Das vorliegende Material beschäftigt sich vornehmlich mit der Tätigkeit jener parteigenössischen Soldaten, die unmittelbar bei der kämpfenden Truppe an den Fronten stehen. Zu den Soldaten, die in den Garnisonen liegen oder bei in der Heimat eingesetzten Einheiten stehen, unterhält die Partei regelmäßige Beziehungen, bei denen an Hand der allgemeinen Aufgabenstellung der Partei auch die besonderen Aufgaben der Soldaten besprochen werden. Ihre schriftliche Festlegung an dieser Stelle erübrigt sich darum. Trotzdem sollen auch alle diese Genossen mit diesem Material bekannt gemacht werden, da jeder von ihnen morgen schon zur Fronttruppe versetzt werden kann und sie auch die meisten Beziehungen zu Soldaten von den Fronten unterhalten.
I. Partei und Soldaten
1. Die Erfassung aller Genossen, die als Soldaten an den Fronten stehen, stellt einen Engpaß unserer Arbeit dar, den völlig zu überwinden heute noch nicht in unserer Macht steht. Das Gesetz der Sicherung unserer Arbeit verbietet eine regelmäßige schriftliche Verbindung, während die mündliche auf die wenigen Aussprachen während der seltenen kurzen Urlaube beschränkt bleibt.
2. Von allen an den Fronten eingesetzten Genossen erwartet die Partei, im Rahmen der Gesetze der Konspirativität, ein besonders hohes Maß politischer Umsicht und eigener Initiative. Auch ohne ständige Anweisung müssen sich alle Genossen bemühen, sich politische Klarheit zu verschaffen, das Vertrauen aller Soldaten zu erobern, Fühlung zu bekommen zu allen gegen Krieg und Nazis eingestellten Unterführern und Offizieren und ihre eigene Position ständig zu verbessern. Manchmal ist dazu eine ganze Periode des Abwartens nötig, wobei niemand vergessen darf, daß auch Geduld eine revolutionäre Tugend ist.
3. Nur im Rahmen der großen historischen Aufgabe, die vor der Partei und Arbeiterklasse in Deutschland steht, läßt sich die Tätigkeit jedes einzelnen Genossen, der Soldat ist, richtig einschätzen. Binnen kurzem wird die deutsche Arbeiterklasse intakt gebliebene und politisch zuverlässige militärische Einheiten dringend gebrauchen. Das Beispiel 1918 darf nicht umsonst gewesen sein. Die parteigenössischen Soldaten von heute sind das Rückgrat der deutschen Roten Armee von morgen.
4. Die Partei bemüht sich, allen Genossen bei der Erfüllung ihrer schweren Pflichten mit allen Kräften zu helfen. Um die allgemeine Stimmung an den Fronten auflockern zu helfen, haben wir mit der Versendung von Feldpostbriefen begonnen. Der persönliche Kontakt während des Urlaubs soll allen Genossen gleichfalls raten und helfen. Die Herausgabe dieses Leitfadens mit seinen allgemeinen Richtlinien soll diese Hilfe weiter vertiefen. Dabei muß noch einmal unterstrichen werden, daß das selbständige Erkennen von Situationen und umsichtiges, selbstbewußtes Auftreten jedes einzelnen die Grundvoraussetzung für den Erfolg der Arbeit sind.
II. Das politische Gesicht unserer Arbeit
5. Es gibt für die deutsche Kriegführung keine Chance mehr, den Krieg zu gewinnen. Seine Weiterführung wird damit vollends sinnlos und ein Verbrechen am deutschen Volk und seinen Soldaten. Jeder Soldat, der sich nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen die Weiterführung des Krieges wehrt, macht sich an diesem Verbrechen mitschuldig. Diese Erkenntnis bestimmt Umfang, Inhund Form unserer Aufklärungsarbeit unter den Soldaten. Während die deutschen Kräfte auf allen Gebieten einem dauernden Schwund unterliegen, das deutsche Kriegspotential längst seinen Höhepunkt überschritten hat, macht sich das Anwachsen der gegnerischen Kräfte mit jedem Monat stärker geltend. Jeder Soldat, der darum in diesem Kriege noch auf den Schlachtfeldern fällt, jede Familie, die noch in Feuer und Brand der Luftangriffe umkommt, erhöht das Verbrechen der Kriegsverlängerer ins Ungemessene.
