Unser Kampf | | | III. 3. | | | Inhalt | | | IV. 1. | | | Rosa Luxemburg |
Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut
für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975.
»Einführung in die Nationalökonomie«, S. 727-731.
1. Korrektur
Erstellt am 20.10.1998
|727| Nachdem die Warenwirtschaft die herrschende Form der Produktion in Europa wenigstens in den Städten geworden war, in 18. Jahrhundert, fangen die Gelehrten an, die Frage zu untersuchen, worauf diese Wirtschaft, das heißt der allgemeine Austausch, beruht. Aller Austausch wird durch das Geld vermittelt, und der Wert jeder Ware im Austausch hat einen Geldausdruck. Was bedeutet nun dieser Geldausdruck, und worauf beruht der Wert jeder Ware im Handel. Das waren die ersten Fragen, die die Nationalökonomie untersuchte. In der zweiten Hälfte des 18. und im Anfang des 19. Jahrhunderts wurde nun die große Entdeckung von den Engländern Adam Smith und David Ricardo gemacht, daß der Wert jeder Ware nichts anderes als die in ihr steckende menschliche Arbeit ist, daß sich also beim Austausch der Waren gleiche Mengen verschiedener Arbeit gegeneinander austauschen. Das Geld ist nur der Vermittler dabei und drückt im Preise nur die entsprechende Menge Arbeit aus, die in jeder Ware steckt. Es erscheint eigentlich als eine merkwürdige Sache, daß hier von einer großen Entdeckung gesprochen werden kann, da doch, wie man glauben sollte, nichts klarer und selbstverständlicher ist, als daß der Austausch von Waren auf der [in] ihnen steckenden Arbeit beruht. Allein der Ausdruck des Warenwerts in Gold, der allgemeine und ausschließliche Gewohnheit geworden war, verdeckte diese natürliche Sache. In der Tat, wenn ich sage, der Schuster und der Bäcker tauschen ihre Produkte gegeneinander aus, so ist noch naheliegend und sichtbar, daß der Tausch deshalb zustande kommt, weil trotz des verschiedenen Gebrauchs das eine so gut Arbeit gekostet hat wie das andere, das eine also das andere wert ist, sofern sie gleiche Zeit in Anspruch genommen haben, Wenn ich aber sage, ein Paar Schuhe kosten 10 Mark, so ist zunächst dieser Ausdruck, wenn man ihn näher überlegt, etwas ganz Rätselhaftes. Was haben denn ein Paar Schuhe mit den 10 Mark gemein, worin sind sie sich denn gleich, um sich gegeneinander auszutauschen? Wie kann man so verschiedene Dinge überhaupt miteinander vergleichen? Und wie kann man im Tausch für ein nützliches Produkt wie die Schuhe einen so unnützen und sinnlosen Gegenstand wie die gestempelten Geld oder Silberscheibchen nehmen? Wie kommt es endlich, daß gerade diese unnützen Metallscheibchen die Zauberkraft besitzen, alles in der Welt in Tausch zu kriegen? Nun, alle diese Fragen ist es den großen Schöpfern der Nationalökonomie, den |728| Smith und Ricardo, zu beantworten nicht gelungen. Die Entdeckung, daß im Tauschwert jeder Ware, wie im Gelde auch,. bloß menschliche Arbeit steckt und daß somit der Wert jeder Ware um so größer ist, je mehr Arbeit ihre Herstellung erfordert und umgekehrt, diese Entdeckung ist nämlich erst die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit besteht in der Erklärung, wieso und warum die menschliche Arbeit denn die seltsame Form des Tauschwertes und gar die rätselhaft Form des Geldes annimmt. Die englischen Schöpfer der Nationalökonomie haben sich diese letztere Frage nicht einmal vorgelegt, denn sie betrachteten es als eine angeborene, von Natur gegebene Eigenschaft der menschlichen Arbeit, daß sie Waren zum Tausch und Geld schafft. Das heißt mit anderen Worten: Sie nahmen an, daß ebenso natürlich, wie der Mensch essen und trinken muß, wie er auf dem Kopf Haare und im Gesicht eine Nase hat, er auch mit seinen Händen Waren zum Handel produzieren müsse. Sie glaubten dies so fest, daß Adam Smith sich zum Beispiel in allem Ernst die Frage vorlegt, ob nicht schon die Tiere miteinander Handel treiben, und er verneint dies nur deshalb, weil man noch keine derartigen Beispiele bei Tieren bemerkt hat. Er sagt [1]:
