nicht mehr direkt an den Gutsherrn, abgeführt werden. Wer diese neue Steuer weigert, wird vom Staat mit Exekution belegt.

Wir haben nur wenige Paragraphen der Brandenburg-Manteuffelschen Verordnung berührt. Wir bemerken bloß, daß in den übrigen Paragraphen nicht weniger Teufeleien und Fallstricke von Gottes Gnaden enthalten sind.

Allein was hilft's. Die gnädigen Herrn brauchen Geld. Der Winter ist da mit seinen Bällen, Maskeraden, lockenden Spieltischen etc. Die Bauern, die bisher die Vergnügungsmittel geliefert, müssen sie auch ferner herbeischaffen. Das Junkertum will sich wenigstens noch einmal einen vergnügten Karneval bereiten und die November-Errungenschaften des Absolutismus möglichst ausbeuten. Es tut recht daran, sich zu beeilen, zu tanzen und zu jubeln in herausforderndem Übermut. Denn bald dürften galizische Wutszenen in die gottbegnadete Adels-Orgie hineinspielen. Der Boden, auf dem die Konterrevolution so trotzig einherschreitet, ist durch jene Verordnung noch tiefer unterminiert worden. Die nahe Explosion wird der ganzen mittelalterlichen Sippschaft und ihren Ablösungsgesetzen für immer ein Ende machen.

Neue Rheinische Zeitung, 29. Dezember 1848.



Die Ablösung der Feudallasten


Wilhelm Wolff


Das königliche Patent an die Bauern


Letzte Änderung: 19. Jun. 2001, Adresse: /deutsch/1848/wolff5.html