Unser Kampf | 22. Kapitel | Inhalt | 24. Kapitel | Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. »Die Akkumulation des Kapitals«, S. 263-275.
1. Korrektur
Erstellt am 20.10.1998

Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals

Dreiundzwanzigste Kapitel.
Die »Disproportionalität« des Herrn Tugan-Baranowski


|263| Wir behandeln diesen Theoretiker zum Schluß - obwohl er seine Auffassung in russischer Sprache schon 1894, vor Struve und Bulgakow, formuliert hatte -, teils weil er erst später in deutscher Sprache seine Theorie in den »Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England« 1901 und in den »Theoretischen Grundlagen des Marxismus« 1905 in reifer Form entwickelt hat, teils weil er derjenige ist, der aus den gemeinsamen Prämissen der genannten marxistischen Kritiker die weitgehendsten Konsequenzen gezogen hat.

Auch Tugan-Baranowski geht wie Bulgakow von der Marxschen Analyse der gesellschaftlichen Reproduktion aus. Auch er hat erst in dieser Analyse den Schlüssel gefunden, um sich in dem ganzen verworrenen und verwirrenden Komplex von Problemen zurechtzufinden. Während aber Bulgakow als begeisterter Adept der Marxschen Lehre diese nur getreu zu entwickeln sich bemüht und seine Schlüsse einfach dem Meister imputiert, belehrt Tugan-Baranowski umgekehrt Marx, der es nicht verstanden habe, seine eigene glänzende Untersuchung des Reproduktionsprozesses zu verwerten. Der wichtigste allgemeine Schluß, zu dem Tugan auf Grund der Marxschen Sätze gelangt und den er zum Angelpunkt seiner ganzen Theorie macht, ist der, daß die kapitalistische Akkumulation - entgegen der Annahme der Skeptiker - nicht bloß bei den kapitalistischen Formen des Einkommens und der Konsumtion möglich, sondern daß sie von Einkommen und Konsumtion überhaupt unabhängig sei. Nicht die Konsumtion - die Produktion selbst sei ihr eigener bester Absatz. Deshalb sei Produktion mit Absatz identisch und, da die Produktionsausdehnung an |264| sich unbeschränkt, habe auch die Aufnahmefähigkeit für ihre Produkte, der Absatz, keine Schranken. »Die angeführten Schemata«, sagt er, »mußten zur Evidenz den an sich sehr einfachen Grundsatz beweisen, welcher aber bei ungenügendem Verständnis des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals leicht Einwände hervorruft, nämlich den Grundsatz, daß die kapitalistische Produktion für sich selbst einen Markt schafft. Ist es nur möglich, die gesellschaftliche Produktion zu erweitern, reichen die Produktivkräfte dazu aus, so muß bei der proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion auch die Nachfrage eine entsprechende Erweiterung erfahren, denn unter diesen Bedingungen repräsentiert jede neuproduzierte Ware eine neuerschienene Kaufkraft für die Erwerbung anderer Waren. Aus der Vergleichung der einfachen Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals mit dessen Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter kann man den höchst wichtigen Schluß ziehen, daß in der kapitalistischen Wirtschaft die Nachfrage nach Waren vom Gesamtumfang der gesellschaftlichen Konsumtion in einem gewissen Sinne unabhängig ist: Es kann der Gesamtumfang der gesellschaftlichen Konsumtion zurückgehen und zugleich die gesamte gesellschaftliche Nachfrage nach Waren wachsen, wie absurd das auch vom Standpunkte des 'gesunden' Menschenverstandes erscheinen mag.«(1) Und ebenso weiter: »Als Resultat unserer abstrakten Analyse des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals hat sich der Schluß ergeben, daß es bei einer proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion kein überschüssiges gesellschaftliches Produkt geben kann.«(2) Von hier aus revidiert Tugan die Marxsche Krisentheorie, die angeblich auf der Sismondischen »Unterkonsumtion« beruhe: »Die verbreitete Meinung, die bis zu einem gewissen Grade auch von Marx geteilt wurde, daß das Elend der Arbeiter, welche die große Mehrzahl der Bevölkerung bilden, eine Realisation der Produkte der sich immer erweiternden kapitalistischen Produktion wegen mangelnder Nachfrage unmöglich macht - ist als falsch zu bezeichnen. Wir haben gesehen, daß die kapitalistische Produktion für sich selbst einen Markt schafft - die Konsumtion ist nur eines der Momente der kapitalistischen Produktion. Wenn die gesellschaftliche Produktion planmäßig organisiert wäre, wenn die Leiter der Produktion eine vollkommene Kenntnis der Nachfrage und die Macht hätten, die Arbeit und das Kapital frei aus einem Produktionszweig in einen anderen überzuführen, so könnte, wie niedrig die gesellschaftliche Konsumtion auch sein möchte, das Angebot |265| der Waren die Nachfrage nicht überschreiten.«(3) Der einzige Umstand, der periodisch eine Marktüberfüllung erzeugt, sei der Mangel an Proportionalität bei der Produktionserweiterung. Den Gang der kapitalistischen Akkumulation unter dieser Voraussetzung schildert Tugan folgendermaßen: »Was würden ... die Arbeiter ... bei einer proportionellen Einteilung der Produktion produzieren? Offenbar ihre eigenen Lebensmittel und Produktionsmittel. Wozu werden aber solche dienen? Zur Erweiterung der Produktion im zweiten Jahre. Der Produktion welcher Produkte? Wieder der Produktionsmittel und Lebensmittel der Arbeiter - und so ad infinitum.«(4) Dieses Frage- und Antwortspiel ist wohlgemerkt nicht als Selbstpersiflage, sondern völlig ernst gemeint. Und so ergeben sich für die Kapitalakkumulation unendliche Perspektiven: »Ist ... die Ausdehnung der Produktion praktisch grenzenlos, so müssen wir die Ausdehnung des Marktes als ebenso grenzenlos annehmen, denn es gibt bei der proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion für die Ausdehnung des Marktes keine andere Schranke außer den Produktivkräften, über welche die Gesellschaft verfügt(5)