6. So groß die Erkenntnis von der unvermeidlichen deutschen Niederlage auch bereits ist, so groß sind andererseits auch noch die Hindernisse und Widerstände, die einer Ausweitung dieser Erkenntnis zum aktiven Widerstand und Handeln entgegenstehen. Zwei Hindernisse ideologischer Natur sind es im besonderen, die es zu überwinden gilt :
a) Die Furcht des einzelnen Soldaten, für alle Grausamkeiten der deutschen Kriegführung mitverantwortlich gemacht zu werden.
b) Die Wirkung der Nazipropaganda von bolschewistischem Chaos und die Lügen über die angeblichen Verschleppungspläne der Sowjetunion gegenüber der deutschen Arbeiterklasse.
Wir haben hier zu betonen:
Groß ist die Schuld der werktätigen Massen in Deutschland, die faschistische Terrorherrschaft zugelassen zu haben und den Kriegsplänen Hitlers nicht in den Arm gefallen zu sein. Die Summe aller in diesem Kriege von der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS begangenen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung hat diese Schuld noch vermehrt. Wenn nicht durch aktiven Widerstand in letzter Stunde dieses Schuldkonto vermindert wird, besteht sehr wohl die Gefahr, daß bei der Endabrechnung dieses Krieges Volk und Soldaten mit seiner Naziführung identifiziert werden. Nur das selbständige Auftreten antifaschistischer Kräfte in Deutschland und an den Fronten kann das Schlimmste für Volk und Heimat verhindern, während weiter tatenloses Zusehen die Gefahr weiter vergrößert. Entsteht jedoch aus der aktiven Abwehr und dem organisierten Kampf ein neues, antifaschistisches Deutschland, so ist die Furcht vor der Verschleppung völliger Unsinn. Niemand ist an einem starken und stabilen Deutschland, das eine selbständige sozialistische Politik macht, mehr interessiert als die Sowjetunion. "Bolschewismus", das heißt Sozialismus und proletarische Staatsmacht in Deutschland können auf einer ganz anderen Basis zu wirken beginnen, als es den Räten in Rußland möglich war. Kann jemand bezweifeln, daß die russischen Menschen unter Führung der Kommunisten einen gewaltigen Weg zurückgelegt haben, von den primitiven Analphabeten des ersten Weltkrieges bis zu den tapferen Rotarmisten dieses Krieges ?
7. Ein weiteres Hindernis liegt in der panischen Furcht vor dem faschistischen Terror. Gegen diese Furcht hilft nur die Einsicht, daß es sinnvoller und tapferer ist, sein Leben im Kampf gegen die Feinde der deutschen Arbeiterklasse in die Schanze zu schlagen, als in den Massengräbern dieses Weltgemetzels zu vermodern. Außerdem ist heute schon klar: Auch die Folgerichtigkeit und Konsequenz des faschistischen Terrors hat ihren Höhepunkt bereits überschritten. Der allgemeine Zweifel an der Richtigkeit der Nazipolitik hat die Zahl der Denunzianten, deren Vorhandensein ja die wichtigste Voraussetzung für die Ausführung des Terrors ist, entscheidend vermindert. Selbst die Organe des Terrors sind zum Teil heute schon angekränkelt. Der Apparat erscheint stärker, als er in Wirklichkeit noch ist. Darum kommt alles darauf an, die resignierende Tendenz, daß die Existenz des III. Reiches unabänderlich sei, zu zertrümmern und die Risse in den noch verbliebenen Grundlagen der Naziherrschaft aufzuzeigen.
8. Alle politische Agitation unter Soldaten vollzieht sich unter den Losungen des Nationalkomitees "Freies Deutschland", denen wir Kommunisten vorbehaltlos zustimmen können. Auch uns geht es um die Rettung des Reiches, die allein durch die schnellste Beendigung des Krieges und die Beseitigung Hitlers gewährleistet wird. Die Kritik an der verbrecherisch leichtfertigen Strategie Hitlers schafft Aufgeschlossenheit für die Losungen bis weit in die Kreise des Offizierskorps, während zu gleicher Zeit das Verlangen nach Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte, wie Presse-, Glaubens- und Gewissensfreiheit, uns die Sammlung aller Nazigegner möglich macht.
