Generalprobe unserer "Geflüsterten Zeitung" am Vorabend des 1. Mai
(Aus Berliner Berichten.)
Die KPD hat keine legalen Zeitungen. Sie hat zwar in Berlin allein an 100 verschiedene hektografierte Zeitungen der Stadtteile, Betriebe, Gewerkschaften, Organe der Einheitsfront usw. Aber bei dem heutigen Stand der Radioübertragung muß sie ein schnelleres Nachrichtenwesen haben. Die vorhandenen Schwarzsender dürfen nicht gefährdet, sondern müssen für ernste Situationen geschont werden.
So wurde die geflüsterte Zeitung erfunden, die leise von Wohnung zu Wohnung geflüstert, in die Arbeitsquartiere überspringt, in die Kneipen, an die Arbeitsnachweise, in die Betriebe mit ungeheurer Geschwindigkeit dringt. Keine Gestapo kann diese "Zeitung" fassen, keiner kennt ihre Redakteure, ihre Austräger; ihre Auflage ist das vielfache größer, als die des "Angriff" und des "Völkischen Beobachter" zusammen.
Doch zur Sache: Die Berliner Parteileitung hatte beschlossen, zum Schutze der Kader am 1. Mai von heroischen Kaderdemonstrationen abzusehen, dagegen alle Antifaschisten aufzufordern, ihre revolutionäre Arbeit inmitten der Massen der zum Maiaufmarsch gezwungenen Belegschaften durchzuführen, um zu diskutieren, Streu- und Flugzettel zu verteilen, den faschistischen Aufmarsch zu desorganisieren.
Als Einleitung wurde am 29. April die falsche Nachricht in allen Stadtteilen durchgegeben: "Der Maiaufmarsch findet nicht statt." Und im Nu ging ein Flüstern durch Berlin, bis in die Zentrale der Arbeitsfront, ja, bis in die Spitze der Geheimen Staatspolizei und es war so stark, daß nervös Ordre und Gegenordre herauskam und selbst die ausländischen Zeitungskorrespondenten was merkten. Das besagen u. a. folgende Meldungen:
Am 30. 4. mittags 1/2 1 Uhr kam sogar ein internes Polizeitelegramm an alle Reviere, daß die zum Aufmarsch eingeteilten Schupo und Kriminalbeamten nicht dort antreten sollten, wo sie eingeteilt seien. Sie sollten Bescheid nachts um 2 Uhr erhalten. Um 8 Uhr abends kamen vom Polizeipräsidium Gegentelegramme, daß die Feiern wie angeordnet stattfinden und den "Gerüchtemachern" streng entgegenzutreten sei.
Bei Borsig erschienen am 30. 4. schriftliche Anschläge am schwarzen Brett, daß die Belegschaft abends 18 Uhr oder morgens 6 Uhr im Radio die endgültige Anordnung zum 1. Mai hören und sich danach verhalten solle, unterzeichnet vom Vertrauensrat.
"In den großen Arbeitszentren dagegen, wie z. B. in Berlin sind die Marxisten, besonders die Kommunisten, unheimlich rege. Die Renitenz nicht geringer Teile der Arbeiterschaft wurde am 30. April als so störend empfunden, daß die Partei bei Siemens die offizielle Parole verbreitete, die Feier finde nicht statt. Im Lauf des Tages wurde die Parole wieder aufgehoben und abends erschien dann in der Presse jene fettgedruckte Bekanntmachung, böswillige Gerüchte verbreiteten die Nachricht, die Maifeier fände nicht statt; aber das Fest werde in jedem Falle abgehalten." (Aus "Basler Nationalzeitung".)