Da so die Produktion selbst ihren Absatz schafft, so bekommt auch der auswärtige Handel der kapitalistischen Staaten die eigentümliche mechanische Rolle zugewiesen, die wir schon bei Bulgakow kennengelernt haben. Der auswärtige Absatzmarkt ist z.B. für England unbedingt notwendig. »Beweist das nicht, daß die kapitalistische Produktion ein überschüssiges Produkt schafft, für welches auf dem inneren Markte kein Platz vorhanden ist? Warum bedarf England überhaupt eines auswärtigen Marktes? Die Antwort ist keine schwere. Darum, weil ein bedeutender Teil der Kaufkraft Englands für die Anschaffung ausländischer Waren verausgabt wird. Die Einfuhr ausländischer Waren für den inneren Markt Englands macht auch die Ausfuhr englischer Waren für den auswärtigen Markt absolut notwendig. Da England ohne einen ausländischen Import nicht auskommen kann, so ist auch ein Export für dieses Land eine Existenzbedingung, sonst hätte es nichts, womit es für seinen Import bezahlen könnte.«(6) Hier ist also wieder die landwirtschaftliche Einfuhr als der stimulierende, ausschlaggebende Faktor bezeichnet, und ebenso finden wir die zwei Kategorien Länder »eines landwirtschaftlichen und eines industriellen Typus«, die von Natur auf den Austausch untereinander angewiesen sind ganz nach dem Schema deutscher Professoren.

|266| Welches ist nun die Beweisführung für die kühne Lösung des Akkumulationsproblems bei Tugan-Baranowski, von der aus er auch das Problem der Krisen und eine ganze Reihe anderer beleuchtet? Es ist kaum zu glauben, aber um so wichtiger festzustellen: Die Beweisführung Tugans besteht einzig und allein im Marxschen Schema der erweiterten Reproduktion. Ni plus ni moins. Tugan-Baranowski spricht zwar an mehreren Stellen etwas großspurig von seiner »abstrakten Analyse des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals«, von »zwingender Logik« seiner Analyse, die ganze »Analyse« reduziert sich jedoch auf die Abschrift des Marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion, nur mir anders gewählten Zahlen. In der ganzen Studie Tugans wird man keine Spur eines anderen Beweises finden. In dem Marxschen Schema verläuft nun tatsächlich die Akkumulation, die Produktion, die Realisierung, der Austausch, die Reproduktion glatt wie am Schnürchen. Und ferner kann man diese »Akkumulation« auch tatsächlich »ad infinitum« fortsetzen. Nämlich solange Papier und Tinte reichen. Und diese seine harmlose Übung mit arithmetischen Gleichungen auf dem Papier gibt Tugan-Baranowski in vollem Ernst für den Beweis aus, daß die Dinge sich ebenso in Wirklichkeit abspielen. »Die angeführten Schemata mußten zur Evidenz beweisen ...« Und an einer anderen Stelle widerlegt er Hobson, der von der Unmöglichkeit der Akkumulation überzeugt ist, folgendermaßen: »Das Schema Nr. 2 der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals auf erweiterter Stufenleiter entspricht dem von Hobson betrachteten Falle der Akkumulation des Kapitals. Sehen wir aber in diesem Schema ein überschüssiges Produkt entstehen? In keiner Weise!« (7) Also weil »im Schema« kein überschüssiges Produkt entsteht, so ist Hobson auch schon widerlegt und die Sache erledigt.