III. Was ist zu tun ?
9. Von der durch Zufälle herbeigeführten zur systematischen Agitation mit bestimmten Zielen und von der Agitation zur Organisierung des aktiven Widerstandes zu kommen, ist der Weg unserer Arbeit. Keine Phantasie reicht aus, um alle Möglichkeiten dazu aufzuzeigen, geschweige denn erschöpfend zu behandeln. Richtschnur ist im allgemeinen: keine Einzelaktionen unserer Genossen. Weder der allgemeinen Stimmung zu weit voraneilen, noch hinter ihr herhinken. Die Stimmung maßgeblich zu formen ist die Aufgabe, in die alle Genossen ihr größtes Geschick legen müssen.
10. Wir wissen, welche Schwierigkeiten dem organisierten Überlaufen ganzer Einheiten im besonderen an der Ostfront im Wege stehen. Wir wissen auch, daß übergelaufene Einheiten als aktive Faktoren für die Weiterführung unseres eigenen Kampfes ausfallen. Dennoch muß dort, wo Überlaufen und Waffenstreckung zu einer Beschleunigung des militärischen Ablaufes führen, wie zum Beispiel bei Einkesselung, auch diese Methode von uns entschlossen zur Anwendung gebracht werden. Auf keinen Fall dürfen unsere Genossen, soweit nicht ihr Leben davon abhängt, als Einzelgänger überlaufen. Es gibt auch Desertieren vor den eigenen Aufgaben.
Seitdem das Nationalkomitee die deutschen Truppen von der Ostfront nicht mehr zur einfachen Waffenstreckung auffordert, sondern den Übergang zum Nationalkomitee und zur deutschen Widerstandsbewegung fördert, zu diesem Zweck auch an allen Abschnitten der Ostfront Frontbevollmächtigte unterhält, das heißt deutsche Offiziere, die gemeinsam mit den Führungsstäben der Roten Armee die Bedingungen und Formen der Überführung deutscher Truppenteile ausarbeiten und festlegen, wird ein entscheidendes Hindernis zu diesem Schritt im Bewußtsein der Soldaten beseitigt. Der Beendigung des Kampfes wird das ehrverletzende Gefühl der Kapitulation genommen. Alle politische Agitation muß den Gedanken, man gibt den Kampf nicht auf, sondern setzt ihn in anderen Formen gegen die wirklichen Feinde des deutschen Volkes fort, herausarbeiten.
Die systematische Verbreitung aller vom Nationalkomitee zu diesem Zweck von der Front verbreiteten Materialien ist dabei eine entscheidende Hilfe.
11. Die Zurücklassung oder Vernichtung von Waffen, Munition oder anderem Kriegsmaterial stellt einen wesentlichen Teil der Schwächung des Hitlerschen Kriegspotentials dar, wobei gerade der Vernichtung von Brennstoffvorräten besondere Bedeutung zukommt. Bei Rückzügen und Absetzbewegungen ist immer wieder dahin zu wirken, daß die Rettung der Menschen wichtiger ist als das Zurückbringen der Ausrüstung.
12. Der Übergang zur Nichtausführung und Sabotage militärischer Befehle, zur selbständigen Aufgabe gefährdeter Stellungen ohne Befehl stellt bereits eine höhere Form aktiven Widerstandes dar. Besonders dort, wo ritterkreuzhungrige Vorgesetzte mit Menschenleben Schindluder treiben, werden sich hierfür am schnellsten Möglichkeiten ergeben.
13. Terror und Gewgegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete, rigorose Vernichtung aller zivilen Sachwerte bei der Räumung von Städten und Ortschaften stoßen schon heute auf innere Ablehnung bei allen Soldaten, die sich ein Maß von Anständigkeit - das sind die meisten - bewahrt haben. Auch hier gilt es einzuhaken und die innere Abneigung bis zur direkten Verweigerung des Gehorsams zu steigern.
