Brief an Soldaten, der zum aktiven Widerstand zur Beendigung des Krieges aufruft.

Die Geflüsterte Zeitung


Widerstand im 3. Reich


Merkblatt für die Soldaten


[ francais ]

Lieber Kamerad

Lieber Kamerad!

Dies ist nicht der erste Brief, den wir an Dich abschicken. Wir haben schon oft an Dich geschrieben, aber wir bitten Dich, dieses Schreiben besonders sorgfältig zu lesen und seinen Inhmit möglichst vielen Kameraden zu besprechen.

Der Augenblick ist sehr ernst! Bei Euch die Offiziere und bei uns in der Heimat die Bonzen sagen, daß die Entscheidung des Krieges begonnen habe. Die Anwendung neuer Waffen, die jetzt in Massen gegen England eingesetzt würden, garantieren uns den Endsieg. Ist das wahr? Wenn Du eine Karte von Europa hast, wirf einmal einen Blick darauf. Du siehst dann, daß unsere Heimat von drei Seiten von sich immer näher heranschiebenden gewaltigen Armeen bedroht ist. Die Invasion hat begonnen, ohne daß Rommel und Rundstedt die Engländer und Amerikaner in neun Stunden wieder ins Meer zurückjagen konnten.

Die Gegner sitzen fest, trotz Atlantikwall und neuen Waffen. Rom ist gefallen, unsere Kameraden fluten auf die Linie Livorno-Florenz-Rimini zurück. Nur noch dieser befestigte Stellungsgürtel trennt die Anglo-Amerikaner vom norditalienischen Industriegebiet und von der Errichtung ihrer Flugfelder am Fuße der Alpen.

Im Osten wartet die deutsche Wehrmacht mit angehaltenem Atem, an welcher Stelle die Russen die große Sommerschlacht eröffnen werden.

Wiborg wurde von ihnen zurückerobert, der Weg ins Innere Finnlands ist bereits frei. Morgen schon kann Norwegen Schlachtfeld sein.

Wie konnte es soweit kommen? Nicht nur Du, Millionen Deutsche fragen heute so. Haben wir nicht die besten, tapfersten Soldaten der Welt, die geschickteste Führung und die besten Waffen? Ein Lump, wer sagen würde, daß der deutsche Soldat schlecht sei. Aber auch die besten Soldaten können nur Kriege gewinnen, wenn die großen, strategischen Vorbedingungen für den Sieg von der obersten Führung geschaffen sind. Alle Soldaten und politischen Führer von Format, die jemals in Deutschland in der Vergangenheit ihre Stimme erhoben, haben immer wieder auf die tödliche Gefahr eines Zwei- oder Mehrfrontenkrieges hingewiesen. Bismarck stellte seine ganze Kunst darauf ab, die Bildung einer Deutschland vom Westen und Osten bedrohenden Koalition zu verhindern. Moltke wies auf die Unmöglichkeit hin, an mehreren Fronten gleichzeitig stark zu sein. Selbst Hindenburg und Ludendorff sahen die Ursache für den verlorenen ersten Weltkrieg in der Tatsache, daß die politische Führung den Mehrfrontenkrieg nicht habe verhindern können.

Jetzt haben wir ihn wieder im vollsten Umfange. Wie antwortet unsere Führung? Versucht sie an irgendeiner Stelle, im Süden, Westen oder Osten, eine endgültige Entscheidung zu erzwingen, um dann an anderen Stellen stark zu sein? Nein, denn sie kann es nicht. Unsere militärische Kraft reicht dazu nicht mehr aus. Neue Waffen ! Sprengmittel bisher unbekannten Ausmaßes ! Das ist die Antwort. Wo eingesetzt? Gegen London! Während an den Fronten die deutschen Soldaten dem überlegenen Material- und Menscheneinsatz der Feinde gegenüberstehen, zerstören unsere neuen Waffen - Häuser ! Das erzwingt keine entscheidende Wendung des Kriegsablaufes. Das vergrößert nur die Rechnung, die dem deutschen Volk am Tage der unabwendbaren Niederlage überreicht werden wird.

Auf diese Dinge wollten wir Dich erneut mit wenigen Worten hinweisen. Glaubst Du, daß es noch eine Wendung zu neuen Siegen gibt? Nein, Du glaubst selbst nicht daran. Du weißt, daß es nur noch schlechter werden kann. Nimm ein Beispiel noch für viele. Die Amerikaner am Tage, die Tommys in der Nacht zerstören eine Benzingewinnungsanlage nach der anderen im ganzen europäischen Raume. Leuna in Mitteldeutschland und Ploesti in Rumänien liegen in Schutt und Asche. Brüx in Böhmen ist zerstört und alle Destillieranlagen in Gelsenkirchen, Recklinghausen, Dortmund und anderen Städten des Ruhrgebietes. Nachdem die Wehrmacht beginnt, von den Reserven zu zehren, werden auch die Riesenvorratslager nach einem zielsicheren Plan vernichtet. Bei Hamburg und Hannover brannte tagelang der Treibstoff, der Euch an den Fronten fehlt. So sieht es überall aus.

Du weißt das so gut wie wir. Und darum fragen wir Dich heute. Was hast Du bisher getan, um den Krieg abzukürzen? Es genügt nicht - wir sagen das allen Ernstes -, unsere Briefe zu lesen und ihnen innerlich zuzustimmen.

Wer den Krieg weiterführt, verrät die Heimat. Heute entscheidet die Tat. Die kleinste von ihnen ist mehr wert, als ein dutzendmal die Faust in der Tasche zu ballen.

Wir fragen Dich:

Hast Du bereits gleichgesinnte Kameraden in einer antifaschistischen Kampfgruppe zusammengefaßt ?

Hast Du mit diesen Kameraden Dir ernsthaft überlegt, wie Ihr gemeinsam in das Räderwerk des Krieges eingreifen könnt, um es zum Stillstand zu bringen, bevor es zu spät ist ?

Hast Du versucht, auch mit Deinen Vorgesetzten, soweit sie keine Nazis oder wild auf Ritterkreuze sind, Fühlung zu bekommen?

Hast Du mindestens Deinen Angehörigen in der Heimat offen und klar die Lage an Deiner Front geschildert, um ihnen die Illusionen zu nehmen, als ob alles zum Besten stünde?

Bist Du Dir klargeworden daß Du den Krieg überleben mußt, wenn Du selbst, Deiner Familie und Deiner Heimat einen Ausweg aus dem Drama dieses Krieges erkämpfen willst?

Hast Du Dich endgültig frei gemacht von den Phrasen von "Ehre" und "Treue", mit denen "der Führer" Dich und Euch alle am Gängelband hält, um sein Leben und das seiner Kumpane zu retten oder wenigstens zu verlängern?

Du mußt wissen:

Deine Ehre und Treue gehören dem deutschen Volk. Das deutsche Volk aber braucht Frieden und Schluß mit Hitler und seinen Nazis.

Deine Pflicht darum:

Dein Leben nur noch einzusetzen, um den Krieg zu beenden und Hitler zu stürzen.

In wenigen Monaten wird das deutsche Volk selbst Dich fragen, ob Du dieser Pflicht nachgekommen bist.

Nationalkomitee "Freies Deutschland"
Berliner Ausschuß

(Flugblatt der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe
Ende Juni 1944)



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Letzte Änderung: 08. Oct. 2000, Adresse: /deutsch/saefad.html