Freilich, Tugan-Baranowski weiß sehr wohl, daß in der rauhen Wirklichkeit die Dinge nicht so glatt verlaufen. Es gibt beständige Schwankungen beim Austausch und periodische Krisen. Aber die Krisen treten eben nur deshalb ein, weil keine Proportionalität bei der Produktionserweiterung beobachtet wird, d.h. weil man sich im voraus nicht an die Proportionen des »Schemas Nr. 2« hält. Wäre [man] nach dem verfahren, dann hätten wir keine Krisen, und alles ginge in der kapitalistischen Produktion so hübsch vonstatten wie auf dem Papier. Nun wird Tugan zugeben müssen, daß man - wo wir den Reproduktionsprozeß im ganzen als einen fortlaufenden Prozeß behandeln - von den Krisen füglich absehen darf. Die »Proportionalität« mag alle Augenblicke aus den Fugen gehen, im Durch- |267| schnitt der Konjunkturen durch lauter Abweichungen, durch Preisschwankungen täglich und durch Krisen periodisch wird ja die »Proportionalität« immer wieder eingerenkt. Daß sie im ganzen schlecht oder recht tatsächlich eingehalten wird, beweist der Umstand, daß die kapitalistische Wirtschaft fortbesteht und sich entwickelt, sonst hätten wir längst ein Tohuwabohu und den Zusammenbruch erlebt. Im Durchschnitt, im Endresultat wird also die Tugansche Proportionalität eingehalten, woraus zu schließen, daß die Wirklichkeit sich nach »Schema Nr. 2« richtet. Und weil dieses Schema sich unendlich weiterführen läßt, so kann auch die Kapitalakkumulation ad infinitum fortschreiten.

Auffallend ist bei alledem nicht das Resultat, zu dem Tugan-Baranowski gelangt, nämlich die Annahme, daß das Schema tatsächlich dem Gang der Dinge entspricht - wir sahen, daß auch Bulgakow diesen Glauben teilte -, sondern der Umstand, daß Tugan nicht einmal für nötig hält, die Frage danach zu stellen, ob denn das »Schema« stimmt, daß er, statt das Schema zu beweisen, umgekehrt das Schema selbst, die arithmetische Übung auf dem Papier, für einen Beweis betrachtet, daß auch in Wirklichkeit die Dinge sich so verhalten. Bulgakow suchte das Marxsche Schema mit ehrlicher Mühe auf die wirklichen konkreten Verhältnisse der kapitalistischen Wirtschaft und des kapitalistischen Austausches zu projizieren, suchte sich durch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, durchzuringen, was er freilich nicht fertiggebracht hat und wobei er schließlich in der Analyse von Marx steckenblieb, die er selbst mit voller Klarheit als unfertig, abgebrochen ansah. Tugan-Baranowski braucht gar keine Beweise, er zerbricht sich nicht viel den Kopf: Da sich die arithmetischen Proportionen zur Zufriedenheit lösen und nach Belieben fortsetzen lassen, so ist ihm das just ein Beweis, daß sich die kapitalistische Akkumulation - vorbehaltlich der bewußten »Proportionalität«, die aber, wie auch Tugan nicht bestreiten wird, vorn oder hinten doch hineinkommt - ebenso restlos und unendlich fortwinden könne.

Tugan-Baranowski hat freilich einen indirekten Beweis, daß das Schema mit seinen seltsamen Ergebnissen der Wirklichkeit entspricht, ihr treues Spiegelbild darstellt. Das ist die Tatsache, daß in der kapitalistischen Gesellschaft, ganz im Einklang mit dem Schema, die menschliche Konsumtion hinter die Produktion gesetzt, jene zum Mittel, diese zum Selbstzweck wie auch menschliche Arbeit der »Arbeit« der Maschine gleichgesetzt werde: »Der technische Fortschritt gelangt darin zum Ausdruck, daß die Bedeutung der Arbeitsmittel, der Maschine immer mehr, im Vergleich mit der lebendigen Arbeit, dem Arbeiter selbst, zunimmt. Die Produktions- |268| mittel spielen eine immer größere Rolle im Produktionsprozeß und auf dem Warenmarkt. Der Arbeiter tritt gegenüber der Maschine in den Hintergrund, und zugleich tritt in den Hintergrund die aus der Konsumtion des Arbeiters entstehende Nachfrage im Vergleich mit der Nachfrage, welche aus der produktiven Konsumtion der Produktionsmittel entsteht. Das ganze Getriebe der kapitalistischen Wirtschaft nimmt den Charakter eines gleichsam für sich selbst existierenden Mechanismus an, in welchem die Konsumtion der Menschen als ein einfaches Moment des Prozesses der Reproduktion und der Zirkulation des Kapitals erscheint.«(8) Diese Entdeckung betrachtet Tugan als das Grundgesetz der kapitalistischen Wirtschaftsweise, und ihre Bestätigung kommt in einem ganz handgreiflichen Phänomen zum Ausdruck: Mit dem Fortgang der kapitalistischen Entwicklung wächst die Abteilung der Produktionsmittel im Verhältnis zur Abteilung der Konsumtionsmittel und auf ihre Kosten immer mehr. Gerade Marx hat bekanntlich dieses Gesetz selbst aufgestellt, und seine schematische Darstellung der Reproduktion beruht auf diesem Gesetz, obschon Marx die dadurch herbeigeführten Verschiebungen der Einfachheit halber nicht in der weiteren Entwicklung seines Schemas zahlenmäßig berücksichtigt hat. Hier also, in dem automatischen Wachstum der Abteilung der Produktionsmittel im Vergleich zu der Abteilung der Konsumtionsmittel hat Tugan den einzigen objektiven exakten Beweis für seine Theorie gefunden, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die menschliche Konsumtion immer unwichtiger, die Produktion immer mehr Selbstzweck wird. Diesen Gedanken macht er zum Eckstein seines ganzen theoretischen Gebäudes. »In allen industriellen Staaten«, verkündet er, »tritt uns dieselbe Erscheinung entgegen - überall folgt die Entwicklung der Volkswirtschaft demselben fundamentalen Gesetz. Die Montanindustrie, welche die Produktionsmittel für die moderne Industrie schafft, wird immer mehr in den Vordergrund gerückt. Somit kommt in der relativen Abnahme des Exports derjenigen britischen Fabrikate, die in den unmittelbaren Verbrauch eingehen, auch das Grundgesetz der kapitalistischen Entwicklung zum Ausdruck: Je mehr die Technik fortschreitet, desto mehr treten die Konsumtionsmittel zurück gegenüber den Produktionsmitteln. Die Menschenkonsumtion spielt eine immer geringere Rolle gegenüber der produktiven Konsumtion der Produktionsmittel ...«(9)