14. Urlaubsfragen und Verpflegungsschwierigkeiten sind die brennendsten Fragen im Soldatenleben und oftmals Ursache wachsender Unruhe. Die Unterbrechung der normalen Urlaubsfolge durch die in steigendem Maße notwendig werdenden Urlaube für Ausgebombte beantworten wir mit der Propagierung der Parole: Urlaub für alle Soldaten aus den vom Luftkrieg heimgesuchten Gebieten, und zwar ohne die parteiamtliche Bestätigung der Vernichtung der eigenen Wohnung und Familie. Trotzdem Aufrechterhaltung der regelmäßigen Urlaubsfolge für alle übrigen Soldaten.
15. Kein Genosse kann eine fruchtbringende Tätigkeit ausüben, wenn er sich nur als kleiner oder großer Verschwörer fühlt. Um sich selbst herum einen kleinen Kreis von Vertrauten und Gleichgesinnten zu schaffen, umsichtig sich um das Ergehen jedes einzelnen Kameraden zu kümmern, lose Gruppen unzufriedener Soldaten zu sammeln ist Voraussetzung jeder erfolgversprechenden Arbeit. An vielen Frontabschnitten sind das Nationalkomitee, die deutsche Widerstandsbewegung und der Bund Deutscher Offiziere bereits eine antifaschistische Opposition, von deren Vorhandensein Offiziere und Mannschaften in den verschiedensten Formen erfahren haben. Hier muß das Ziel unserer Genossen sein, aus einem System loser Verbindungen und Gruppenbildungen zu den festen, organisierten Formen, wie sie das Nationalkomitee vorschlägt, vorzustoßen. Die Bildung von Kampfgruppen, die sich bewußt zur deutschen Widerstandsbewegung bekennen und sich in diesem Rahmen organisierte Aufgaben stellen, wird immer dringender politische und organisatorische Notwendigkeit. Richtig ist in jedem Falle, wo der Zusammenfassung von Soldaten organisierter Charakter verliehen wird, muß gleichzeitig eine konkrete Aufgabenstellung damit verbunden werden können, damit diese von großen Gefahren begleitete Arbeit nicht in eine einfache Vereinsgründung ausartet.
16. Je näher der militärische Zusammenbruch rückt, desto intensiver müssen sich alle Genossen mit dem Gedanken auseinandersetzen, in welchen Formen die geschlagenen und zerrütteten deutschen Truppen am Tage des Waffenstillstandes in die Heimat zurückgeführt werden. Niemand kann dafür heute spezielle Richtlinien geben, weil niemand weiß, wann und unter welchen Umständen dieser Augenblick eintreten wird. Darüber hinaus werden sich aus der Lage jedes einzelnen Truppenteiles die vielfältigsten, voneinander verschiedenen Situationen ergeben. Allgemeine Richtschnur ist:
a) Jeder Truppenteil wird nach Möglichkeit geschlossen zurückgeführt.
b) Das spezielle Verhalten der Offiziere bestimmt, ob ihnen bei der Rückführung die Befehlsgewüberlassen bleibt.
c) Die Absetzung und Beseitigung von Offizieren und ihr Ersatz durch neue Führungen, eventuell Räte, muß unter Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin erfolgen, weil alle militärischen Einheiten auch in der Heimat gebraucht werden.
d) Nach dem Sturz Hitlers sind alle Vorräte an Waffen, Ausrüstung, Bekleidung und Lebensmitteln wertvolles Gut des deutschen Volkes und des neuen Deutschlands und müssen dementsprechend behandelt werden.
e) Die Rückführung faschistischer Formationen muß mit allen Mitteln, von der Aufklärung durch politische Agitation bis zum bewaffneten Einsatz, verhindert werden.
Was wir von den Genossen verlangen, ist schwer, wir wissen das ! Aber auch die Arbeit der Partei in der Heimat ist schwer und gefahrvoll. Noch nie war die Ablösung eines überlebten Gesellschaftssystems, dessen Träger sich mit dem Mut der Verzweiflung an ihre Macht und ihre Privilegien klammern, leicht. Immer hat der Kampf Opfer gekostet. Opfer sind auch heute nicht umsonst. Das deutsche Proletariat wird am Ende dieses Krieges über diese Opfer hinweg seinen Siegeszug antreten. Nur die Starken und Tapferen werden dann sagen können:
"Auch ich war dabei, den Boden zu bereiten."
(Material der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe
Ende 1943, Anfang 1944)