Diese naive Auffassung bedeutet aber nichts anderes, als daß die großen Schöpfer der Nationalökonomie in der felsenfesten Vorstellung lebten, die heutige kapitalistische Gesellschaftsordnung, bei der alles Ware ist und alles nur für den Handel produziert wird,. sei die einzig mögliche und ewige Gesellschaftsordnung, die so lange dauern wird, wie das Menschengeschlecht auf Erden lebt. Erst Karl Marx, der als Sozialist die kapitalistische Ordnung nicht für die ewige und einzig mögliche, sondern für eine vergängliche geschichtliche Gesellschaftsform hielt, stellte Vergleiche zwischen den heutigen und den früheren Verhältnissen in anderen Epochen an. Es zeigte sich dabei, daß die Menschen Jahrtausende lebten und arbeiteten, ohne vom Geld und vom Austausch viel zu wissen. Erst in dem Maße, wie jede gemeinsame planmäßige Arbeit in der Gesellschaft aufhörte und die Gesellschaft sich in einen losen anarchischen Haufen ganz freier und selbständiger Produzenten mit Privateigentum auflöste, in dem Maße wurde der Austausch zum einzigen Mittel, die zersplitterten Individuen und ihre Arbeiten zu einer zusammenhängenden gesellschaftlichen Wirtschaft zu vereinigen. An Stelle eines gemeinsamen Wirtschaftsplans, der der Produktion vorausging. trat nun das Geld, das zum einzigen direkten gesellschaftlichen Bindemittel wurde, und zwar deshalb, weil es das einzig Gemeinsame zwischen den vielen verschiednen Privatarbeiten dar- |729| stellt, als ein Stück menschlicher Arbeit ohne jeden besonderen Nutzen, also gerade dadurch. weil es ein ganz sinnloses Produkt ist, untauglich zu jeglichem Gebrauch im menschlichen Privatleben. Diese sinnlose Erfindung ist also eine Notwendigkeit, ohne die der Austausch überhaupt. also die ganze bisherige Kulturgeschichte seit der Auflösung des Urkommunismus, unmöglich wäre. Die bürgerlichen Nationalökonomen betrachten das Geld freilich nur als eine höchst wichtige und unentbehrliche Sache, aber nur vom Standpunkte der rein äußerlichen Bequemlichkeit des Warenaustausches. Man kann dies in Wirklichkeit vom Gelde nur in dem Sinne sagen, wie man sagen kann, die Menschheit habe zum Beispiel die Religion zur Bequemlichkeit erfunden. Tatsächlich sind Geld und Religion zwei gewaltige Kulturprodukte der Menschheit, die aber in ganz bestimmten vorübergehenden Verhältnissen wurzeln und, wie sie entstanden sind, so auch mit der Zeit überflüssig werden. Die enormen. jährlichen Ausgaben für die Goldproduktion, wie die Ausgaben für den Kultus wie auch die Ausgaben für Gefängnisse, Militarismus, öffentliche Wohltätigkeit, die heute die gesellschaftliche Wirtschaft schwer belasten, aber bei der Existenz dieser Wirtschaftsform notwendige Kosten sind werden mit der Aufhebung der Warenwirtschaft von selbst wegfallen.
Die Warenwirtschaft, wie wir ihren inneren Mechanismus kennengelernt haben, erscheint vor uns als eine wunderbar harmonische und auf höchsten Prinzipien der Moral beruhende Wirtschaftsordnung .Denn erstens herrscht ja völlige individuelle Freiheit: Jeder arbeitet, wie, woran und wieviel er will, ganz nach freiem Belieben; jeder ist sein eigener Herr und braucht sich nur nach dem eigenen Vorteil zu richten. Zweitens, die einen tauschen ihre Waren, das heißt ihre Arbeitsprodukte, gegen die Arbeitsprodukte anderer aus; Arbeit wird gegen Arbeit ausgetauscht, und zwar im Durchschnitt gleiche Mengen Arbeit gegen gleiche Mengen. Es herrscht also völlige Gleichheit und Gegenseitigkeit der Interessen. Drittens gibt es bei der Warenwirtschaft eben nur Ware gegen Ware, Arbeitsprodukt gegen Arbeitsprodukt. Wer also kein Produkt seiner Arbeit zu bieten hat, wer nicht arbeitet, wird auch nichts zu essen kriegen. Es ist also auch die höchste Gerechtigkeit. In der Tat versprachen die Philosophen und Politiker des 18. Jahrhunderts, die für den völligen Sieg der Gewerbefreiheit kämpften und für die Abschaffung der letzten Reste der alten Herrschaftsverhältnisse - des Zunftreglements und der feudalen Leibeigenschaft [2] -, die Männer der Großen Französischen Revolution der Menschheit ein Paradies auf Erden, in dem Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit herrschen sollten.