Wiewohl Tugan auch dieses »fundamentale Gesetz« leibhaftig und fertig direkt von Marx bezogen hat, wie seine sämtlichen » fundamentalen« |269| Gedanken sonst, sofern sie etwas Greifbares und Exaktes darstellen, so ist er wieder damit nicht zufrieden und beeilt sich, Marx sofort mit der von Marx bezogenen Weisheit zu belehren. Marx habe da wieder wie ein blindes Huhn eine Perle gefunden, wisse aber nicht, was er damit anfangen soll. Erst Tugan-Baranowski hat die »fundamentale« Entdeckung für die Wissenschaft zu fruktifizieren verstanden, in seiner Hand beleuchtet plötzlich das gefundene Gesetz das gesamte Getriebe der kapitalistischen Wirtschaft: Hier in diesem Gesetz des Wachstums der Abteilung der Produktionsmittel auf Kosten der Abteilung der Konsumtionsmittel kommt klar, deutlich, exakt, meßbar zum Ausdruck, daß für die kapitalistische Gesellschaft die menschliche Konsumtion immer unwichtiger, daß der Mensch von ihr dem Produktionsmittel gleichgesetzt wird, daß also Marx gründlich irrte, einmal als er annahm, daß nur der Mensch den Mehrwert schaffe und nicht auch die Maschine, daß die menschliche Konsumtion eine Schranke für die kapitalistische Produktion darstelle, woraus sich heute periodische Krisen und morgen der Zusammenbruch und das Ende mit Schrecken der kapitalistischen Wirtschaft ergeben müßten.

Kurz, in dem »Grundgesetz« des Wachstums der Produktionsmittel auf Kosten der Konsumtionsmittel spiegelt sich die kapitalistische Gesellschaft als Ganzes mit ihrem spezifischen Wesen, wie es von Marx nicht verstanden und von Tugan-Baranowski endlich glücklich entziffert worden ist.

Wir haben schon früher gesehen, welche entscheidende Rolle das besagte kapitalistische »Grundgesetz« in der Kontroverse der russischen Marxisten mit den Skeptikern spielte. Bulgakows Äußerungen kennen wir. Genauso drückt sich ein anderer Marxist in seiner Polemik gegen die »Volkstümler«, der von uns bereits erwähnte W. Iljin, aus:

»Bekanntlich besteht das Entwicklungsgesetz des Kapitals darin, daß das konstante Kapital schneller wächst als das variable, d.h., ein immer größerer Teil der sich neu bildenden Kapitalien wendet sich der Produktionsmittel erzeugenden Abteilung der gesellschaftlichen Produktion zu. Folglich wächst diese Abteilung notwendigerweise schneller als die Konsumtionsmittel erzeugende Abteilung, d.h., es tritt gerade das ein, was Sismondi als 'unmöglich', 'gefährlich' usw. hinstellte. Folglich nehmen die Produkte der individuellen Konsumtion in der Gesamtmasse der kapitalistischen Produktion einen immer geringeren Platz ein. Und das entspricht völlig der historischen 'Mission' des Kapitalismus und seiner spezifischen sozialen Struktur: die erste besteht gerade in der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft (Produktion für die Produktion); |270| die zweite schließt ihre Utilisation durch die Masse der Bevölkerung aus.« (10) [Hervorhebung - R. L.]

Tugan-Baranowski geht natürlich auch hier weiter als die anderen. In seinem Gefallen an Paradoxen leistet er sich sogar den Witz, mathematisch den Nachweis zu liefern, daß die Akkumulation des Kapitals und die Produktionserweiterung sogar bei absolutem Rückgang der Konsumtion möglich sei. Hier ertappt ihn K. Kautsky bei einem wissenschaftlich wenig salonfähigen Manöver, nämlich dabei, daß er seine kühne Deduktion ausschließlich auf einen spezifischen Moment: den Übergang von der einfachen zur erweiterten Reproduktion, zugeschnitten hat, einen Moment, der theoretisch nur als Ausnahme gedacht werden kann, praktisch aber überhaupt nicht in Betracht kommt.(11)

|271| Was das Tugansche »Grundgesetz« betrifft, so erklärt es Kautsky für bloßen Schein, der sich deshalb ergäbe, weil Tugan-Baranowski nur die Gestaltung der Produktion in den alten Ländern der kapitalistischen |272| Großindustrie ins Auge fasse: »Es ist richtig«, sagt Kautsky, »daß die Zahl der Produktionsstätten, in denen die Produkte direkt für den persönlichen Konsum fertiggemacht werden, mit fortschreitender Arbeitsteilung verhältnismäßig immer mehr sinkt gegenüber den anderen Produktionsstätten, die jenen und einander Werkzeuge, Maschinen, Rohmaterialien, Transportmittel usw. liefern. Während in der ursprünglichen Bauernwirtschaft der Flachs von dem Betrieb, der ihn gewann, auch mit eigenen Werkzeugen verarbeitet und für den menschlichen Verbrauch fertiggemacht wurde, sind jetzt vielleicht Hunderte von Betrieben an der Herstellung eines Hemds beteiligt, an der Herstellung der Rohbaumwolle, der Produktion der Eisenschienen, Lokomotiven und Waggons, die sie nach dem Hafen bringen« usw. »Bei der internationalen Arbeitsteilung kommt es dahin, daß einzelne Länder - die alten Industrieländer - ihre Produktion zum persönlichen Konsum nur noch langsam ausdehnen können, während die Produktion von Produktionsmitteln bei ihnen noch rasche Fortschritte macht und für den Pulsgang ihres ökonomischen Lebens viel bestimmender wird als die der Produktion von Konsumtionsmitteln. Wer die Sache nur vom Standpunkt der betreffenden Nation ansieht, kommt dann leicht zur Ansicht, die Produktion von Produktionsmitteln könne dauernd rascher wachsen als die von Konsumtionsmitteln, sie sei an diese nicht gebunden.«

Letzteres, d.h. die Ansicht, als sei die Produktion von Produktionsmitteln von der Konsumtion unabhängig, ist natürlich eine vulgärökonomische Luftspiegelung Tugan-Baranowskis. Nicht so die Tatsache, mit der er diesen Trugschluß begründen will: das raschere Wachstum der Abteilung der Produktionsmittel im Vergleich zu derjenigen der Konsumtionsmittel. Diese Tatsache läßt sich gar nicht bestreiten, und zwar nicht bloß für alte Industrieländer, sondern überall, wo technischer Fortschritt die Produktion beherrscht. Auf ihr beruht auch das Marxsche Fundamentalgesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Aber trotzdem oder gerade deshalb ist es ein großer Irrtum, wenn Bulgakow, Iljin und Tugan-Baranowski wähnen, in diesem Gesetz das spezifische Wesen der kapitalistischen Wirtschaft als einer, für die Produktion Selbstzweck, menschliche Konsumtion bloß Nebensache sei, entschleiert zu haben.