|730| Ähnlicher Meinung waren auch noch manche bedeutenden Sozialisten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als die wissenschaftliche Nationalökonomie geschaffen und die große Entdeckung von Smith-Ricardo gemacht wurde, daß alle Warenwerte auf menschlicher Arbeit beruhen, kamen sofort einzelne Freunde der Arbeiterklasse auf die Idee, daß bei richtiger Durchführung des Warenaustausches völlige Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft herrschen müßten. Denn tauscht sich stets nur Arbeit gegen Arbeit in gleichen Mengen aus, so kann unmöglich eine Ungleichheit des Reichtums eintreten, höchstens die wohlverdiente Ungleichheit zwischen den Arbeitsamen und den Faulen, und der ganze gesellschaftliche Reichtum muß denjenigen gehören, die arbeiten, das heißt der Arbeiterklasse. Wenn wir also trotzdem in der heutigen Gesellschaft große Unterschiede in der Lage der Menschen, wenn wir Reichtum neben Elend sehen und gerade Reichtum bei den Nichtarbeitenden und Elend bei denjenigen, die alle Werte durch ihre Arbeit schaffen, so muß das offenbar aus einer Unredlichkeit bei dem Austausch entstehen, und zwar dank dem Umstand, daß bei dem Austausch der Arbeitsprodukte das Geld als Vermittler dazwischenspringe.[3] Das Geld verdeckt die wahre Herkunft aller Reichtümer von der Arbeit, ruft beständige Preisschwankungen hervor und gibt daher die Möglichkeit zu willkürlichen Preisen, zu Prellereien und zur Ansammlung von Reichtümern auf Kosten anderer. Also fort mit dem Gelde! Dieser auf die Abschaffung des Geldes gerichtete Sozialismus kam zuerst in England auf, wo ihn schon in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr talentvolle Schriftsteller, wie Thompson, Bray und andere, vertraten; dann erfand nochmals diese Sorte Sozialismus in Preußen der konservative pommersche Junker und glänzende nationalökonomische Schriftsteller Rodbertus, und zum drittenmal erfand diesen Sozialismus in Frankreich im Jahre 1849 Proudhon. Selbst praktische Versuche nach dieser Richtung wurden unternommen. Unter dem Einfluß des obengenannten Bray wurden in London und in vielen anderen Städten Englands sogenannte »Bazare für den gerechten Arbeitsaustausch« gegründet, wohin die Waren gebracht wurden, um ohne Geldvermittlung streng nach der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit ausgetauscht zu werden. Auch Proudhon hat die Gründung seiner sogenannten »Volksbank« zu diesem Zwecke vorgeschlagen. Diese Versuche sowie die Theorie selbst machten bald Bankrott. Der Warenaustausch ohne Geld ist in der Tat undenkbar, und jene Preisschwankungen, die man abschaffen |731| wollte, sind ja das einzige Mittel, den Warenproduzenten anzuzeigen, ob sie zuwenig oder zuviel von einer Ware herstellen, ob sie weniger oder mehr als erforderlich auf ihre Herstellung Arbeit verwenden, ob sie die richtigen Waren oder nicht erzeugen. Schafft man dieses einzige Verständigungsmittel zwischen den isolierten Warenproduzenten in der anarchischen Wirtschaft ab, so sind sie ganz verloren, dann sind sie nicht nur taubstumm, sondern auch blind. Dann muß die Produktion stillstehen, und der kapitalistische Babelturm zerfällt in Trümmer. Die sozialistischen Pläne, die aus der kapitalistischen Warenproduktion eine sozialistische machen wollten durch die bloße Abschaffung des Geldes, sind also eine reine Utopie.
Allein wie steht es denn in Wirklichkeit mit der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bei der Warenproduktion? Wie kann bei allgemeiner Warenproduktion, wo jedermann nur für ein Arbeitsprodukt etwas kriegen kann und wo nur gleiche Werte gegen gleiche Werte ausgetauscht werden, wie kann dabei Ungleichheit des Reichtums entstehen? Die heutige kapitalistische Wirtschaft zeichnet sich aber, wie jedermann weiß, gerade am meisten durch die schreiende Ungleichheit in der materiellen Lage der Menschen aus, durch ungeheure Ansammlung von Reichtümern in wenigen Händen auf der einen und durch wachsende Massenarmut auf der anderen Seite. Die weitere Frage, die sich für uns logisch aus dem Bisherigen ergibt, gestaltet sich demnach so: Wie ist bei der Warenwirtschaft und dem Austausch der Waren nach ihrem Wert der Kapitalismus möglich?
Redaktionelle Anmerkungen
[1] In der Quelle fehlt das Zitat. <=
[2] Randnotiz R. L.: Naturalwirtsch <=
[3] Randnotiz R. L.: Vgl. [Kapitel über] John Bellers, [In: Eduard] Bernstein: Engl. Rev. [Sozialismus und Demokratie in der großen englischen Revolution, Stuttgart 1908], S. 354. <=
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