Das Wachstum des konstanten Kapitals auf Kosten des variablen ist nur der kapitalistische Ausdruck der allgemeinen Wirkungen der steigenden Produktivität der Arbeit. Die Formel c | v, aus der kapitalistischen Sprache in die Sprache des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses übertragen, heißt nur soviel: je höher die Produktivität der menschlichen Arbeit, um |273| so kürzer die Zeit, in der sie ein gegebenes Quantum Produktionsmittel in fertige Produkte verwandelt.(12) Das ist ein allgemeines Gesetz der menschlichen Arbeit, das ebensogut unter allen vorkapitalistischen Produktionsformen Geltung hatte, wie es in der Zukunft in der sozialistischen Gesellschaftsordnung gelten wird. Ausgedrückt in der sachlichen Gebrauchsgestdes gesellschaftlichen Gesamtprodukts, muß sich dieses Gesetz äußern in einer immer größeren Verwendung der gesellschaftlichen Arbeitszeit auf Herstellung von Produktionsmitteln im Vergleich zur Herstellung von Konsummitteln. Ja, diese Verschiebung müßte in einer sozialistisch organisierten, planmäßig geleiteten gesellschaftlichen Wirtschaft noch bedeutend rascher vor sich gehen als in der gegenwärtigen kapitalistischen. Erstens wird die Anwendung der rationellen wissenschaftlichen Technik auf breitester Grundlage in der Landwirtschaft erst möglich, wenn |274| die Schranken des privaten Grundbesitzes beseitigt sind. Daraus wird sich auf einem großen Gebiete der Produktion eine gewaltige Umwälzung ergeben, die im allgemeinen Resultat auf eine umfangreiche Verdrängung der lebendigen Arbeit durch Maschinenarbeit hinausläuft und die Inangriffnahme technischer Aufgaben größten Stils herbeiführen wird, für die heute keine Bedingungen vorhanden sind. Zweitens wird die Anwendung der Maschinerie überhaupt im Produktionsprozeß auf eine neue ökonomische Basis gestellt werden. Gegenwärtig tritt die Maschine nicht mit der lebendigen Arbeit, sondern bloß mit dem bezahlten Teil der lebendigen Arbeit in Konkurrenz. Die unterste Grenze der Anwendbarkeit der Maschine in der kapitalistischen Produktion ist mit den Kosten der durch sie verdrängten Arbeitskraft gegeben. Das heißt, für den Kapitalisten kommt eine Maschine erst dann in Betracht, wenn ihre Produktionskosten - bei gleicher Leistungsfähigkeit - weniger betragen als die Löhne der durch sie verdrängten Arbeiter. Vom Standpunkte des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, der allein in der sozialistischen Gesellschaft maßgebend sein kann, muß die Maschine nicht mit der zur Erhaltung der Arbeitenden notwendigen Arbeit, sondern mit der von ihnen geleisteten Arbeit in Konkurrenz treten. Das besagt soviel, daß für eine Gesellschaft, in der nicht Profitstandpunkt, sondern Ersparnis der menschlichen Arbeit maßgebend ist, die Anwendung der Maschine schon dann ökonomisch geboten wäre, wenn ihre Herstellung weniger Arbeit kostet, als sie an lebendiger Arbeit erspart. Wir sehen davon ab, daß in vielen Fallen, wo die Gesundheit und dergleichen Rücksichten auf die Interessen der Arbeitenden selbst in Frage kommen, die Anwendbarkeit der Maschine in Betracht kommen kann, auch wenn sie nicht einmal diese ökonomische Minimalgrenze der Ersparnis erreicht. Jedenfalls ist die Spannung zwischen der ökonomischen Anwendbarkeit der Maschinen in der kapitalistischen und in der sozialistischen Gesellschaft mindestens gleich der Differenz zwischen der lebendigen Arbeit und ihrem bezahlten Teil, d.h., sie kann genau gemessen werden durch den ganzen kapitalistischen Mehrwert. Daraus folgt, daß mit der Beseitigung der kapitalistischen Profitinteressen und der Einführung der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit die Grenze für die Anwendung der Maschinen sich plötzlich um die ganze Größe des kapitalistischen Mehrwerts hinausschieben, ihrem Eroberungszug sich ein enormes, unübersehbares Feld eröffnen wird. Es müßte sich dann handgreiflich zeigen, daß die kapitalistische Produktionsweise, die angeblich zur äußersten Entwicklung der Technik anstachelt, tatsächlich in dem ihr zugrunde liegenden Profitinteresse eine hohe soziale Schranke für den technischen Fort- |275| schritt aufrichtet und daß mit der Niederreißung dieser Schranke der technische Fortschritt mit einer Macht vorwärtsdrängen wird, gegen die die technischen Wunder der kapitalistischen Produktion wie ein Kinderspiel erscheinen dürften.

Ausgedrückt in der Zusammensetzung des gesellschaftlichen Produkts, kann dieser technische Umschwung nur bedeuten, daß die Produktion von Produktionsmitteln in der sozialistischen Gesellschaft - an Arbeitszeit gemessen - noch unvergleichlich rascher anwachsen muß im Vergleich zur Produktion von Konsummitteln als heute. Und so stellt sich das Verhältnis der beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion, in dem die russischen Marxisten einen spezifischen Ausdruck der kapitalistischen Verworrenheit, der Mißachtung für die menschlichen Konsumtionsbedürfnisse gepackt zu haben wähnten, vielmehr als der genaue Ausdruck der fortschreitenden Beherrschung der Natur durch die gesellschaftliche Arbeit heraus, ein Ausdruck, der am ausgeprägtesten just dann hervortreten müßte, wenn die menschlichen Bedürfnisse der allein maßgebende Gesichtspunkt der Produktion sein werden. Der einzige objektive Beweis für das »Fundamentalgesetz« Tugan-Baranowskis bricht somit als ein »fundamentales« Quiproquo zusammen, und seine ganze Konstruktion, aus der er auch die »neue Krisentheorie« mitsamt der » Disproportionalität« abgeleitet hat, wird reduziert auf ihre papierene Grundlage: auf das von Marx sklavisch abgeschriebene Schema der erweiterten Reproduktion.


Fußnoten von Rosa Luxemburg

(1) Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England, Jena 1901, S. 25. <=

(2) l.c., S. 34. <=

(3) l.c., S. 33. <=

(4) l.c., S. 191. <=

(5) l.c., S. 231. Hervorhebung im Original. <=

(6) l.c., S. 35. <=

(7) l.c., S. 191. <=

(8) l.c., S. 27. <=

(9) l.c., S. 58. <=

(10) Wladimir Iljin: Ökonomische Studien und Artikel. Zar Charakteristik des ökonomischen Romantizismus, Petersburg 1899, S. 20. [W. I. Lenin: Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik. In: Werke, Bd. 2, S. 149.] Demselben Verfasser gehört übrigens die Behauptung, daß die erweiterte Reproduktion erst mit dem Kapitalismus beginnt. Iljin hat nicht bemerkt, daß wir mit der einfachen Reproduktion, die er als Gesetz für alle vorkapitalistischen Produktionsweisen annimmt, wahrscheinlich heute noch über den paläolithischen Schaber nicht hinaus wären. <=

(11) Krisentheorien. In: Die Neue Zeit. 20. Jg., Zweiter Band, S. 116. Wenn K. Kautsky durch die Fortsetzung des Schemas der erweiterten Reproduktion Tugan ziffernmäßig beweist, daß die Konsumtion unbedingt wuchsen müsse, und zwar »genau in demselben Verhältnis wie die Wertmasse der Produktionsmittel«, so ist dazu zweierlei zu bemerken. Erstens ist dabei von Kautsky, wie auch von Marx in seinem Schema, der Fortschritt der Produktivität der Arbeit nicht berücksichtigt, wodurch die Konsumtion relativ größer erscheint als der Wirklichkeit entsprechen würde. Zweitens aber ist das Wachstum der Konsumtion, auf das Kautsky hier verweist, selbst Folge, Ergebnis der erweiterten Reproduktion, nicht ihre Grundlage und ihr Zweck, es ergibt sich in der Hauptsache aus dem gewachsenen variablen Kapital, aus der wachsenden Verwendung neuer Arbeiter. Die Erhaltung dieser Arbeiter kann aber nicht als Zweck und Aufgabe der Erweiterung der Reproduktion betrachtet werden, sowenig übrigens wie die zunehmende persönliche Konsumtion der Kapitalistenklasse. Der Hinweis Kautskys schlägt also wohl die Spezialschrulle Tugans zu Boden: den Einfall, eine erweiterte Reproduktion bei absoluter Abnahme der Konsumtion zu konstruieren; er geht hingegen nicht auf die Grundfrage des Verhältnisses von Produktion zur Konsumtion vom Standpunkte des Reproduktionsprozesse ein. Wir lesen zwar an einer anderen Stelle desselben Aufsatzes: »Die Kapitalisten und die von ihnen ausgebeuteten Arbeiter bilden einen mit der Zunahme des Reichtums der ersteren und der Zahl der letzteren zwar stets wachsenden, aber nicht so rasch wie die Akkumulation des Kapitals und die Produktivität der Arbeit anwachsenden und für sich allein nicht ausreichenden Markt für die von der kapitalistischen Großindustrie geschaffenen Konsummittel. Diese muß einen zusätzlichen Markt außerhalb ihres Bereiches in den noch nicht kapitalistisch produzierenden Berufen und Nationen suchen. Den findet sie auch, und sie erweitert ihn ebenfalls immer mehr, aber ebenfalls nicht rasch genug. Denn dieser zusätzliche Markt besitzt bei weitem nicht die Elastizität und Ausdehnungsfähigkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses. Sobald die kapitalistische Produktion zur entwickelten Großindustrie geworden ist, wie dies in England schon im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts der Fall war, erhält sie die Möglichkeit derartiger sprunghafter Ausdehnung, daß sie jede Erweiterung des Marktes binnen kurzem überholt. So ist jede Periode der Prosperität, die einer erheblichen Erweiterung des Marktes folgt, von vornherein zur Kurzlebigkeit verurteilt, und die Krise wird ihr notwendiges Ende. Dies in kurzen Zügen die, soweit wir sehen, von den 'orthodoxen' Marxisten allgemein angenommen, von Marx begründete Krisentheorie.« (l.c., S. 80.) Kautsky befaßt sich aber damit nicht, die Auffassung von der Realisierung des Gesamtprodukts mit dem Marxschen Schema der erweiterten Reproduktion in Einklang zu bringen, vielleicht aus dem Grunde, weil er, wie auch das Zitat zeigt, das Problem ausschließlich unter dem Gesichtswinkel dar Krisen, d.h. vom Standpunkte des gesellschaftlichen Produkts als einer unterschiedslosen Warenmasse in ihrer Gesamtmenge, nicht unter dem Gesichtswinkel seiner Gliederung im Reproduktionsprozeß, behandelt,

An diese letztere Frage tritt anscheinend näher L. Boudin heran, der in seiner glänzenden Kritik desselben Tugan-Baranowski die Formulierung gibt: »Das in den kapitalistischen Ländern produzierte Mehrprodukt hat - mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen - nicht darum die Räder den Produktion in ihrem Lauf gehemmt, weil die Produktion geschickter in die verschiedenen Sphären verteilt wurden ist oder weil aus der Produktion von Baumwollwaren eine Produktion von Maschinen geworden ist, sondern deshalb, weil auf Grund der Tatsache, daß sich einige Länder früher kapitalistisch umentwickelt haben als andere und daß es auch jetzt noch einige kapitalistisch unentwickelt gebliebene gibt, die kapitalistischen Länder wirklich eine außerhalb liegende Welt haben, in welche sie die von ihnen nicht selbst zu verbrauchenden Produkte hineinwerfen konnten, gleichviel, ob diese Produkte nun in Baumwoll- oder Eisenwaren bestanden. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß die Wandlung von den Baumwoll- zu den Eisenwaren als führendem Produkt der hauptsächlichen kapitalistischen Länder etwa bedeutungslos wäre. Im Gegenteil, sie ist von der größten Wichtigkeit. Aber ihre Bedeutung ist eine ganz andere, als Tugan-Baranowski ihr beilegt. Sie zeigt den Anfang vom Ende des Kapitalismus. Solange die kapitalistischen Länder Waren zur Konsumtion ausführten, solange war noch Hoffnung für den Kapitalismus in jenen Ländern. Da war noch nicht die Rede davon, wie groß die Aufnahmefähigkeit der nichtkapitalistischen Außenwelt für die kapitalistisch produzierten Waren wäre und wie lange sie noch dauern würde. Das Anwachsen der Maschinenfabrikation im Export der kapitalistischen Hauptländer auf Kosten der Konsumtionsgüter zeigt, daß Gebiete, welche früher abseits vom Kapitalismus standen und deshalb als Abladestelle für sein Mehrprodukt dienten, nunmehr in das Getriebe des Kapitalismus hineingezogen worden sind, zeigt, daß, da ihr eigener Kapitalismus sich entwickelt, sie ihre eigenen Konsumtionsgüter selbst produzieren. Jetzt, wo sie erst im Anfangsstadium ihrer kapitalistischen Entwicklung sind, brauchen sie noch die kapitalistisch produzierten Maschinen. Aber bald genug werden sie sie nicht mehr brauchen. Sie werden ihre eigenen Eisenwaren produzieren, genauso wie sie jetzt ihre eigenen Baumwoll- und andere Konsumtionswaren erzeugen. Dann werden sie nicht nur aufhören, eine Aufnahmestelle für das Mehrprodukt der eigentlichen kapitalistischen Länder zu sein, vielmehr werden sie selbst ein Mehrprodukt erzeugen, das sie nur schwer unterbringen können.« (Mathematische Formeln gegen Karl Marx. In: Die Neue Zeit, 25 Jg. Erster Band, S. 604.) Baudin gibt hier sehr wichtige Ausblicke auf die großen Verknüpfungen in der Entwicklung des internationalen Kapitalismus. Weiter kommt er in diesem Zusammenhang logisch auf die Frage des Imperialismus. Leider spitzt er seine scharfe Analyse zum Schluß nach einer falschen Seite zu, indem er die ganze militärische Produktion und das System der internationalen Kapitalausfuhr nach nichtkapitalistischen Ländern unter den Begriff der »Verschwendung« bringt. - Im übrigen ist festzustellen, daß Boudin, genau wie Kautsky, das Gesetz des rascheren Wachstums der Abteilung der Produktionsmittel im Vergleich zur Abteilung der Lebensmittel für eine Täuschung Tugan-Baranowskis hält. <=

(12) »Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens usw. und vom Geschick unabhängig und isoliert arbeitender Produzenten, das sich jedoch mehr qualitativ in der Güte als quantitativ in der Masse des Machwerks bewährt, drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der Arbeit aus im relativen Größenumfang der Produktionsmittel, welche ein Arbeiter, während gegebener Zeit mit derselben Anspannung von Arbeitskraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funktioniert, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktionsmittel spielen dabei eine doppelte Rolle. Das Wachstum der einen ist Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Z.B. mit der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit und der Anwendung von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet, tritt also größere Masse von Rohmaterial und Hilfsstoffen in den Arbeitsprozeß ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit. Andrerseits ist die Masse der angewandten Maschinerie, Arbeitsviehs, mineralischen Düngers, Drainierungsröhren usw. Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten, Riesenöfen, Transportmitteln usw. konzentrierten Produktionsmittel. Ob aber Bedingung oder Folge, der wachsende Größenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Abnahme der Arbeitsmasse verhältnismäßig zu der von ihr bewegten Masse von Produktionsmitteln oder in der Größenabnahme des subjektiven Faktors des Arbeitsprozesses, verglichen mit seinen objektiven Faktoren.« (Das Kapital, Bd. I, S. 586.) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/ Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 650/651.] Und noch an einer anderen Stelle: »Man hat früher gesehn, daß mit der Entwicklung der Produktivität der Arbeit, also auch mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise - welche die gesellschaftliche Produktivität der Arbeit mehr entwickelt als alle früheren Produktionsweisen -, die Masse der in der Form von Arbeitsmitteln dem Prozeß ein für allemal einverleibten und stets wiederholten, während längrer oder kürzrer Periode in ihm fungierenden Produktionsmittel (Gebäude, Maschinen etc.) beständig wächst und daß ihr Wachstum sowohl Voraussetzung wie Wirkung der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit ist. Das nicht nur absolute, sondern relative Wachstum des Reichtums in dieser Form (vgl. Buch I, Kap. XXIII, 2.) charakterisiert vor allem die kapitalistische Produktionsweise. Die stofflichen Existenzformen des konstanten Kapitals, die Produktionsmittel, bestehn aber nicht nur aus derartigen Arbeitsmitteln, sondern auch aus Arbeitsmaterial auf den verschiedenen Stufen der Verarbeitung und aus Hilfsstoffen. Mit der Stufenleiter der Produktion und der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit durch Kooperation, Teilung, Maschinerie usw. wächst die Masse des Rohmaterials, der Hilfsstoffe etc., die in den täglichen Reproduktionsprozeß eingehn« (Das Kapital, Bd. II. S. 112.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 142/143.] <=


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